Kapitel 20

508 18 23
                                    

"Nach der Schule vor dem Haupteingang."
Das waren Negros Worte gewesen. Ich erinnerte mich ganz genau an den Ton, in dem er es gesagt hatte, wie er die Worte ausgedrückt hatte.
Und jetzt?
Jetzt stand ich alleine vor dem Haupteingang und musste dabei zusehen, wie alle die Schule verließen und sich auf den Heimweg machten. Während ich weiterhin auf ihn warten musste, während ich gleich meine Freizeit mit ihm verbringen musste. Ich konnte mich ehrlich nicht entscheiden, ob ich ihn oder Dylan mehr hasste.

"Na Schnecke?"
Wenn man vom Teufel spricht...

Dylan lehnte sich an die Wand neben mir und versuchte, irgendwie größer zu wirken als ich, in dem er so tat, als würde er auf mich herab sehen.

Manche Mädchen würden sich geschmeichelt fühlen mit "Schnecke" angesprochen zu werden. Ich nicht. Und ganz bestimmt nicht von ihm. Wieso er immer bei Zayn, Caleb und... Aidan war? Keine Ahnung. Auch die drei konnten ihn nicht wirklich leiden - er klammerte viel zu sehr und war sehr aufdringlich. Von seinem Cousin Maison ganz zu schweigen.

"Um eine Schnecke zu sehen, solltest du dich besser dahinten zu den Bäumen gesellen, Dylan.", erwiderte ich und schnaubte, als ich zum Eingang blickte und von Negro immer noch keine Spur zu sehen war.

Wenn er in fünf Minuten nicht da ist, bin ich weg, dachte ich und band mir - zufrieden mit diesem Gedanken - die Haare im Nacken zusammen.

"Jetzt sei doch nicht so, Süße.", lächelte er dieses ekelhafte, schmierige Lächeln und zog an einer Zigarette.

Ich hustete, als er mir den Rauch ins Gesicht blies. "Geh die Luft woanders verpesten."

Eine dunkle und raue Stimme unterbrach Dylan, als dieser gerade den Mund aufmachen wollte. "Bereit?" Und ich schwöre bei Zayns PS5, dass ich noch nie in meinem Leben so froh darüber gewesen war, Aidan Negro zu sehen. Noch nie.

Seine dunklen Augen fixierten mich, als ich mich zu ihm umdrehte und ihn erleichtert ansah. Wie von einer Tarantel gestochen, rannte ich beinahe auf ihn zu - Hauptsache weit weg von Dylan Jones, dessen Ruf auch nicht gerade der beste war.
Aidan stand da, die Hände in den Hosentaschen vergraben - und musste wirklich zu mir hinunter sehen und nicht nur so tun als ob.

"Wie kann man allen Ernstes so wenig Würde besitzen und sich auf ihn einlassen?", fragte ich angeekelt, als wir außer seiner Hörweite waren. Ich weiß auch nicht, wieso ich plötzlich Konversation mit ihm startete. Vielleicht, um dieses Schweigen ein bisschen weniger unangenehm zu gestalten.

Der Dunkelhaarige zuckte mit den Schultern und hielt mir die Tür der Bibliothek auf, in der wir uns die nächste Zeit wohl zusammen aufhalten würden, was mich kurz überrascht zögern ließ. Er besaß so etwas wie Manieren? Wow.

"Dylan schmiert den Mädchen, die leicht zu haben sind, Honig ums Maul." Er steuerte auf die hinterste Ecke der Bibliothek zu und setzte sich an den Tisch. "Und wenn sie dann doch sehen, was für ein Feigling er ist, erzählt er überall herum, er hätte Schluss gemacht."

Ich stellte meinen Rucksack ab und setze mich neben ihn, achtete aber darauf, dass immer noch genug Platz zwischen uns war. Schließlich waren wir hier nicht zum Kuscheln, sondern um ein Referat vorzubereiten, das wir noch würden halten müssen.

Wie ich Referate verabscheute. Jedes Mal, wenn ich dort vorne stand, begann meine Stimme zu zittern, ich begann damit, meine Hände nervös zu kneten - und in meinem Kopf herrschte jedes Mal dasselbe Durcheinander, das mich meinen Text vergessen ließ. Ich war nicht schüchtern - jedenfalls seit der siebten Klasse nicht mehr -, und doch machte mir so etwas Einfaches wie ein Referat unglaublich zu schaffen und versetzte mich so dermaßen in Panik, dass ich während des Sprechens kaum Luft bekam. Wahrscheinlich nicht sehr gesund. Wer hatte sich diese schrecklichen Vorträge überhaupt ausgedacht? Diese Person gehört jedenfalls verflucht und gefoltert.

Zerschmettert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt