Zweiundzwanzig

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Es ist kühl im Auto, da die Klimaanlage an ist. Er schnallt sich an und drückt den Rucksack an seinen Körper.

,,Wie kommt es, dass du zu dieser späten Stunde allein umhergewandert bist?" Der Typ dreht sich mit einem Lächeln zu Jimin.

Der Mann sieht aus, wie ein Hippie, das lockige, lange und widerspenstige Haar gibt diesen Vibe ab. Seine Handgelenke sind von Armbändern aus Holz bis hin zu sehr bunten Plastik- und goldenen Armbändern bedeckt.

Jimin braucht ein paar Sekunden, um dem Mann zu antworten. In der Zeit, in der der Mann seine Augen von der Straße wendet und Jimin wieder ansieht.

Der Jüngere räuspert sich, bevor er eine stotternde Antwort gibt: ,,Ich bin...äh...weggelaufen...irgendwie."

Der Gesichtsausdruck des Mannes ändert sich abrupt und zeigt Überraschung, als auch Schock. Dann schaut er wieder zu Jimin.

,,Nichts für ungut, aber du siehst nicht missbraucht aus."

Jimin schaut den Mann verwirrt an.

,,Missbraucht?"

Und dann verbindet sein langsamer Verstand endlich die Punkte. Bevor der Unbekannte den Mund öffnen kann, um zu erklären, spricht Jimin.

,,Nein, nein, ich werde nicht missbraucht. Ich wurde hierher geschickt, um mit jemandem zusammenzuleben und ich passe einfach nicht dazu.", versucht er zu erklären, ohne zu viele Informationen zu geben.

'Du bist es nicht wert.'

Natürlich würde sich der ältere Mann im Auto nicht um seine langweilige Lebensgeschichte kümmern. Also versucht er, sein Reden einzuschränken, um es irgendwie wert zu sein, angehört zu werden.

,,Oh. Ich wusste nicht, dass hier Leute leben. Im Wald?" Seine Stimme ist voller Neugier.

Jimin kichert leise. ,,Ja, eigentlich ist es ein Pfarrhaus und einige Nonnen und ein Priester leben dort. Aber ich habe nicht viel mit Religion zu tun, weißt du? Ich passe nicht dazu."

Der Mann sieht im Moment gechillt aus, während er langsam und ruhig fährt.

,,Finde einfach deinen Platz. Du bist nicht gezwungen, dort zu bleiben, wo du dich nicht wohlfühlst. Willst du eine Zigarette?"

Als diese Frage aufkommt, kommt ihm eine Rückblende von Yoongi in den Sinn. 'Er würde nicht wollen, dass ich dieses Angebot annehme.'

,,Ja, sicher."

Ein paar Minuten später hat Jimin seine Hand aus dem geöffneten Fenster, der Wind bläst seine Hand und streift sein Gesicht. Eine Zigarette hält er fest in seiner Hand.

Als das Auto in eine Stadt fährt, verdecken die Lichter an jedem Haus und Gebäude die Dunkelheit der Nacht. Jimin fühlt sich beruhigt.

Obwohl es Nacht ist, ist die Straße voller Menschen und Energie. Fußgänger laufen am Straßenrand, plaudern und lachen. Der Lärm erfüllt Jimins Inneres mit einem sehnsüchtigen Gefühl.

Plötzlich erinnert er sich an Taehyung und ihre Partys. All der Spaß, den sie hatten und all die Leute, mit denen sie geschlafen haben. Eigentlich hat er mit ihnen geschlafen, da Taehyung eine Freundin hat. Es machte Spaß und für eine Weile vergaß Jimin das Gefühl irgendwie.

Jetzt, umgeben von der Stadt, erinnert er sich daran, wie er vor etwa 2 Wochen war. So kurze Zeit und doch hat es ihn sehr berührt.

Als er an der Zigarette zieht, stört eine Stimme die Stille im Auto.

,,Also, wohin gehst du jetzt? Hast du einen Plan?"

,,Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wohin ich gehe. Mein Plan war, da rauszukommen, jetzt bin ich ziemlich verloren." Jimin kratzt sich verlegen am Nacken.

Der Mann macht einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, bevor er sich zu Jimin umdreht. Das Auto hält an einer Ampel an.

,,Wie wäre es, wenn du für eine Weile bei mir bleibst? Ich wohne mit ein paar Freunden in einer Wohnung und ich glaube, du könntest auf dem Sofa schlafen. Aber nur, bis du dich entschieden hast, wohin du gehst."

Der Mann hat ein ernstes Gesicht und starrt Jimin in die Augen. Er wartet auf eine Antwort.

Jimin fährt sich mit den Händen durch die Haare und antwortet nicht sofort. Er würde eine Dusche brauchen und in der Zwischenzeit in einer  Wohnung zu bleiben, während er überlegt, was er tun soll, wäre ideal.

Jimin erstarrt, als ihn die Realität trifft. Er kann nirgendwo hin, er hat kein Ziel für diese 'Flucht'. Zurück auf den Campus kann er nicht, denn sobald Yoongi merkt, dass er nicht zum Essen kommt, wird er seine Eltern anrufen.

Die Verzweiflung überwältigt ihn und er fühlt sich plötzlich so benommen. Er kann immernoch den Blick des Mannes auf sich spüren und seine Augen fangen an zu tränen.

Er sieht auf und täuscht ein Gähnen vor, um subtil eine Erklärung für die Tränen zu geben. Er holt tief Luft, bevor er seine Antwort ausspricht.

,,Das wäre schön, danke," Jimins Stimme ist leicht zittrig und er zwingt sich ein Lächeln auf. ,,aber ich muss ablehnen. Ich habe ein paar Freunde in der nahegelegenen Stadt. Ich werde sie anrufen und von dort aus planen."

Der Mann sieht nicht überzeugt aus, aber lässt es sich nicht anmerken.

,,Okay, gut."

Das Auto springt wieder an und sie fahren noch ein bisschen weiter, bis der Typ anhält.

,,Wenn du geradeaus gehst, bist du im Zentrum der Stadt. Dort findest du alles, was du brauchst."

Jimin nickt, er hat Angst bei dem Gedanken, in einer unbekannten Stadt völlig allein und hilflos gelassen zu werden. Er öffnet die Tür und geht nach draußen.

Jimin dreht sich zu dem Typen um und verbeugt sich, um seine Dankbarkeit zu zeigen.

,,Viel Spaß!", ruft der Typ, bevor Jimin die Tür zuschlägt und davonsaust.

Er bleibt allein zurück und sehnt sich plötzlich nach Yoongi. Sogar ihn anzuschreien wäre besser, als am Straßenrand zu stehen, einsam und umgeben von völliger Dunkelheit, abgesehen von den Lichtern der Gebäude.

Er muss es verdrängen und sich wie ein Mann verhalten. Momentan bleibt er hier und sehnt sich nach einem älteren Mann, der ihn unzählige Male abgelehnt hat, der ihn für unwürdig hält, geliebt zu werden und, dass er ein gottverdammter Priester ist, kommt noch dazu!

Seufzend dreht sich Jimin zu der Stelle um, wo der Mann das Zentrum gezeigt hat und geht los.

Es dauert ungefähr 5 Minuten, bis ihm eine Person hart in die Seite knallt und mit seiner Tasche davonläuft.

𝙎𝙄𝙉; 𝙮𝙢Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt