1 - Ich vergleiche mich selbst mit einem Stück Beute

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𝔽𝕖𝕒𝕣 𝕚𝕤 𝕛𝕦𝕤𝕥 𝕒 𝕗𝕖𝕖𝕝𝕚𝕟𝕘 𝕒𝕟𝕕 𝕪𝕠𝕦 𝕔𝕒𝕟 𝕘𝕖𝕥 𝕠𝕧𝕖𝕣 𝕚𝕥

Alissas Sicht:
Um mich herum war nichts als rabenschwarze Dunkelheit. Ich konnte nichts sehen, wusste nur, dass es nach oben ging. Wo oben war, oder wie lange es dauern würde, wusste ich auch nicht. Genauso wenig wusste ich, wie ich hierher gekommen war, oder wer ich überhaupt war.

Wenn ich mir das recht überlegte, war ich ziemlich schlecht informiert. Genau genommen war ich eigentlich gar nicht informiert. Ich wusste ja nicht einmal meinen Namen. Und das war es, was mich am meisten beunruhigte. Plötzlich wurde es still.

Der Aufzug, oder was auch immer das war, war stehen geblieben. Ich hörte Stimmen. Viele, hektische Stimmen. Sie kamen von draußen und drangen nur gedämpft zu mir herunter.

Da öffnete sich über mir eine Klappe und Sonnenlicht flutete herein. Zuerst war ich zu geblendet, um etwas zu erkennen, dann begann ich langsam, meine Umgebung wahrzunehmen.

Ich saß in einer Ecke und wusste nicht, was ich tun sollte. Über den Rand des Aufzugs beugten sich lauter Gesichter. Ausschließlich Jungen, wie mir auffiel. Und sie alle flüsterten etwas, das sich wie „Es ist ein Mädchen!" anhörte.

Ich hatte Angst. Furchtbare Angst. Wissen war Macht, aber ich wusste ja nicht einmal, wie ich hieß. Ich kam mir hilflos vor, schutzlos ausgeliefert, wie ich mich in meiner Ecke zusammenkauerte.

Ein Gedanke schoss durch meinen Kopf: Ich war nicht hilflos! Ich war stark! Und, wie ich mir in diesem Moment vornahm, ich würde herausfinden, wo und wer ich war. Ich würde es schaffen.

Meine neue Zuversicht begann sich in Luft aufzulösen, als ein Junge zu mir in den Aufzug sprang. Er hatte blonde Haare und braune Augen.

Mit einem Grinsen im Gesicht sagte er: „Tag eins, Frischling!"

Ruckartig stand ich auf. Es gefiel mir nicht, dass er mich Frischling nannte, genauso wenig wie es mir gefiel, dass er mir immer näher kam. Ich fühlte mich wie ein Stück Beute, das demnächst seinen letzten Tag auf Erden erlebte. Ich geriet in Panik und dann übernahmen meine Instinkte die Führung.

Ich schubste mir meinen Weg frei und wollte einfach nur weg. Ich entdeckte ein hohes Gebäude. Ohne weiter darüber nachzudenken, lief ich darauf zu und wenig später war ich ganz oben. Die Jungs wollten zu mir raufkommen. Aber ich wollte nicht, dass sie mir zu nahe kamen. Ich wollte Antworten.

Auf dem Gebäude fand ich allerlei Dinge, die man prima nach unten werfen konnte. Was ich auch machte. Dadurch konnten die Jungs nicht zu mir rauf. Sie riefen wild durcheinander, aber auch wenn ich nicht genau verstand, was sie sagten, merkte ich an ihrem Tonfall, dass es nichts allzu Nettes sein konnte.

Sie versuchten immer wieder, zu mir heraufzukommen, aber ich wollte es nicht. Ich hatte Angst vor ihnen, obwohl ich keine Angst haben wollte. Doch trotz meiner fehlenden Erinnerungen war ich mir ziemlich sicher, dass ich ein neugieriger Mensch war. Wie ich darauf kam? Ganz einfach:

Ich wollte wissen, wo ich war, wer ich war, wer diese ganzen Jungen waren und noch so vieles mehr. Und der Drang nach Antworten war sogar noch stärker als meine Angst, obwohl ich das eigentlich nicht für möglich gehalten hätte. Also fasste ich einen Plan.

Als der blonde Junge einen erneuten Versuch startete, zu mir heraufzukommen, ließ ich ihn gewähren. Mit einem würde ich fertig werden, hoffte ich zumindest. Aber mehr als einen Jungen wollte ich wirklich nicht hier haben, deshalb hielt ich meine Verteidigung natürlich aufrecht. Schließlich war der Junge oben angekommen.

„Hey, hab keine Angst! Ich bin Newt!", sagte der blonde Junge.

Er sagte das auf eine Art und Weise, wie man vielleicht mit einem verängstigten Reh gesprochen hätte und ich war mir ziemlich sicher, dass ich nicht wie ein verängstigtes Reh behandelt werden wollte. Auch, wenn ich mich momentan ein bisschen so fühlte.

Der Junge, Newt, fuhr fort: „Wir tun dir nichts! Du bist bei uns sicher! Wie heißt du überhaupt?"

Ich gab keine Antwort. Zum einen wusste ich es nicht, zum anderen fiel mir plötzlich auf, dass mein Plan ziemlich viele Schwachstellen aufwies. Genau genommen war es nicht einmal ein richtiger Plan. Ich wurde immer panischer und mein Gehirn schaltete auf Automatik um. 

The girl in the mazeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt