Kapitel 7

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Ich musterte den Dunkelhaarigen vor mir genau, der langsam aber sicher die Geduld zu verlieren schien. Sein Ausdruck war gelangweilt und leicht angespannt.

"Parker", zischte er, "meine Arbeitsblätter?"

Ich grinste breit. "Bien sûr, monsieur.", sagte ich und lehnte mich an die halb offene Tür.

"Könntest du deinen Hintern bewegen und meine Materialien holen?"

Jetzt zuckte ich mit den Schultern und setzte ein süßes, unscheinbares Lächeln auf.

"Parker!" Seine Stimme war jetzt ein wenig tiefer, seine Augen eine Nuance dunkler.

Ich schob mir die Brille wieder auf die Nase, die viel zu weit heruntergerutscht war und stellte mich schließlich wieder gerade hin.
"Was ist denn?"

Er verengte die Augen zu Schlitzen, dann umspielte ein freches Grinsen seine Lippen. "Ich kann sie mir auch selbst holen.", erwiderte er immer noch grinsend und machte Anstalten, das Haus zu betreten.

Ich schob ihn wieder vor die Tür und funkelte ihn an. "Warte hier", war alles, was ich sagte, bevor ich mich umdrehte und zur Treppe ging, die mich in den ersten Stock führte.

Aus meinem Rucksack holte ich die Mappe, in der ich die Sachen für ihn verstaut hatte und rollte mit den Augen, als ich an das alles gerade eben zurückdachte.
Aidan hielt sich wahrscheinlich wirklich für unwiderstehlich oder so. Pff.

Als ich die Treppen wieder runterstieg und zur Tür ging, war sie verschlossen. Vielleicht hatte der Wind sie zugeschlagen? Oder Aidan war gegangen und sein eigentliches Ziel war es gewesen, mich zu nerven?
Sein Motorrad stand an Ort und Stelle. Nur von Aidan war nichts zu sehen, als ich die Tür öffnete.

"Vielen Dank", raunte mir von hinten jemand ins Ohr und ich schrie auf, sodass mein Hals noch mehr weh tat, drehte mich ruckartig um und hatte die Hand bereits erhoben, um zuzuschlagen, die Aidan jedoch in letzter Sekunde abfing.

"Was machst du in meinem Haus?"
Ich versuchte mich seinem Griff zu entreißen, was sich als äußerst schwierig herausstellte.

"Du hast die Tür offen stehen lassen.", meinte er schulterzuckend, als wäre es das Normalste der Welt.

"Das war keine Einladung.", erwiderte ich und sah ihn böse an.
Was erlaubte er sich?

Er hob die Augenbrauen und ließ mein Handgelenk endlich los, das von seiner Berührung pochte. "Ach nein?"

"Nein." Ich drückte ihm die Arbeitsblätter gegen die Brust. "Und jetzt verschwinde endlich wieder und schieb dir deine Arbeitsblätter in dein Arsch-iv."

Aidan dachte jedoch nicht einmal daran. "Du hast es nicht so mit Gastfreundschaft, oder Parker?"

"Und du hast es wohl nicht so mit in-Frieden-leben-lassen, oder Negro?", konterte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

Aidan zuckte erneut nur mit den Schultern, was mich fast zur Weißglut brachte. Aber nur fast.
Ich kehrte ihm den Rücken zu und marschierte in die Küche, um mir einen Kakao zu machen. Könnte ich jetzt wirklich gebrauchen. Und da ich Tee und Kaffee hasste, blieb mir ehrlich gesagt bei diesen Halsschmerzen auch nichts anderes mehr übrig.

"Milch mit Honig"

Ich drehte mich um. Aidan lehnte an der Theke und beobachtete mich.

"Was?"

"Versuch es mit warmer Milch und einem Löffel Honig. Das hilft gegen Halsschmerzen."

Irritiert sah sah ich ihn an. Woher wusste er, dass ich Halsschmerzen hatte?

"Du glotzt wieder wie ein Kugelfisch."

"Tue ich gar nicht!"

"Tust du doch"

"Tue ich nicht!"

"Tust du doch"

Ich sah ihn an. "Wieso bist du
eigentlich immer noch hier? Nimm deine Arbeitsblätter mit und verschwinde, Negro."

Aidan kam mir näher und ich wich einen Schritt zurück, bis ich die Küchentheke im Rücken spürte.
Seine dunklen Augen sahen auf mich herab und für einen kurzen Augenblick konnte und wollte ich mich unter seinem fesselnden Blick nicht bewegen.

Was zum Teufel ist denn jetzt mit mir falsch? Hallo? Aidan Negro? Klingelt's?

Im nächsten Moment stieß ich ihn von mir und ging an ihm vorbei, rammte ihn mit der Schulter, wie er es auf dem Gang in der Schule mit mir gemacht hatte.
Ich öffnete die Tür und deutete ihm mit einer Geste, hinauszutreten.

"Weißt du, Parker, du läufst so elegant wie eine Ente."

Empört sah ich ihn an. "Wie bitte?"
Jetzt grinste er wieder und was würde ich dafür geben, ihm dieses Grinsen mit der Faust aus dem Gesicht zu wischen!

"Ich sag's ja nur. Die Art, wie du deinen Hintern schwingst, wenn du läufst, hat was von dem Gang einer Ente."

Ich hob die Augenbrauen. "Und weshalb genau liegt dein Blick auf meinem Hintern?", fragte ich.

Aidan drückte sich an mir vorbei und stand nun wieder vor dem Haus - so, als hätte ich die Tür gerade erst geöffnet und als sei er nie drin gewesen.

"Vielleicht hast du einen schönen Hintern."

Ich schnaubte. "Pass auf, dass du nicht gleich auf deinem Hintern landest, Negro."

Er lachte leise und mir wurde bewusst, dass es das erste Mal war, dass ich ihn wirklich lachen hörte.
Aidan Negro lief wie ein emotionsloses Wrack durch die Schulflure, kalt - und aggressiv. Ein Kommentar und man konnte davon ausgehen, dass alle Sicherungen bei ihm durchbrannten. Er ließ niemanden nahe an sich ran, nicht einmal seine "Freunde".
Zayn erzählte immer wieder, dass Aidan nicht so wahr, wie alle dachten, wie ich dachte - aber ehrlich gesagt hatte ich ihm nie geglaubt. Ich tat es immer noch nicht.

"Ich werde mich vor dir in Acht nehmen.", erwiderte er und zwinkerte.

Wow. Was war denn jetzt geschehen? Vom arroganten Kotzbrocken alias Badboy zum Playboy oder was?

"Das solltest du auch."

Er drehte sich wieder um und warf mir einen amüsierten Blick über die Schulter zu, bevor er sich den schwarzen Helm mit dem Totenkopf und dem verspiegelten Visier wieder aufsetzte. Ich beobachtete ihn dabei, wie er die Arbeitsblätter, die ich schon vollkommen vergessen hatte, in seinen Rucksack steckte und schließlich auf die Maschine stieg.
Aidan zog sich lederne Motorradhandschuhe über und hob die Hand zum Abschied. Und vom einen Moment auf den anderen war er weg.

Verwirrt über alles, was gerade geschehen war, schloss ich die Tür und lief verdattert zurück in die Küche, wo mein Kakao schon kalt geworden war.
Hatte ich gerade eine andere, eine neue Seite von Aidan gesehen? War das das, was Zayn meinte?
Ich hasste ihn immer noch.
"Du läufst so elegant wie eine Ente."
Wirklich witzig. Ha. Ha. Ha.
Verärgert setzte ich mich erneut auf die Couch und öffnete das Buch. Jetzt würde ich mich nicht noch einmal stören lassen.
Aidan Negro, du kannst mich mal, dachte ich.

Zerschmettert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt