Kapitel 4 - Ethans Vorrecht

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Keuchend starrte ich durch die verdunkelte Fensterscheibe auf die Straße und betrachtete den Vampir, der mit grimmiger Miene der anrollenden Limousine hinterher sah.

Ethan hatte gar nicht erst angedeutet, sich gentlemanlike auf die Sitzbank mir gegenüber niederzulassen – genug Sitzgelegenheiten gab es in diesem prunkvollen Auto mitsamt eigenem Chauffeur allemal. Ganz selbstverständlich hatte er dicht neben mir Platz genommen und betrachtete meine zitternden Hände.

Mein Herz raste wie von Sinnen, die Anspannung brachte nun auch den Rest meines Körpers zum Zittern, als mir klar wurde, was soeben geschehen war. Ich hatte jemanden getötet.

Das Gesicht des sterbenden Vampirs brannte sich in mein Gehirn. Die trüb werdenden Augen, das Geräusch, als der Pflock sich durch seine stahlharte Brust bohrte, die in dem Moment weich wie Butter geworden war. Sein Gestank. Die Gedanken rotierten in meinem Kopf, als hätte der Wind höchstpersönlich alles durcheinandergewirbelt.

»Ich muss gestehen, dein Mut hat mich überrascht, Gwendoline«, summte seine Stimme friedlich.

Ich dachte an Godric. Er wäre keinesfalls überrascht. Aber er hatte mich auch in- und auswendig gekannt und mich nie unterschätzt.

Ich war mir sicher, mein Bruder wäre stolz auf mich gewesen.

Die Limousine fuhr um eine Ecke und der Vampir verschwand aus meinem Sichtfeld, was Ethan in den Fokus rückte. Er betrachtete noch immer meine zitternden Hände, die ich in den Schoß legte, um sie ruhigzustellen.

»Danke«, sagte ich mit einem gezwungenen Lächeln.

Er zog verwundert die Augenbrauen zusammen und nickte: »Gern geschehen.«

»Was passiert mit der Leiche? Was ist mit diesem Derek? Stecke ich in Schwierigkeiten?« Aufgewühlt sah ich durch die Heckscheibe zur Promenade zurück.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte er mich, »Ruby kümmert sich um den toten Vampir.«

Das ungute Gefühl, welches von mir Besitz ergriffen hatte, wurde dadurch nicht besänftigt. »Die Ruby, die mich töten will?«

Amüsiert lachte er auf, präsentierte mir seine glänzenden Eckzähne, die ein bisschen länger als die eines Menschen waren. Ich zwang mich, mich von diesem anziehenden Anblick zu lösen.

»Sie wird dir nichts tun, ich habe es ihr verboten«, erklärte er schließlich.

»Das heißt mein Leben hängt von deiner Laune ab? Dann sollte ich besser nett zu dir sein.« Ich streifte ihn mit einem spöttischen Blick.

»So war das nicht gemeint. Was auch immer passiert – ich würde ihr sicherlich nicht gestatten dir ein Haar zu krümmen, nur weil sie eifersüchtig ist. Und was Derek angeht...«

Verwundert unterbrach ich ihn: »Moment mal, wieso ist sie eifersüchtig?«

Er hielt inne und schloss den Mund, nur um die Lippen zu einem Lächeln zu kräuseln. Gleichzeitig bemerkte ich, dass der Innenraum des Wagens sich mit einem würzigen Ingwer-Duft füllte.

»Offensichtlich schenke ich dir Aufmerksamkeit. Für einen Sukkubus ist es völlig normal sich ihrem Schöpfer zu verschreiben. Sie will mich für sich allein.« Der arrogante Glanz war zurück in seinen Augen, während er sich das Revers glattstrich.

Mir entglitt ein Schnauben: »Sie kann dich gerne behalten!«

»Heute Abend, wenn du im Bett liegst und verzweifelt versuchst einzuschlafen, wirst du das nicht mehr denken«, meinte er ungerührt.

Lichtbringer Akademie: Drachenzauber (Buch 2 der Romantasy Jugendbuch-Reihe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt