Kapitel 9 ✔️

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L U N A

Der Schrank fing wieder an zu zittern, allerdings nicht so heftig wie Neville, der einige Schritte vortrat, als ob es zum Galgen ginge.
„Schön, Neville.", sagte Remus. „Das wichtigste  zuerst: Was, würdest du sagen, ist es, das dir am meisten auf der Welt Angst macht?"
Neville's Lippen bewegten sich, doch kein Wort kam heraus.
„Verzeihung, Neville, ich hab dich nicht verstanden.", sagte Remus gut gelaunt.
Neville sah sich mit panischem Blick um, als ob er jemanden von uns bitten wollte, ihm zu helfen, dann sagte er, kaum vernehmlich flüsternd: „Professor Snape."
Fast alle von uns lachten.
Selbst Neville grinste peinlich verlegen.
Remus jedoch war nachdenklich geworden.
„Professor Snape... hmmm... Neville, stimmt es, dass du bei deiner Großmutter lebst?"
„Ähm - ja.", sagte Neville nervös. „Aber ich will nicht, dass der Irrwicht sich in sie verwandelt."
„Nein, nein, du verstehst mich falsch.", sagte Remus und lächelte jetzt. „Ich frage mich - könntest du uns sagen, was für Kleider deine Großmutter normalerweise trägt?"
Neville wirkte verdutzt, doch er antwortete:
„Na ja... immer denselben Hut. Einen hohen mit einem ausgestopften Geier drauf. Und ein langes Kleid... meist grün... und manchmal einen Schal aus Fuchsfell."
„Und eine Handtasche?", half Remus nach.
„Eine große rote.", bestätigte Neville.
„Sehr schön.", sagte Remus. „Kannst du dir diese Kleidung ganz genau vorstellen, Neville? Kannst du sie vor deinem geistigen Auge sehen?"
„Ja.", sagte Neville unsicher, sich offensichtlich fragend, was als nächstes kommen würde.
„Wenn der Irrwicht aus diesem Schrank fährt und dich sieht, Neville, wird er die Gestalt von Professor Snape annehmen.", sagte Remus. „Und du hebst deinen Zauberstab - so - und rufst »Riddikulus« - und denkst ganz fest an die Kleider deiner Großmutter. Wenn alles gut geht, wird Professor Irrwicht Snape gezwungen sein, mit diesem Geierhut, dem grünen Kleid und der großen roten Handtasche aufzutreten."
Wir alle lachten laut auf.
Der Schrank zitterte noch heftiger.
„Wenn Neville es gut macht, wird der Irrwicht seine Aufmerksamkeit danach wahrscheinlich uns zuwenden und zwar einem nach dem andern.", sagte Remus. „Ich möchte, dass ihr alle mal kurz überlegt, was euch am meisten Angst macht und euch vorstellt, wie man es zwingen kann, komisch auszusehen..."
Im Zimmer wurde es still.
Remus wusste nichts, von meiner größten Angst.
Das habe ich ihm nie erzählt.
Ich will auch eigentlich nicht, dass er es weiß, doch irgendwann hätte ich es ihm sagen müssen.
Jetzt sieht er es.
Ich hörte wie Ron vor sich hin murmelte, etwas wie »nimm ihr die Beine weg«.
Ich wusste ziemlich sicher, an was Ron dachte.
Die größte Angst hatte er vor Spinnen.
„Seid ihr bereit?", fragte Remus.
Wir alle nickten und rollten die Ärmel hoch.
„Neville, wir gehen ein paar Schritte zurück.", sagte Remus. „Dann hast du freie Bahn, klar? Ich rufe dann den nächsten auf... alle zurücktreten jetzt, damit Neville richtig zielen kann."
Wir gingen zurück und lehnten uns gegen die Wand; Neville stand jetzt allein vor dem Schrank.
Er sah blass und verängstigt aus, doch er hatte die Ärmel seines Umhangs hochgekrempelt und hielt seinen Zauberstab bereit.
„Ich zähle bis drei, Neville.", sagte Remus und deutete mit seinem Zauberstab auf den Türknopf des Schranks. „Eins - zwei - drei - jetzt!"
Sterne stoben aus der Spitze von Remus' Zauberstab und trafen den Türknopf.
Die Schranktüren flogen auf.
Hakennasig und drohend trat Professor Snape heraus und richtete seine blitzenden Augen auf Neville.
Neville wich zurück, den Zauberstab erhoben und bewegte stumm den Mund.
Snape griff in seinen Umhang und ging drohend auf ihn zu.
R - r - riddikulus!", quiekte Neville.
Es gab einen Knall, ähnlich dem Knall einer Peitsche.
Snape stolperte; er trug jetzt ein langes, spitzenbesetztes Kleid, einen turmhohen Hut, auf dessen Spitze ein mottenzerfressener Geier saß und an seinem Handgelenk schlenkerte eine enorme rote Handtasche.
Dröhnendes Gelächter brach aus; der Irrwicht erstarrte, heillos verwirrt, und Remus rief:
„Parvati! Du bist dran!"
Parvati trat mit entschlossener Miene nach vorne.
Drohend wandte sich Snape ihr zu.
Wieder knallte es und wo er gestanden hatte, erschien eine blutbefleckte, bandagierte Mumie; ihr augenloses Antlitz Parvati zugewandt, begann sie träge schlurfend auf das Mädchen zuzugehen und hob die Arme.
Riddikulus!", schrie Parvati.
Am Fuß der Mumie löste sich eine Bandage; die Mumie verhedderte sich und fiel mit dem Gesicht auf den Boden; der Kopf rollte davon.
„Seamus!", rief Remus.
Seamus schoss an Parvati vorbei.
Knall!
Wo die Mumie gewesen war, stand eine Frau mit schwarzem Haar, das bis zum Boden reichte und einem grünlichen, skelettartigen Gesicht - eine Todesfee.
Sie machte den Mund weit auf und ein Klang wie nicht von dieser Welt erfüllte den Raum, ein lang gezogener, wehklagender Schrei, der mir die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
Riddikulus!", rief Seamus.
Die Todesfee machte ein rasselndes Geräusch und griff sich an die Kehle; sie hatte ihre Stimme verloren.
Knall!
Die Todesfee verwandelte sich in eine Ratte, die im Kreis herumrasend ihren eigenen Schwanz nachjagte und dann - knall! - zu einem blutigen Augapfel wurde.
„Er ist durcheinander!", rief Remus, „bald haben wir's geschafft! Dean!"
Dean trat rasch nach vorne.
Krach!
Der Augapfel wurde zu einer abgeschnittenen Hand; wie ein Krake kroch sie über den Boden.
Riddikulus!", rief Dean.
Es gab ein schnappendes Geräusch und die Hand war in einer Mausefalle gefangen.
„Glänzend! Ron, du bist dran!"
Ron stürzte nach vorne.
Knall!
Nicht wenige von uns schrien.
Eine riesige Spinne, zwei Meter hoch und haarig, krabbelte auf Ron zu und klickte bedrohlich mit ihren Greifzangen.
Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, Ron sei erstarrt.
Dann -
Riddikulus!", bellte Ron und die Beine der Spinne verschwanden; sie kullerte über den Boden; Lavender Brown kreischte und lief aus dem Weg und die Spinne blieb vor meinen Füßen liegen.
Ich hob meinen Zauberstab.
Knall!
Vor mir lag mein Vater und ein Dementor war über ihm.
Er saugte ihm die Seele aus.
Remus blickte mich besorgt an.
Ich hob meinen Zauberstab.
Riddikulus!", rief ich und statt eines Dementor's war dort nun eine Frau und knutschte meinen Vater ab.
Remus schmunzelte leicht und ich trat zurück.
Harry war dran.
Schon hob er seinen Zauberstab, doch -
„Halt!", rief Remus plötzlich und sprang vor!
Knall!
Die Frau und mein Vater waren verschwunden.
Einen Moment schauten sich alle aufgeregt um, wo die beiden abgeblieben waren.
Dann sahen wir alle eine silbern glitzernde weiße Kugel vor Remus in der Luft hängen.
Riddikulus!", sagte er fast lässig.
Er hat immer noch Angst vor den Vollmond, doch ich kann verstehen warum.
Knall!
Der Irrwicht landete als Kakerlake auf dem Boden.
„Los jetzt, Neville, mach ihn alle!", sagte Remus.
Knall!
Snape war wieder da.
Diesmal stürzte Neville mit entschlossener Miene auf ihn zu.
Riddikulus!", rief er und für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir Snape noch einmal im Spitzenkleid, bis Neville ein lautes, prustendes »Ha!« ausstieß und der Irrwicht explodierte, in tausend kleine Rauchwölkchen auseinander stob und verschwand.
„Hervorragend!", rief Remus und wir alle fingen begeistert an zu klatschen. „Sehr schön, Neville. Ihr alle habt eure Sache sehr gut gemacht... lasst mich kurz überlegen... fünf Punkte für Gryffindor bekommt jeder, der es mit den Irrwicht aufgenommen hat - zehn für Neville, weil er zweimal dran war... und jeweils fünf für Luna und Harry."
„Aber ich hab doch nichts gemacht.", sagte Harry.
„Du und Luna habt meine Fragen zu Beginn des Unterrichts richtig beantwortet, Harry.", sagte Remus gelassen. „Ihr wart alle sehr gut, es war eine hervorragende Stunde. Als Hausaufgabe lest bitte das Kapitel über Irrwichte und schreibt mir eine Zusammenfassung... bis nächsten Montag. Das ist alles."
Aufgeregt schnatternd verließen wir alle das Lehrerzimmer.
Ich ging noch schnell zu Remus und umarmte ihn.
„Ich wusste nicht, dass du davor Angst hast.", flüsterte er.
„Ich hatte es dir nie gesagt. Jetzt weißt du es und ich hoffe, diese Angst wird sich nie verwirklichen.", antwortete ich, gab Remus einen Kuss auf die Wange und ging wieder zu Mine, Ron und Harry.
„Habt ihr gesehen, wie ich es dieser Todesfee gezeigt hab?", rief Seamus.
„Und die Hand!", sagte Dean und fuchtelte mit seiner eigenen herum.
„Und Snape mit diesem Hut!"
„Und meine Mumie!"
„Ich frag mich, warum Professor Lupin Angst vor Kristallkugeln hat?", sagte Lavender nachdenklich.
Ich schmunzelte.
Ich glaube, sie wird auch nie erfahren warum Remus vor dem Vollmond Angst hat.
„Das war die beste Stunde in Verteidigung gegen die dunklen Künste, die wir je hatten, oder?", sagte Ron begeistert, während wir zu unserem Klassenzimmer gingen, um unsere Taschen zu holen.
„Er scheint ein sehr guter Lehrer zu sein.", sagte Mine anerkennend. „Aber ich wünschte, ich wäre auch mal drangekommen mit diesem Irrwicht."
„Was wäre er für dich gewesen?", fragte Ron glucksend. „Eine Hausaufgabe, für die du nur neun von zehn möglichen Punkten bekommen hättest?"

Luna Black 3 - Harry PotterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt