Kapitel 7

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Samstag, 9. Oktober 2021

[Annalena Baerbocks POV]

Als ich aufwachte, fühlte sich mein Körper schwerfällig an. Mein Kopf brummte. Nein, ich hatte gestern keinen Alkohol getrunken, da war ich mir sicher. Vorsichtig richtete ich mich auf und lief zum Badezimmer. Ich schaute in den Spiegel und blickte in mein eigenes Gesicht. Meine Haare waren verwuschelt, wie jeden Morgen, meine Haut sah blass aus, doch auch das war nicht ungewöhnlich. Einen Moment verfiel ich in Gedanken. Als mir die Bilder des gestrigen Abends ins Gedächtnis kamen, musste ich lächeln. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich glauben, ich hätte geträumt. Doch es musste wohl genau so gewesen sein, wie ich es in Erinnerung hatte, zumindest verrieten das die dunkelroten Flecken, die meinen Hals zierten. Meine Finger fuhren vorsichtig darüber und riefen das Gefühl der Hitze in mir hervor, das ich noch am Vorabend empfunden hatte, als Alice' Lippen überall an meinem Körper gewesen waren.

Nach meiner morgendlichen Tasse Tee entschied ich, Alice zu kontaktieren. Ich konnte die Geschehnisse des letzten Abends nicht vergessen und musste unbedingt wissen, welche Auswirkungen sie haben würden. Keine Frage, Alice schien keineswegs abgeneigt gewesen zu sein, doch genau sagen, welche Folgen das für uns haben würde, das konnte ich nicht. Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich auch noch nicht gehabt, gestern war ich beinahe unmittelbar erschöpft ins Bett gefallen, nachdem ich die Wohnung betreten hatte und nun kreisten meine Gedanken in immer wieder gleichen Bahnen um ein und dasselbe Thema... um ein und dieselbe Person. Noch immer verwirrt, doch in freudiger Erwartung griff ich zu meinem Handy. Was sollte ich ihr überhaupt schreiben? Ich hatte weder ihre Nummer, noch waren wir offiziell per du, und trotzdem hatte diese Frau gestern jede Stelle meines Körpers berührt.


[Alice Weidels POV]

Ich denke, wir müssen reden.

Annalena.

Obwohl man aufgrund der fehlenden Grußformel und der Kürze des Textes darauf schließen könnte, dass es sich um eine schnelle Textnachricht handelte, starrte ich auf die E-Mail. Noch nie – nicht einmal mit beruflichem Hintergrund – hatte sie mir geschrieben. Keine Frage, wir mussten reden. Immer noch zerbrach ich mir den Kopf, was das gestern gewesen war und wo es hinführen würde. Mein Herz begann beinahe zu rasen, als meine Gedanken bei Annalena angelangten und mir bildlich vor Augen schwebte, wie sie gestern mein Büro betreten und mich geküsst hatte.

Ich stützte meine Arme auf die Küchentheke und begann zu tippen. Ich tippte. Und löschte den gesamten Text. Und wieder. Ein paar Mal, bis ich schließlich das Hand weglegte und mein Gesicht in den Händen vergrub.

Nur wenige Stunden später klingelte es an meiner Tür. Ich atmete tief durch und öffnete diese zögerlich. Vor mir stand sie, die wunderschöne Brünette, die mir nicht mehr aus dem Kopf ging. Sie trug einen dunkelblauen Rock, darüber eine Bluse und eine schwarze Lederjacke, ihre Haare hangen ihr locker knapp über die Schultern – wie immer. „Hi", sagte sie und lächelte mich etwas unbeholfen an. Vermutlich hoffte sie, dass ich genau wusste, was nun zutun war, doch ich wusste es nicht. Ich bat sie herein und bot ihr etwas zu trinken an, was sie dankend annahm.

„Ich glaube... wir müssen über gestern Abend reden. Ich weiß nicht, wie Sie dazu stehen..." – „Wir werden uns nach dem, was war, doch wohl nicht weiterhin siezen. Bitte nenn mich einfach Alice." Das schien zumindest eine der Fragen, die wohl in Annalenas Kopf herumgeisterten, zu beantworten, denn sie lehnte sich nun sichtlich entspannter zurück. Auch wenn das nun geklärt war, blieb weiterhin eine riesige Wolke an Verwirrung, die beinahe spürbar im Raum hing und merklich an den Nerven beider nagte. „Ich weiß es nicht, du bist doch in mein Büro gekommen und hast mich..." – „Kaum zu schweigen davon, was du danach mit mir gemacht hast.", entgegnete Annalena. Chapeau. Sie hatte Recht. Ich beugte mich vor und stellte die Tasse, die ich bis jetzt fest mit meinen Fingern umschlossen hatte, auf den hölzernen Tisch vor mir. „Wieso bist du in mein Büro gekommen? Wolltest du die Sache mit Habeck klären? Ging es darum, was ich gesehen habe?" – „Ich weiß es nicht...", begann sie zu stammeln, „teilweise vielleicht, weil mir deine Meinung wichtig ist. Meine Gefühle haben mich einfach überwältigt, ich..." Ihre Gefühle? Gefühle für... mich? Perplex starrte ich sie an, nicht dass ich die Gefühle nicht erwiderte, doch nach allen Zweifeln war es beinahe verwunderlich, das aus ihrem Mund zu hören.


[Annalena Baerbocks POV]

Ich verstummte, als Alice mich mit geschocktem Blick anschaute. Hatte ich etwas Falsches gesagt? War das alles ein großer Fehler gewesen? Empfand Alice ganz anders als ich? Empfand sie... nichts für mich? Die Fragen häuften sich und binnen Sekunden befand sich in meinem Kopf nichts als ein riesiges Fragezeichen. Das Klopfen meines Herzens schien sich auf einmal beinahe zu überschlagen und ich merkte, wie meine Finger heiß und schwitzig wurden. Während ich tag täglich vor hunderten von Menschen sprechen konnte und mir nicht einmal die Kritik politischer Gegner etwas anhaben konnte, lockte mich diese Situation aus meiner Reserve. Ich fühlte mich plötzlich unendlich klein und verletzlich und bereute, dass ich hierhergekommen war, um mit Alice zu reden. Alice. Alice schwieg immer noch und schien mir mit ihren blauen Augen direkt in die Seele zu blicken. Meine Nervosität stieg exponentiell. Es fühlte sich an, als säße ich hier seit Stunden, obwohl bestimmt nicht einmal eine Minute verstrichen war, seit ich Alice meine Gefühle gestanden hatte.

Alice beugte sich vor, stützte ihre Hände links und rechts neben mir ab und küsste mich. In dem Moment, in dem ihre Lippen meine berührten, löste sich alle Anspannung meines Körpers und ich ließ mich vollkommen fallen. Mit meinen Händen fasste ihr Gesicht, sodass sie den Kuss nicht beenden konnte, selbst wenn sie wollte. Doch sie schien das gar nicht zu wollen. Unsere Zungen verschmolzen förmlich miteinander und die überwältigenden Gefühle, die ich gestern empfunden hatte, überkamen mich mit einem Mal erneut und ergriffen voll und ganz Besitz von mir.

Als Alice sich von mir löste, war meine Atmung ungleichmäßig, immer noch war ich eingenommen von den Schmetterlingen in meinem Bauch und der Hitze in meinem gesamten Körper. „Hier hast du deine Antwort.", flüsterte Alice mit einem Lächeln auf den Lippen. Wir wussten beide, dass ich keine Frage gestellt hatte und darüber hinaus wussten wir, dass das die Bestätigung dafür war, dass Alice das gleiche empfand. Ich war nicht in der Lage, darauf zu antworten, zu sehr war ich eingenommen von allen Empfindungen, die meinen Körper durchströmten. Das Auf und Ab zwischen Aufregung und Erlösung führte dazu, dass sich mein Kopf nun wie leergefegt anfühlte. Leer, bis auf den Gedanken an die Frau, die mir nun wieder still und Tee trinkend gegenübersaß, als hätte sie mir nicht eben den innigsten Kuss meines Lebens gegeben. Sie verblüffte mich und ich schaute sie mit bewundernden Augen an. Sie trug ihre Haare offen, nicht wie sonst in einem strengen Dutt, und es stand ihr. Genauso, wie ihr die hellblaue Bluse und die dunkle Jeans standen, die ihrem wohlgeformtem Körper schmeichelten. Da waren wie wieder, die Schmetterlinge im Bauch.

Es fühlte sich an, wie eine Ewigkeit, in der wir nur dasaßen. Stumm. Jede für sich beschäftigt mit der dampfenden Tasse Tee in der Hand. In meinem Bauch kribbelte es noch immer und von Zeit zu Zeit traf mein Blick den von Alice. Schließlich fasste ich mir ein Herz und durchbrach die Stille, die – wie zuvor die Unwissenheit – in der Luft hang wie ein dichter Nebel. „Alice?" – „Hm?" – „Eigentlich war das keine Antwort." – „Nicht?" Alice lachte. Sie war sich selbst bewusst, dass es eines klärenden Gesprächs benötigte, statt eines Kusses, egal wie sehr ich ihre Lippen auf meinen spüren wollte. Ich schüttelte den Kopf, um ihre rhetorische Frage mit Nachdruck zu beantworten und hoffte schließlich darauf, dass sie das Wort ergreifen würde. Und das tat sie. „Lass es uns versuchen, Annalena. Wir beide, zusammen." Ich schluckte. Meinen Namen aus ihrem Mund zu hören, verschlug mir beinahe die Sprache und alles, was ich zustande brachte, ist ein zustimmendes Nicken.

Verbotene Koalition || Baerbock x WeidelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt