Kapitel 26 ✔️

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L U N A

„Fürchterliche Geschichte... schrecklich... Wunder, dass alle noch leben... so was hab ich noch nie gehört... Heiliger Strohsack, ein Glück, dass Sie da waren, Snape..."
„Danke, Minister."
„Orden des Merlin, zweiter Klasse, würde ich sagen. Erster Klasse, wenn ich's deichseln kann!"
„Herzlichen Dank, Minister."
„Sieht ja übel aus, der Schnitt, den sie da im Gesicht haben... das war sicher Black?"
„Keineswegs, Minister, es waren Potter, Weasley, Granger und Miss Black, Minister..."
„Nein!"
„Black hatte sie verhext, war mir auf der Stelle klar. Ein Verwirrungszauber, so wie die sich aufführten. Glaubten offenbar, er sei doch unschuldig. Sie waren für ihre Taten nicht verantwortlich. Allerdings wäre Black fast entkommen, weil sie sich eingemischt haben... glaubten wohl, sie könnten ihn auf eigene Faust fangen. Man hat ihnen bisher einfach viel zu viel durchgehen lassen... ich fürchte, das ist ihnen zu Kopfe gestiegen... und natürlich hat der Schulleiter immer größtes Nachsehen mit Potter."
„Nun ja, Snape... Sie wissen, Harry Potter... wir haben da alle einen schwachen Punkt, wenn es um ihn geht."
„Gleichwohl, Minister - tut es ihm gut, wenn er immer wieder mit allem davonkommt? Ich persönlich bemühe mich, ihn wie jeden anderen Schüler auch zu behandeln. Und jeder andere Schüler würde - allermindestens - für einige Zeit ausgeschlossen, wenn er seine Freunde derart in Gefahr gebracht hätte. Bedenken Sie, Minister, gegen alle Schulregeln - und nach allem, was wir zu seinem Schutz getan haben - außerhalb der Schule angetroffen, spätabends, in Gesellschaft eines Werwolfs und eines Mörders - und außerdem habe ich Grund zu der Annahme, dass er auch unrechtmäßig in Hogsmeade war -"
„Gut und schön... wir werden sehen, Snape, wir werden sehen... der Junge hat zweifellos eine Dummheit begangen..."
Ich lag mit geschlossenen Augen da und lauschte.
Vielleicht sollten wir das „Potter, Weasley, Granger und Miss Black" in „Potter, Weasley und Granger haben mich angegriffen und Miss Black war meine Geisel" ändern!
Meine Glieder fühlten sich an wie mit Blei gefüllt; die Augenlider waren zu schwer, um sie zu öffnen... ich wollte hier auf diesem bequemen Bett für alle Ewigkeit liegen bleiben...
„Was mich am meisten erstaunt, ist das Verhalten der Dementoren... Sie haben wirklich keine Ahnung, weshalb sie zurückgewichen sind, Snape?"
„Nein, Minister... als ich zu mir kam, nahmen sie gerade wieder ihre Posten an den Toren ein..."
„Unglaublich. Aber Black, Harry und die zwei Mädchen waren -"
„Alle bewusstlos, als ich zu ihnen gelangte. Ich habe Black natürlich sofort gefesselt und geknebelt, Tragen heraufbeschworen und sie gleich ins Schloss gebracht."
Nein! Nicht Dad!
Oh, das wird Snape sowas von bereuen!
Eine Pause trat ein.
Ich überlegte und überlegte, wie ich Dad dort befreien kann.
Ich öffnete die Augen.
Ich lag im dunklen Krankensaal.
Ganz am Ende des Saals konnte ich Madame Pomfrey erkennen, die mit dem Rücken zu mir stand und sich über ein Bett beugte.
Ich sah genauer hin.
Neben Madame Pomfrey's Arm lugte Ron's roter Haarschopf hervor.
Ich sah links neben mich und sah Harry.
Und auf einem weiterem Bett neben Harry lag Mine.
Ihre Betten lagen im Mondlicht.
Die beiden hatten auch die Augen geöffnet.
Als die beiden sahen, dass ich wach war, legten sie einen Finger auf die Lippen und deuteten auf den Eingang.
Die Tür war offen und vom Korridor drangen die Stimmen von Cornelius Fudge und Snape herein.
Jetzt hastet Madame Pomfrey auf mein Bett zu.
Sie nahm schnell den Verband um meine Taille ab, schmierte die Wunde ein und machte einen neuen Verband drum.
Ich sah, dass ich dort lange Kratzspuren hatte, wahrscheinlich von Remus, aber das ist nicht schlimm.
Dann hastete Madam Pomfrey auf Harry's Bett zu.
Er wandte sich um.
Sie hatte den größten Schokoladenriegel in Händen, den ich je gesehen hatte.
Er sah aus wie ein Pflasterstein.
„Aha, du bist auch wach!", begrüßte sie ihn forsch.
Sie legte den Schokoriegel auf Harry's Nachttisch und schlug mit einem Hämmerchen Stücke herunter.
„Wie geht's Ron?", fragte Harry, Mine und ich wie aus einem Mund.
„Er wird's überleben.", sagte Madame Pomfrey mit bitterer Miene. „Und ihr drei... ihr bleibt hier, bis ich überzeugt bin, dass - Potter, was fällt dir eigentlich ein?"
Harry hatte sich aufgerichtet, die Brille auf die Nase gesetzt und den Zauberstab gepackt.
„Ich muss den Schulleiter sprechen.", sagte er.
„Potter", sagte Madame Pomfrey besänftigend, „es ist alles gut. Sie haben Black. Er ist oben eingeschlossen. Die Dementoren werden ihn jeden Moment küssen -"
„WAS?"
Ich sprang von meinem Bett auf, zog mir meine Schuhe an und nahm mir meinen Zauberstab.
Harry und Mine sprangen auch aus dem Bett.
Doch draußen im Gang hatten wir einen Schrei gehört; einen Moment später betraten Cornelius Fudge und Snape den Krankensaal.
„Harry, Harry, was soll das denn?", fragte Fudge aufgebracht. „Du solltest im Bett bleiben - hat er seine Schokolade bekommen?"
„Minister, bitte hören Sie!", sagte Harry. „Sirius Black ist unschuldig! Peter Pettigrew hat seinen eigenen Tod nur vorgetäuscht! Wir haben ihn heute Nacht gesehen! Sie dürfen nicht zulassen, dass die Dementoren diese Sache mit Sirius anstellen, er ist -"
Doch Fudge schüttelte sanft lächelnd den Kopf.
„Harry, Harry, du bist völlig durcheinander, du hast fürchterliches durchlitten, leg dich jetzt wieder hin, wir haben alles im Griff..."
„Haben Sie nicht!", schrie Harry, „Sie haben den falschen Mann!"
„Minister, bitte hören Sie.", sagte Mine, die trat rasch an Harry's Seite und sah Fudge flehend an. „Ich hab ihn auch gesehen, es war Ron's Ratte, er ist ein Animagus, Pettigrew, meine ich, und -"
„Sehen Sie, Minister?", sagte Snape. „Völlig übergeschnappt, alle drei... Black hat ganze Arbeit geleistet..."
„Wir sind nicht übergeschnappt!", donnerte ich und sah Snape zornig an.
„Minister! Professor!", sagte Madame Pomfrey empört, „ich muss darauf bestehen, dass Sie gehen, Potter ist mein Patient und Sie dürfen ihn nicht aufregen!"
„Ich bin nicht aufgeregt, ich versuche nur zu sagen, was passiert ist!", sagte Harry zornig. „Wenn Sie nur zuhören würden -"
Doch Madame Pomfrey stopfte ihm blitzschnell ein großes Stück Schokolade in den Mund; Harry verschluckte sich und sie nutzte die Gelegenheit, um ihn mit sanfter Gewalt aufs Bett zu schubsen.
„Nun, ich bitte Sie, Minister, diese Kinder brauchen Pflege - bitte gehen Sie."
Die Tür ging auf und herein kam Dumbledore.
Harry würgte seinen Mund voll Schokolade mühsam hinunter und stand wieder auf.
„Professor Dumbledore, Sirius Black -"
„Um Himmels willen!", sagte Madame Pomfrey erzürnt, „ist das hier der Krankenflügel oder was? Direktor, ich muss -"
„Verzeihung, Poppy, aber ich muss kurz mit Mr. Potter, Miss Granger und Miss Black sprechen.", sagte Dumbledore gelassen. „Ich habe eben mit Sirius Black geredet -"
„Ich nehme an, er hat Ihnen das selbe Märchen erzählt, das er Potter ins Hirn gepflanzt hat?", fauchte Snape. „Etwas von einer Ratte und das Pettigrew noch am Leben sei."
„Das ist tatsächlich Black's Darstellung.", sagte Dumbledore und sah Snape durch seine Halbmondbrille scharf an.
„Und meine Aussage zählt überhaupt nicht?", schnarrte Snape. „Peter Pettigrew war nicht in der heulenden Hütte und draußen auf den Ländereien war keine Spur von ihm zu sehen."
„Sie waren doch bewusstlos, Professor!", sagte Mine entschieden. „Sie kamen zu spät, um zu hören -"
„Miss Granger, hüten Sie Ihre Zunge!"
„Aber, aber, Snape", sagte Fudge aufgeschreckt, „die junge Dame ist ein wenig durcheinander, da müssen wir nachsichtig sein."
„Ich möchte mit Harry, Hermine und Luna alleine sprechen.", warf Dumbledore plötzlich ein. „Cornelius, Severus, Poppy - bitte lassen Sie uns allein."
„Aber Direktor", prustete Madame Pomfrey, „sie brauchen Pflege, sie brauchen Ruhe -"
„Es duldet keinen Aufschub.", sagte Dumbledore. „Ich muss darauf bestehen."
Madame Pomfrey schürzte die Lippen, ging mit steifen Schritten hinüber zu ihrem Büro am Ende des Krankensaals und schlug die Tür hinter sich zu.
Fudge warf einen Blick auf die große Taschenuhr, die an seiner Weste baumelte.
„Die Dementoren müssen inzwischen da sein.", sagte er und ich wurde direkt blass. „Ich werde sie in Empfang nehmen. Wir sehen uns dann oben, Dumbledore."
Er ging zur Tür und hielt sie für Snape auf, doch Snape rührte sich nicht.
„Sie glauben doch nicht etwa auch nur ein Wort von Black's Geschichte?", flüsterte Snape und starrte Dumbledore an.
„Ich würde jetzt gern Harry, Hermine und Luna allein sprechen.", wiederholte Dumbledore.
Snape trat einen Schritt auf Dumbledore zu.
„Sirius Black hat schon im Alter von 16 Jahren bewiesen, dass er zum Mord fähig ist.", wisperte er. „Sie haben das nicht vergessen, Direktor? Sie haben nicht vergessen, dass er einst mich umbringen wollte?"
„Mein Gedächtnis hat nicht gelitten, Severus.", erwiderte Dumbledore knapp.
Snape drehte sich auf dem Absatz um und marschierte durch die Tür, die Fudge immer noch für ihn aufhielt.
Als sie verschwunden waren, wandte sich Dumbledore Harry, Mine und mir zu.
Wir drei sprudelten gleichzeitig los.
„Sie müssen meinem Dad glauben -"
„Professor, Black sagt die Wahrheit - wir haben Pettigrew gesehen -"
„ - er konnte entkommen, als Professor Lupin sich in einen Werwolf verwandelte -"
„ - er ist eine Ratte -"
„ - Pettigrew's Vorderpfote, einen Finger, meine ich, er hat ihn abgeschnitten -"
„ - Pettigrew hat Ron angegriffen, es war nicht Sirius -"
Doch Dumbledore hob die Hand, um die Flut von Erklärungen aufzuhalten.
„Ihr seid jetzt mit Zuhören dran und bitte unterbrecht mich nicht, weil wir sehr wenig Zeit haben.", sagte er ruhig. „Es gibt nicht die Spur eines Beweises für Black's Geschichte, ich habe nur euer Wort - und das Wort dreier dreizehnjähriger Zauberer wird niemanden überzeugen. Eine Straße voller Augenzeugen hat geschworen, dass Sirius Pettigrew ermordet hat. Ich selbst habe im Ministerium ausgesagt, dass Sirius Potter's Geheimniswahrer war."
„Professor Lupin kann es Ihnen erklären -", sagte Harry ungeduldig.
„Professor Lupin steckt gegenwärtig tief im Wald und kann keinem Menschen irgendwas erklären. Wenn er wieder ein Mensch ist, wird es zu spät sein, Sirius wird tot sein, schlimmer als tot. Ich muss hinzufügen, dass die meisten von uns einem Werwolf dermaßen misstrauen, dass sein Zeugnis wenig Gewicht haben wird - und die Tatsache, dass er und Sirius alte Freunde sind -"
„Aber -"
„Hör mir zu, Harry. Es ist zu spät, verstehst du? Du musst einsehen, dass Professor Snape's Darstellung der Ereignisse viel überzeugender ist als eure."
„Er hasst Sirius.", sagte Mine verzweifelt. „Und alles nur, weil ihm Sirius einen dummen Streich gespielt hat -"
„Sirius hat sich nicht gerade wie ein unschuldiger benommen. Er hat die fette Dame angegriffen - dann ist er mit einem Messer in den Gryffindor-Turm eingedrungen - jedenfalls haben wir ohne Pettigrew, tot oder lebendig, keine Chance, Sirius die Strafe zu ersparen."
„Aber Sie glauben uns."
„Ja, das tue ich.", sagte Dumbledore leise. „Doch es steht nicht in meiner Macht, andere Menschen die Wahrheit sehen zu lassen oder den Zaubereiminister in die Schranken zu weisen..."
Meine Gedanken waren verwirrt und volle Panik.
Was ist, wenn wir Dad nicht retten können?
Wenn ich ihn, nicht retten kann?
Ich konnte ihn noch nicht mal richtig kennenlernen!
„Was wir brauchen", sagte Dumbledore langsam und seine hellblauen Augen wanderten von Harry zu Mine, „ist mehr Zeit."
Ich überlegte, was Dumbledore damit meinte, bis mir ein Licht aufging.
Der Zeitumkehrer! Natürlich!
„Aber -", setzte Mine an.
Und dann bekam sie ganz runde Augen.
„OH!"
„Und jetzt passt auf.", sagte Dumbledore sehr leise und deutlich. „Sirius ist in Professor Flitwick's Büro im siebten Stock eingeschlossen. Dreizehntes Fenster rechts vom Westturm. Wenn alles gut geht, werdet ihr heute Nacht mehr als ein unschuldiges Leben retten können. Doch vergesst folgendes nicht, ihr drei. Niemand darf euch sehen. Hermine, du kennst das Gesetz - du weißt, was auf dem Spiel steht... niemand - darf - euch - sehen."
Meine Hoffnung war wieder da.
Dumbledore war bereits an der Tür, als er sich noch einmal umdrehte.
„Ich werde euch einschließen. Es ist -", er sah auf die Uhr, „fünf Minuten vor zwölf. Hermine, drei Drehungen sollten genügen. Viel Glück."
„Viel Glück?", wiederholte Harry, als sich die Tür hinter Dumbledore schloss. „Drei Drehungen? Was redet er da? Was sollen wir tun?"
„Stell keine Fragen, vertrau uns oder eher Mine einfach.", sprach ich grinsend.
Mine fingerte am Kragen ihres Umhangs und zog eine sehr lange, sehr feingliedrige Goldkette hervor.
„Harry, Luna, kommt her.", sagte sie eindringlich. „Schnell!"
Harry, völlig verdattert, und ich, grinsend und froh, traten zu ihr.
Sie hielt die Kette in die Höhe.
Ich sah die Kette auch zum ersten mal.
An der Kette hing ein winziges, funkelndes Stundenglas.
„Hier -"
Sie warf die Kette um Harry's und meinen Hals.
„Bereit?", fragte sie atemlos.
Ich nickte lächelnd.
„Was haben wir vor?", fragte Harry völlig ratlos.
Mine drehte das Stundenglas dreimal im Kreis.
Der dunkle Krankensaal löste sich auf.
Ich hatte das Gefühl, schnell, rasend schnell rückwärts zu fliegen.
Eine Flut von Farben und verschwommenen Gestalten raste an uns vorbei, in meinen Ohren hämmerte es.
Und dann spürte ich wieder festen Boden unter den Füßen und um mich nahm alles wieder klare Gestalt an -
Ich stand neben Mine in der menschenleeren Eingangshalle.
Goldenes Sonnenlicht ergoss sich durch das offene Portal über den steingefliesten Boden.
Ich wandte mich Mine zu und Harry sah Mine nur verwirrt an.
„Hermine, was -?"
„Hier rein!"
Mine packte ihn und mich am Arm und zog uns quer durch die Halle zu einem Besenschrank; sie öffnete ihn, schubste Harry und mich hinein in das Durcheinander von Eimern und Wischlappen, dann zog sie die Tür hinter uns zu.
„Sorry, Lu.", flüsterte sie.
„Nicht schlimm.", winkte ich ab.
„Was - wie - Hermine, was ist passiert?"
„Wir haben eine kleine Zeitreise gemacht.", flüsterte Mine und befreite Harry und mich in der Dunkelheit von der Kette. „Drei Stunden in die Vergangenheit."
„Aber -"
„Schh! Hör mal! Da kommt jemand! Ich glaube - ich glaube, das könnten wir sein!"
Mine drückte ein Ohr an die Schranktür.
„Schritte durch die Halle... ja, ich glaube, das sind wir auf dem Weg zu Hagrid!"
„Willst du mir sagen", wisperte Harry, „dass wir hier in diesem Schrank sind und gleichzeitig auch da draußen?"
„Ja.", sagte Mine, das Ohr immer noch an die Schranktür gepresst. „Ich bin sicher, dass wir es sind... klingt nicht nach mehr als vier Leuten... und wir gehen langsam, weil wir unter dem Tarnumhang stecken -"
Sie verstummte und lauschte gespannt.
„Wir gehen die Treppe runter..."
Okay, einerseits finde ich das echt cool, aber auf der anderen Seite auch etwas gruselig.
Mine und ich setzten uns auf zwei umgestülpte Eimer.
Die Anspannung stand Mine und mir ins Gesicht geschrieben, doch Harry musste anscheinend unbedingt ein paar Fragen stellen.
„Wo hast du dieses Ding, dieses Stundenglas her?"
„Es heißt Zeitumkehrer", flüsterte Mine, „und ich hab's am ersten Tag nach den Ferien von Professor McGonagall bekommen. Sie ließ mich oder eher uns schwören, dass wir es niemanden sagen. Sie musste alle möglichen Briefe an das Zaubereiministerium schreiben, damit ich einen kriegen konnte. Sie musste ihnen sagen, dass ich eine vorbildliche Schülerin bin und dass ich es niemals für irgendetwas anderes als meine Schulausbildung benutzen würde... ich hab den Zeitumkehrer gedreht, damit ich die Stunden noch einmal erlebe und deshalb habe ich mehrere Fächer gleichzeitig belegen können, verstehst du jetzt? Aber...
Harry, ich weiß nicht, was Dumbledore meint, was wir tun sollen. Warum hat er gesagt, wir sollen drei Stunden zurückgehen? Wie soll das Sirius nützen?"
Harry starrte in ihr sorgenvolles Gesicht.
„Und Luna wusste davon?", fragte er stattdessen.
„Ja, ich wusste davon, aber das ist jetzt nicht das Thema!", sprach ich.
„Etwas muss um diese Zeit passiert sein, etwas, das wir ändern sollen.", sagte Harry langsam. „Was ist passiert? Vor drei Stunden ging wir hinunter zu Hagrid..."
„Das ist jetzt vor drei Stunden und wir gehen gerade hinunter zu Hagrid", sagte Mine, „wir haben uns eben gehen hören..."
Harry runzelte die Stirn.
„Dumbledore hat eben gesagt - eben gesagt, dass wir mehr als ein unschuldiges Leben retten können..."
Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.
„Mine, Harry, wir retten Seidenschnabel!"
„Aber - wie helfen wir damit Sirius?"
„Dumbledore - er hat uns gerade erklärt, wo das Fenster ist - das Fenster von Flitwick's Büro! Wo sie meinen Dad eingeschlossen haben! Wir müssen mit Seidenschnabel zum Fenster fliegen und Dad retten! Dad kann mit Seidenschnabel fliehen - sie können zusammen entkommen!"
Ich sah Mine's Gesicht nur undeutlich, doch sie schien entsetzt zu sein.
„Wenn wir das schaffen, ohne gesehen zu werden, wäre das ein Wunder!"
„Wir müssen es einfach versuchen, oder?", sagte Harry.
Er stand auf und legte ein Ohr an die Tür.
„Hört sich nicht an, als ob jemand da wäre... kommt, gehen wir..."
Harry drückte die Schranktür auf.
Die Eingangshalle war menschenleer.
So schnell wir konnten, huschten wir aus dem Schrank und die steinernen Stufen hinunter.
Schon zogen sich die Schatten in die Länge und wieder waren die Baumspitzen des verbotenen Waldes in Gold getaucht.
Mine warf einen Blick zurück.
„Hoffentlich sieht uns keiner vom Fenster aus.", ziepte sie.
„Lasst uns rennen.", sagte Harry entschlossen. „Und zwar hinüber zum Wald, einverstanden? Dann verstecken wir uns am besten hinter einem Baum und halten Ausschau."
„Gut, aber hinter den Gewächshäusern lang!", keuchte Mine. „Und möglichst weit weg von Hagrid's Tür oder sie sehen uns. Wir sind schon fast bei seiner Hütte!"
Harry lief los und Mine und ich ihm auf den Fersen.
Wir rannten durch die Gemüsegärten hinüber zu den Gewächshäusern, verpusteten uns in deren Schutz ein wenig und rannten dann so schnell wir konnten weiter.
Wir schlugen einen Bogen um die peitschende Weide und gelangten schließlich zum schützenden Waldrand...
Im Schatten der Bäume verborgen, sah ich wie Harry sich umwandte; Sekunden später standen Mine und ich neben ihm und schnappten nach Luft.
„Gut.", japste ich, „wir müssen zu Hagrid hinüberschleichen... haltet euch versteckt."
Leise und dicht am Waldrand staksten wir im Unterholz voran.
Dann, ganz in der Nähe von Hagrid's Hütte, hörten wir, wie es an der Tür klopfte.
Wir versteckten uns rasch hinter dem dicken Stamm einer Eiche und spähten an beiden Seiten hervor.
Hagrid erschien in der Tür, zitternd und bleich und sah sich stirnrunzelnd um.
Dann hörte ich Harry's Stimme.
„Wir sind's. Wir tragen den Tarnumhang. Lass uns rein, dann können wir ihn ablegen."
„Ihr hättet nicht kommen sollen!", flüsterte Hagrid.
Er trat zurück, ließ uns ein und schloss rasch die Tür.
„Das ist das verrückteste, was wir je getan haben.", sagte Harry begeistert.
„Gehen wir ein Stück weiter.", flüsterte ich. „Wir müssen näher an Seidenschnabel heran!"
Wir krabbelten zwischen den Bäumen durch, bis wir den Hippogreif sahen, der gereizt an seiner Leine zerrte, die Hagrid am Zaun um sein Kürbisbeet befestigt hatte.
„Jetzt?", flüsterte Harry.
„Nein!", sagte Mine. „Wenn wir ihn jetzt stehlen, werden die Leute vom Ausschuss denken, Hagrid hätte ihn befreit! Wir müssen warten, bis sie sehen, dass er draußen angebunden ist!"
„Dann haben wir gerade mal sechzig Sekunden.", sagte Harry.
In diesem Moment drang aus Hagrid's Hütte das Geräusch von zerbrechendem Porzellan.
„Jetzt hat er gerade den Milchkrug zerlegt.", flüsterte Mine. „Gleich werde ich Krätze finden -"
Und tatsächlich hörten wir ein paar Minuten später ihren überraschten Aufschrei.
„Hermine", sagte Harry plötzlich, „wie wär's wenn wir - einfach reinrennen und uns Pettigrew schnappen -"
„Nein!", flüsterte Mine erschrocken. „Begreifst du nicht? Wir brechen gerade eines der wichtigsten Zaubereigesetze! Niemand darf die Vergangenheit verändern, absolut niemand! Du hast Dumbledore gehört: wenn wir gesehen werden -"
„Nur wir selbst und Hagrid würden uns sehen!"
„Harry, was, glaubst du, würdest du tun, wenn du dich selbst in Hagrid's Hütte reinplatzen siehst?", fragte Mine.
„Ich - ich würde glauben, ich sei verrückt geworden", sagte Harry, „oder vermuten, dass jemand schwarze Magie mit mir treibt -"
„Genau! Du würdest es nicht verstehen, du würdest dich vielleicht sogar selbst angreifen! Verstehst du nicht? Professor McGonagall hat mir erzählt, was für schreckliche Dinge schon geschehen sind, wenn Zauberer an der Vergangenheit herumgepfuscht haben... viele von ihnen haben im Durcheinander ihr vergangenes oder künftiges Selbst getötet!"
„Schon gut!", sagte Harry, „war nur 'ne Idee, ich dachte -"
Doch ich stieß ihn in die Rippen und deutete hinüber zum Schloss.
Harry schob den Kopf ein wenig vor, um wahrscheinlich das Portal in der Ferne sehen zu können.
Dumbledore, Fudge, das alte Ausschussmitglied und Macnair, der Henker, kamen die Treppe herunter.
„Wir kommen jetzt gleich raus!", wisperte ich.
Und tatsächlich öffnete sich Augenblicke später Hagrid's Tür und ich sah mich selbst, Ron, Harry und Mine zusammen mit Hagrid herauskommen.
Es war zweifellos das befremdlichste Erlebnis, das ich je gehabt hatte: hinter einem Baum zu stehen und mich selbst dort drüben im Kürbisbeet zu beobachten.
„Ist schon gut, Schnäbelchen, es ist alles gut...", sagte Hagrid.
Dann wandte er sich Harry, Ron, Mine und mir zu.
„Geht jetzt. Sputet euch."
„Hagrid, wir können nicht einfach -"
„Wir sagen ihnen, was wirklich passiert ist -"
„Sie dürfen ihn nicht umbringen -"
„Wir können nicht einfach gehen -"
„Geht! Ist schon alles schlimm genug, da müsst ihr nicht auch noch Ärger kriegen!"
Ich sah, wie ich im Kürbisbeet den Umhang über Mine, Harry, Ron und mich warf.
„Geht schnell. Und lauscht nicht..."
Vorne an Hagrid's Tür klopfte es.
Henker und Zeugen waren da.
Hagrid wandte sich um und ging zurück in die Hütte.
Die Hintertür ließ er offen.
Ich sah, wie sich das Gras um die Hütte fleckweise plättete und hörte, wie sich vier Paar Füße entfernten.
Harry, Ron, Mine und ich waren gegangen... doch Harry, Mine und ich, da wir uns hinter den Bäumen versteckt hatten, konnten jetzt durch die offene Hintertür hören, was in der Hütte vor sich ging.
„Wo ist das Biest?", fragte die kalte Stimme Macnair's.
„Drau... draußen.", krächzte Hagrid.
Wir zogen rasch unsere Köpfe zurück, als Macnair an Hagrid's Fenster auftauchte und zu Seidenschnabel hinaussah.
Dann hörten wir Fudge.
„Wir - ähm - müssen dir den offiziellen Hinrichtungsbefehl verlesen, Hagrid, ich mach's kurz. Und dann musst du ihn unterschreiben und Macnair auch. Macnair, hören Sie zu, das ist Vorschrift."
Macnair's Gesicht verschwand vom Fenster.
Jetzt oder nie!
„Wartet hier.", flüsterte Harry. „Ich mach das."
Fudge fing wieder an zu sprechen und Harry schnellte hinter seinem Baum hervor, sprang über den Zaun des Kürbisbeetes und lief auf Seidenschnabel zu.
Der Ausschuss für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe hat beschlossen, den Hippogreif Seidenschnabel, im Weiteren der Verurteilte genannt, am 6. Juni bei Sonnenuntergang hinzurichten -"
Und ich sah, wie Harry, darauf bedacht, nicht zu blinzeln, in Seidenschnabel's grimmige rote Augen starrte und sich verbeugte.
Seidenschabel sank auf die schuppigen Knie und richtete sich wieder auf.
Harry nahm die Leine, die den Hippogreif an den Zaun band, und versuchte den Knoten zu lösen.
„...verurteilt zum Tode durch Enthauptung, auszuführen durch den vom Ausschuss ernannten Henker, Walden Macnair..."
„Komm mit, Seidenschnabel", zischte Harry, „komm mit, wir helfen dir. Leise... leise..."
„...und schriftlich von ihm zu bestätigen. Hagrid, du unterschreibst hier..."
Harry zerrte nach Leibeskräften an dem Seil, doch Seidenschnabel hatte sich mit den Vorderbeinen eingegraben.
„Nun, bringen wir's hinter uns.", sagte die dünne Stimme des alten Ausschussmitglieds in Hagrid's Hütte. „Hagrid, vielleicht wäre es besser, wenn Sie drinbleiben würden -"
„Nein - ich - ich will bei ihm sein... ich will nicht, dass er allein ist -"
Das Geräusch von Schritten drang aus der Hütte.
„Seidenschnabel, beweg endlich deinen Hintern!", flehte Harry.
Er zog noch heftiger am Seil um Seidenschnabel's Hals.
Der Hippogreif raschelte verärgert mit den Flügeln und bewegte sich allmählich.
Noch waren sie einige Meter vom Wald entfernt und von Hagrid's Hintertür aus deutlich zu sehen.
„Einen Moment noch bitte, Macnair.", erklang Dumbledore's Stimme. „Auch Sie müssen hier unterschreiben."
Die Schritte verstummten.
Harry warf sich ins Seil.
Seidenschnabel schnappte mit dem Schnabel und ließ sich herab, ein wenig schneller zu gehen.
Mine's weißes Gesicht tauchte neben mir auf.
„Harry, schnell!", zischte sie.
Noch immer konnte ich Dumbledore in der Hütte sprechen hören.
Noch einmal ruckte er an dem Seil.
Seidenschnabel verfiel in einen widerwilligen Trott.
Sie erreichten die Bäume.
„Schnell! Schnell!", stöhnte Mine und wir beide sprangen hinter dem Baum hervor.
Auch wir packten jetzt das Seil und zogen wie verrückt daran, um Seidenschnabel ein wenig Beine zu machen.
Ich blickte über die Schulter; jetzt waren wir außer Sicht; wir konnten Hagrid's Garten nicht mehr sehen.
„Halt!", hauchte Harry Mine und mir zu. „Sie könnten uns noch hören -"
Krachend schlug Hagrid's Hintertür auf.
Harry, Mine, Seidenschnabel und ich machten keinen Mucks; selbst der Hippogreif schien gespannt zu lauschen.
Stille... dann -
„Wo ist er?", fragte die dünne Stimme des Alten. „Wo ist das Biest?"
„Es war hier abgebunden!", sagte der Henker wutentbrannt. „Ich hab's mit eigenen Augen gesehen! Genau hier!"
„Höchst erstaunlich.", sagte Dumbledore mit einem Glucksen in der Stimme.
„Schnäbelchen!", rief Hagrid heiser.
Es gab ein surrendes Geräusch und dann folgte das Krachen einer Axt.
Der Henker schien sie vor Wut in den Zaun geschlagen zu haben.
Und dann kam Hagrid's Heulen und diesmal konnten wir Hagrid's Worte durch sein Schluchzen hören.
„Fort! Fort! Glück für Schnäbelchen, es ist fort! Muss sich losgerissen haben! Kluger Junge, Schnäbelchen!"
Seidenschnabel begann am Seil zu zerren; offenbar wollte er zu Hagrid zurück.
Harry, Mine und ich gruben die Fersen in den Waldboden und warfen uns ins Seil, um ihr aufzuhalten.
„Jemand hat ihn losgebunden!", raunzte der Henker. „Wir sollten das Gelände absuchen und den Wald."
„Macnair, wenn Seidenschnabel wirklich gestohlen wurde, glauben Sie, der Dieb hätte ihn zu Fuß fortgebracht?", fragte Dumbledore und seine Stimme klang recht vergnügt. „Suchen Sie den Himmel ab, wenn Sie wollen...
Hagrid, ich könnte eine Tasse Tee vertragen. Oder einen großen Schnaps."
„Oh n-natürlich, Professor", sagte Hagrid, offenbar erschöpft vor Glück, „kommen Sie rein, kommen Sie..."
Mine, Harry und ich lauschten mit gespitzten Ohren.
Wir hörten Schritte, das leise Fluchen des Henkers, die Tür fiel ins Schloss und dann herrschte Stille.
„Was jetzt?", flüsterte Harry und sah sich um.
„Wir müssen uns hier drin verstecken.", sagte Mine, die ziemlich mitgenommen aussah. „Wir müssen erst einmal warten, bis sie wieder im Schloss sind. Und dann, bis es ungefährlich ist, mit Seidenschnabel zum Fenster von Sirius fliegen. Er wird erst in ein paar Stunden dort sein... Mensch, das wird schwierig werden..."
Nervös blickte sie über die Schulter ins Dunkel des Waldes.
Die Sonne ging jetzt unter.
Ich dachte scharf nach.
„Wir können nicht hier bleiben.", sagte ich. „Wir müssen die peitschende Weide sehen können, sonst wissen wir nicht, was geschieht."
„Gut.", sagte Mine und klammerte die Hand noch fester um Seidenschnabel's Leine. „Aber wir dürfen uns nicht blicken lassen, denkt dran..."
Während wir am Waldrand entlangschlichen, senkte sich die Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch über uns.
Schließlich versteckten wir uns hinter einer Gruppe von Bäumen, von der aus wir die peitschende Weide erkennen konnten.
„Da ist Ron!", sagte Harry plötzlich.
Eine dunkle Gestalt hetzte über das Gras und ihre Rufe hallten durch die Stille Nachtluft.
„Lass ihn in Ruhe - hau ab - Krätze, komm
hierher -"
Und dann tauchten wie aus dem Nichts drei weitere Gestalten auf.
Ich beobachtete, wie ich selbst, Mine und Harry Ron hinterherjagten, der jetzt ins Gras hechtete.
„Hab ich dich! Hau ab, du stinkender Kater -"
„Da ist Sirius!", sagte Harry.
Der riesige Hund war zwischen den Wurzeln der Weide hervorgesprungen, wir sahen, wie der schwarze Umriss Harry zu Boden stieß und Ron packte...
„Sieht von hier noch schlimmer aus, nicht wahr?", fragte ich und beobachtete, wie Dad Ron zwischen die Wurzeln zerrte.
„Autsch - der Baum hat mir gerade gerade eine verpasst - und jetzt kriegst du auch eine gewischt - das ist unheimlich -"
Die peitschende Weide ächzte und schlug mit den unteren Zweigen aus; wir sahen uns selbst dabei zu, wie wir immer wieder versuchten den Baum zu überlisten und an den Stamm zu gelangen.
Und dann erstarrte der Baum.
„Jetzt hat Krummbein den Knoten gedrückt.", sagte Mine.
„Und los geht's...", murmelte Harry. „Wir sind schon drin."
Kaum waren wir verschwunden, regte sich der Baum wieder.
Sekunden später hörten wir ganz in der Nähe Schritte.
Dumbledore, Macnair, Fudge und das alte Ausschussmitglied waren auf dem Rückweg ins Schloss.
„Gleich nachdem wir runter in den Tunnel sind!", sagte Mine. „Wenn Dumbledore doch bloß mitgekommen wäre..."
„Macnair und Fudge wären dann auch gekommen.", sagte Harry bitter. „Und Fudge hätte Macnair auf der Stelle befohlen, Sirius umzubringen, darauf kannst du Gift nehmen..."
„Wenn er das versucht hätte, hätte er mich zuerst am Hals...", murmelte ich.
Wir sahen den vier Männern nach, die jetzt die Schlosstreppe hochstiegen und verschwanden.
Ein paar Minuten herrschte Stille.
Dann -
„Dort kommt Lupin!", sagte Harry und wir sahen seine Gestalt die Steinstufen hinunterspringen und auf die Weide zu rennen.
Ich sah zum Himmel.
Der Mond war völlig hinter den Wolken verschwunden.
Wir sahen, wie Remus einen abgebrochenen Zweig aus dem Gras hob und den Knoten am Baumstamm anstupste.
Der Baum hörte auf, um sich zu schlagen und auch Remus verschwand im Erdloch zwischen den Wurzeln.
„Wenn er nur den Tarnumhang mitgenommen hätte.", sagte Harry. „Der liegt da einfach rum..."
Er drehte sich zu Mine und mir um.
„Wenn ich kurz rüber renne und ihn hole, kann ihn Snape nicht mitnehmen und -"
„Harry, niemand darf uns sehen!"
„Wie kannst du das ertragen?", erwiderte er aufgebracht. „Einfach nur rumzustehen und alles geschehen zu lassen?"
Er zögerte.
„Ich schnapp mir den Umhang!"
„Harry, nein!"
Ich packte Harry am Kragen und keinen Moment zu früh.
In diesem Augenblick hörten wir, wie jemand laut anfing zu singen.
Es war Hagrid.
Leicht schwankend war er auf dem Weg zum Schloss, schmetterte ein Liedchen und fuchtelte mit einer großen Flasche in der Hand durch die Luft.
„Siehst du?", flüsterte Mine. „Siehst du, was passiert wäre? Wir müssen versteckt bleiben! Nein, Seidenschnabel!"
Der Hippogreif machte erneut hektische Anstalten, zu Hagrid zu laufen.
Auch Harry und ich packten ihn jetzt wieder an der Leine und hielten ihn mühsam zurück.
Wir sahen Hagrid nach, wie er in gewagten Schlangenlinien den Weg entlangging und schließlich verschwand.
Seidenschnabel erlahmte und ließ traurig den Kopf sinken.
Kaum zwei Minuten später flog das Schlossportal erneut auf und Snape kam heraus.
Mit großen Schritten kam er auf die Weide zu.
Vor der Weide hielt er inne und blickte sich um.
Ich sah, wie Harry seine Hände zu Fäusten ballte.
Snape langte nach dem Tarnumhang im Gras und hob ihn hoch.
„Lass deine dreckigen Finger davon.", knurrte Harry hinter vorgehaltener Hand.
„Schhh!"
Snape nahm den Ast, den schon Remus benutzt hatte, um den Baum zu lähmen, stupste gegen den Knoten und verschwand dann unter dem Tarnumhang.
„Das war's.", sagte ich leise. „Wir sind alle da unten. Und jetzt müssen wir warten, bis wir wieder rauskommen..."
Sie nahm das Ende von Seidenschnabel's Leine und wickelte es fest um den nächsten Baum, dann setzte sie sich auf den trockenen Boden und schlang die Arme um die Knie.
„Harry, eins verstehe ich nicht... warum haben die Dementoren Sirius nicht gekriegt? Ich weiß noch, wie die kamen, und dann bin ich wohl ohnmächtig geworden... es waren so viele..."
Ich setzte mich neben Mine hin.
Auch Harry setzte sich ins Gras.
Er schilderte Mine, was er gesehen hatte; der Dementor hatte bereits seinen Schlund auf Harry's Mund gesenkt, als ein großes weißes Etwas über den See galoppiert kam und die Dementoren zum Rückzug trieb.
Als Harry fertig war, stand Mine's Mund halb offen.
„Aber was war das?"
„Wenn es die Dementoren vertrieben hat, dann kann es nur eins gewesen sein.", sagte ich. „Ein richtiger Patronus. Ein mächtiger."
„Aber wer hat ihn heraufbeschworen?"
Harry antwortete nicht.
„Hast du nicht gesehen, wie er aussah?", fragte Mine begierig. „War es einer der Lehrer?"
„Nein.", sagte Harry. „Es war kein Lehrer."
„Aber es muss ein sehr mächtiger Zauberer gewesen sein, wenn er all diese Dementoren verjagen konnte... wenn der Patronus so leuchtete, hat er ihn nicht beschienen? Könntest du nichts sehen -?"
Ich denke eher, es lag an den Glücksgefühlen, aber ich weiß es ja nicht.
„Doch, ich hab ihn gesehen.", sagte Harry langsam. „Aber... vielleicht hab ich's mir nur eingebildet... ich konnte nicht klar denken... gleich danach bin ich ohnmächtig geworden..."
„Wer, glaubst du, war es?"
„Ich glaube -", Harry schluckte. „Ich glaube, es war mein Vater."
Harry blickte auf und sah, dass Mine und ich den Mund weit aufgerissen hatten.
Wir starrten ihm wahrscheinlich mit einer Mischung aus Entsetzten und Mitleid an.
„Harry, dein Dad ist - nun ja - tot.", sagte Mine leise.
„Das weiß ich.", sagte Harry rasch.
„Glaubst du, es war ein Geist?"
„Ich weiß nicht... nein... er schien aus Fleisch und Blut..."
„Aber dann -"
„Vielleicht hab ich mir alles nur eingebildet.", sagte Harry.
„Aber... was ich gesehen habe... sah wie Dad aus... ich hab Fotos von ihm..."
Mine und ich sahen ihn immer noch so an, als machten wir uns Sorgen um seinen Verstand.
Aber ich würde niemals glauben, dass Harry verrückt ist.
„Ich weiß, das klingt verrückt.", sagte Harry mit tonloser Stimme.
Ich sah mich nach dem Hippogreif um, der gerade den Schnabel in die Erde bohrte und offenbar nach Würmern suchte.
Eine leichte Brise ließ die Blätter über uns rascheln.
Hinter den Wolken, die über den Himmel zogen, kam der Mond zum Vorschein und verschwand wieder.
Ich saß da, unverwandt auf die Weide blickend, und wartete.
Und dann, endlich, nach über einer Stunde...
„Da kommen wir!", flüsterte ich.
Auch Seidenschnabel hob den Kopf.
Wir sahen Remus, Ron und Pettigrew mühsam aus dem Erdloch klettern.
Dann kam Mine... dann der bewusstlose Snape, merkwürdig senkrecht dahinschwebend.
Schließlich kamen Harry, Dad und ich.
Wir alle machten uns auf den Weg zum Schloss.
Ich sah zum Himmel.
Jeden Moment würde diese Wolke weiterziehen und der Mond würde zum Vorschein kommen...
„Harry", murmelte Mine, „wir müssen hier bleiben. Wir dürfen nicht gesehen werden. Wir können nichts tun..."
„Also lassen wir Pettigrew einfach wieder entkommen...", sagte Harry leise.
„Wie willst du denn in der Dunkelheit eine Ratte finden?", fauchte Mine. „Wir können nichts tun! Wir sind zurückgekommen, um Sirius zu helfen, und wir sollten jetzt nichts anderes tun!"
„Ist ja gut!"
Der Mond trat hinter der Wolke hervor.
Wir sahen, wie die kleinen Figuren auf dem Gras innehielten.
Dann bewegte sich etwas.
„Das ist Remus", flüsterte ich, „er verwandelt sich."
„Hermine, Luna!", sagte Harry plötzlich, „wir müssen fort von hier!"
„Das geht nicht, ich erklär dir doch ständig -"
„ - dass wir uns nicht einmischen sollen! Ja doch, aber Lupin wird in den Wald rennen, direkt auf uns zu!"
Mine und ich rissen die Augen auf.
„Schnell!", stöhnte sie und sprang zu Seidenschnabel, um ihn loszubinden. „Schnell! Wo sollen wir denn hin? Wo sollen wir uns verstecken, die Dementoren werden jeden Moment kommen!"
„Zurück zu Hagrid!", sagte Harry. „Die Hütte ist leer - kommt schon!"
Wir rannten, so schnell wir konnten, und Seidenschnabel setzte in langen Sprüngen hinter uns her.
Schon hörten wir den Werwolf hinter uns heulen.
Wir konnten die Hütte jetzt sehen; Harry rutschte zur Tür, stieß sie auf und Mine, Seidenschnabel und ich flitzten an ihm vorbei.
Harry stürzte uns nach und verriegelte die Tür.
Fang, der Saurüde, kläffte laut.
„Schhh, Fang, wir sind's!", sagte ich.
Rasch ging ich hinüber und kraulte Fang besänftigend die Ohren.
„Das war wirklich knapp!", sagte Mine.
„Jaah..."
Ich sah aus dem Fenster.
Von hier aus war kaum noch etwas zu sehen.
Seidenschnabel schien überglücklich, wieder zu Hause zu sein.
Er legte sich vor den Kamin, faltete zufrieden die Flügel und wollte offenbar ein kleines Nickerchen einlegen.
„Ich glaube, ich geh am besten wieder nach draußen.", sagte Harry langsam. „Ich kann von hier aus nicht sehen, was passiert, und wir müssen doch wissen, wann es Zeit ist -"
Mine und ich sahen ihn argwöhnisch an.
„Ich werd mich ganz bestimmt nicht einmischen.", sagte Harry rasch. „Aber wenn wir nicht sehen, was passiert, wie sollen wir dann wissen, wann es Zeit ist, Sirius zu retten?"
„Von mir aus... ich warte hier mit Seidenschnabel... aber sei vorsichtig, Harry - da draußen ist ein Werwolf - und die Dementoren!"
„Ich komme mit.", sprach ich.
Harry und ich gingen hinaus und schlichen um die Hütte herum.
Aus der Ferne hörte ich erschöpfte Schreie.
Die Dementoren kreisten jetzt Sirius und mich ein... Harry und Mine würden jeden Augenblick zu uns laufen...
Harry schaute hinüber zum See.
Wer immer auch den Patronus geschickt hatte, würde wahrscheinlich jeden Moment auftauchen...
Für den Bruchteil einer Sekunde standen wir unentschlossen vor Hagrid's Tür.
Und da waren die Dementoren.
Sie kamen aus der Dunkelheit, aus allen Richtungen und glitten am Ufer des Sees entlang... sie entfernten sich von Harry und mir, schwebten hinüber zum anderen Ufer...
Harry rannte los und ich hinterher.
Der See kam näher und näher, doch niemand war zu sehen.
Am anderen Ufer konnte ich dünne Silberschleier erkennen - wahrscheinlich Harry's Versuche, einen Patronus zu schaffen.
Harry und ich versteckten uns hinter einem Busch am Wasser und schauten durch das Blattwerk.
Das silberne Glimmen am anderen Ufer erlosch mit einem Mal.
„Kommt jetzt!", murmelte Harry und spähte umher, „wo bist du? Dad, kommt bitte -"
Doch keiner kam.
Harry und ich hoben die Köpfe und sahen hinüber.
Die Dementoren hatten einen Ring gebildet.
Einer von ihnen nahm die Kapuze ab.
Es war höchste Zeit, dass der Retter erschien, doch diesmal kam anscheinend keiner zu Hilfe...
Plötzlich stürzte Harry hinter dem Busch hervor und zückte den Zauberstab.
Expecto patronum!", rief er.
Und aus der Spitze seines Zauberstabs brach etwas hervor, keine unförmige Nebelwolke, sondern ein schönes, blendend helles, silbernes Tier - ich kniff die Augen zusammen und versuchte zu erkennen, was es war - es sah aus wie ein Pferd - es galoppierte lautlos davon, über die schwarze Oberfläche des Sees; ich sah, wie es den Kopf senkte und mit den Hinterbeinen gegen den Schwarm der Dementoren ausschlug... jetzt galoppierte es im Kreis um die schwarzen Gestalten am Boden und die Dementoren wichen zurück, zerstreuten sich, verloren sich in der Dunkelheit... und waren verschwunden.
Der Patronus wandte sich um.
Das Tief galoppierte über den stillen See zurück.
Es war kein Pferd.
Es war auch kein Einhorn.
Es war ein Hirsch.
Er leuchtete so hell wie der Mond am Himmel... er kehrte zu ihm zurück...
Am Ufer hielt er inne.
Seine Hufe hinterließen keine Spur im weichen Boden.
Er starrte Harry mit seinen großen silbernen Augen an.
Langsam neigte er den Kopf mit dem schweren Geweih.
Und Harry erkannte...
„Krone.", flüsterte er.
Genau, der Spitzname von seinem Vater, der Animagi von seinem Vater und der Patronus von seinem Vater.
Doch als Harry das Geschöpf mit den Fingern berühren wollte, verschwand es.
Harry blieb mit ausgestreckter Hand stehen.
Dann hörte ich hinter uns Hufgetrappel.
Wir wirbelten herum und sahen Mine auf uns zuspringen, Seidenschnabel im Schlepptau.
„Was hast du getan?", fragte Mine und schäumte vor Wut. „Du wolltest doch nur Ausschau halten!"
„Ich hab gerade unser aller Leben gerettet...", sagte Harry. „Kommt - hinter diesen Busch - ich erklär's dir."
Ich nahm Harry erst mal in den Arm.
„Herzlichen Glückwunsch, Harry. Dein erster richtiger Patronus.", lächelte ich und löste mich von ihm.
Harry schilderte, was geschehen war, und Mine lauschte abermals mit offenem Mund.
„Hat dich jemand gesehen?"
„Ja, hast du denn nicht zugehört? Ich hab mich gesehen! Es ist gut jetzt!"
„Harry, ich kann's nicht glauben... du hast einen Patronus heraufbeschworen, der all diese Dementoren verjagt hat! Das ist sehr weit fortgeschrittene Zauberei..."
„Ich wusste, dass ich es diesmal schaffen würde", sagte Harry, „weil ich es schon einmal geschafft hatte... red ich Unsinn?"
„Ich weiß nicht - Harry, Luna, da drüben ist Snape!"
Wir lugten hinter dem Busch hervor auf die andere Seite.
Snape war zu sich gekommen.
Er zauberte Tragen herbei und hievte die leblosen Gestalten von Harry, Mine, Dad und mir hoch.
Eine fünfte Trage, zweifellos mit Ron, schwebte bereits neben ihm.
Dann, mit ausgestrecktem Zauberstab, ließ er uns zum Schloss emporschweben.
„Gut, bald ist es so weit.", sagte ich angespannt und warf einen Blick auf meine Uhr. „Wir haben eine drei viertel Stunde, bis Dumbledore die Tür zum Krankenflügel abschließt. Wir müssen Dad retten und im Krankenflügel zurück sein, bevor jemand merkt, dass wir fehlen..."
Beim Warten sahen wir den Wolken zu, die sich im See spiegelten, während der Busch vor uns in der Briese wisperte.
Seidenschnabel langweilte sich und stocherte wieder nach Würmern.
„Meint ihr, er ist schon dort oben?", fragte Harry und sah auf die Uhr.
Ich sah hoch zum Schloss und zählte die Fenster rechts vom Westturm ab.
„Schaut!", flüsterte Mine. „Wer ist das? Da kommt jemand aus dem Schloss!"
Ich spähte durch die Nacht.
Der Mann eilte über das Gelände auf einen der Eingänge zu.
Etwas Metallenes schimmerte an seinem Gürtel.
„Macnair!", sagte Harry. „Der Henker! Er holt die Dementoren! Wir müssen los!"
Mine legte die Hände auf Seidenschnabel's Rücken und Harry half ihr, sich aufzuschwingen.
Mir half er auch auf Seidenschnabel.
Dann stellte er den Fuß auf einen niedrigen Ast und kletterte selbst hoch.
Er zog Seidenschnabel die Leine um den Hals und befestigte sie wie Zügel oben am Kummet.
„Fertig?", flüsterte er Mine und mir hinter ihm zu. „Du hältst dich am besten an mir fest und Luna sich an dir -"
Mit den Fersen stieß er Seidenschnabel sanft in die Seiten.
Seidenschnabel flatterte mühelos hoch in den dunklen Himmel.
Harry presste die Knie gehen seine Flanken und ich spürte, wie sich die große Flügel neben uns kraftvoll spannten.
Mine klammerte sich fest um Harry's Hüfte; ich konnte sie murmeln hören, „Oh nein - das ist nichts für mich - oh nein, das ist wirklich nichts für mich -"
Harry trieb Seidenschnabel zur Eile.
Wir schwebten leise hinauf zu den oberen Stockwerken des Schlosses...
Harry zog die Leine heftig nach links und Seidenschnabel folgte ihm.
„Oha!", sagte Harry und riss mit aller Kraft an der Leine.
Seidenschnabel flog langsamer und dann blieben wir in der Luft stehen, wenn man davon absah, dass wir auf- und abhüpften, weil Seidenschnabel mit den Flügeln schlagen musste, um oben zu bleiben.
„Er ist da!", sagte Harry, der Dad gesehen hatte, als wir vor seinem Fenster auftauchten.
Harry streckte die Hand mit dem Zauberstab aus und konnte beim nächsten Flügelschlag gegen das Glas schlagen.
Dad blickte auf.
Ich sah, wie ihm die Kinnlade herunterfiel.
Dad sprang vom Stuhl, stürzte zum Fenster und wollte es öffnen, doch es war verschlossen.
„Zurücktreten!", rief ich.
Mit der linken Hand klammerte ich mich an Mine's Umhang fest, mit der rechten zückte ich den Zauberstab.
Alohomora!"
Das Fenster sprang auf.
„Wie... wie?", fragte Dad erschöpft und starrte den Hippogreif an.
„Steig auf. Wir haben keine Zeit zu verlieren.", sagte Harry und packte Seidenschnabel fest an der einen Seite seines schlanken Halses, um ihn ruhig zu halten. „Du musst fliehen - die Dementoren kommen - Macnair holt sie."
Dad hielt sich an beiden Seiten des Fensters fest und zog Kopf und Schultern ins Freie.
Ein Glück, dass er so mager war.
In Sekundenschnelle gelang es ihm, ein Bein über Seidenschnabel's Rücken zu schwingen und sich hinter mich auf den Hippogreif zu ziehen.
„Gut gemacht, Seidenschnabel, und jetzt
hoch -", sagte Harry und schlackerte mit der Leine. „Hoch zum Turm - mach schon!"
Mit einem Schlag seiner mächtigen Flügel rauschten wir davon, hoch bis zur Spitze des Westturms.
Seidenschnabel landete hufklappernd auf den Zinnen und Harry, Mine und ich ließen uns sofort heruntergleiten.
„Sirius, du verschwindest am besten, schnell.", keuchte Harry. „Sie werden jeden Moment in Flitwick's Büro kommen und sehen, dass du fort bist."
Seidenschnabel scharrte auf dem Boden und warf seinen scharfen Kopf hin und her.
„Was ist mit dem anderen Jungen passiert? Mit Ron?", krächzte Dad.
„Er wird sich wieder erholen - ist immer noch außer Gefecht, aber Madame Pomfrey sagt, sie wird ihn schon wieder hinkriegen - schnell - flieh -"
Doch Dad starrte Harry und mich unverwandt an.
„Wie kann ich euch jemals danken -"
„Flieh!", riefen Harry, Mine und ich aus einem Mund.
Dad warf Seidenschnabel herum und sah in den offnen Himmel.
„Wir sehen uns wieder.", sagte er. „Du bist - ganz der Sohn deines Vaters, Harry..."
Dann blickte er mich an.
„Ich hab dich lieb, Luna. Pass auf dich auf. Du bist meine Tochter und wirst es immer bleiben."
Ich nickte mit Tränen in den Augen.
Er drückte die Fersen in Seidenschnabel's Seiten; Harry, Mine und ich sprangen zurück und die gewaltigen Flügel hoben sich von neuem... der Hippogreif stieg in den Nachthimmel... ich sah ihnen nach, wie sie kleiner und kleiner werden... dann schon sich eine Wolke vor den Mond... fort waren sie.

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