(Lesedauer ca. 8 Minuten)
Wir setzten uns an einer abgelegenen Stelle in den weißen Sandstrand des Refugiums. Die Vampire konnten Schattenhain nicht vor Anbruch der Dunkelheit verlassen. Es gab zwar einige Dämonen, denen dies vergönnt war, die Stelle war jedoch unbelebt und schien uns sicher.
Ich hatte mich noch nicht ganz beruhigt und war dankbar, als Adalar den silber glänzenden Flachmann aus der Innentasche seines Schulblasers holte. Er nippte daran und nach einem vergewissernden Blick zu Draca, reichte er mir das Behältnis.
Dominik und Draca beobachteten mich schweigend, während ich einen großen Schluck Whiskey aus der Flasche herunter kippte. Die vertraute Hitze, die mir wie ein Film die Speiseröhre herunterlief und den Magen ausfüllte, lenkte mich zwei Sekunden von meinem Leid ab.
Nie im Leben hatte ich so viel Wut und Enttäuschung verspürt. Nie.
Ich wollte ein zweites Mal ansetzen, doch Draca funkte dazwischen: »Das genügt!«
Ich wollte erst etwas sagen, doch dann wurde mir klar, dass sie mich nur aufgrund der Situation gewähren ließen und ich dem Trinken eigentlich entsagt hatte. Ich stellte fest, wie sehr ich daran gewöhnt war meinen Schmerz mit Alkohol zu betäuben, denn ich wollte in diesem Augenblick nichts mehr, als den kompletten Inhalt des Flachmanns hinunterzukippen. Das musste aufhören. So durfte ich nicht werden. Ich konnte nicht zulassen, dass die Ernüchterung über einen verlogenen Vampir mich zum Trinken trieb.
Bevor mich der Drang überwältigte, griff Hayley nach dem Behältnis und trank ebenfalls einen großen Schluck daraus. Das Treffen mit Curly hatte sie mitgenommen, das war ihr anzusehen. Ich wusste, es war ihr nicht leicht gefallen, sie einfach ziehen zu lassen. Adalar musste es ähnlich gehen. Vielleicht sogar schlimmer. Doch sie thematisierten es nicht. Meine Freunde saßen um mich herum am Strand und warteten darauf, dass ich mich beruhigte. Insbesondere Dominik war anzusehen, dass es ihm schwerfiel, mich nicht durch seine Lichtbringerkräfte zu beruhigen. Ich atmete tief durch und wischte mir die Tränen von den heißen Wangen. Das Plätschern der seichten Wellen, das Glitzern der Sonne auf dem Wasser, die salzige Brise, die mir verspielt durchs Haar wehte und die wohltuende Wärme der Mittagssonne lullten mich ein.
»Also schön«, sagte ich und versuchte, ein Lächeln in die Runde abzugeben, »ich kann mich später im Bett noch genug bemitleiden – wie gehts jetzt weiter?«
Erstaunlicherweise hatten die Vampire von Schattensang uns ohne weitere Vorkommnisse ziehen lassen. Ohne Frage hatte Ethan sie dazu beordert, denn die Gestalt eines Drachen hätte den ein oder anderen mit Sicherheit zu einem Angriff provoziert. Dennoch hatten sie uns nur mürrisch beobachtet, wie wir das Stadttor passiert hatten, um uns auf den neutralen Boden des Refugiums zu verziehen. Hier war es keinem Vampir erlaubt anzugreifen.
Mein Bruder ergriff das Wort. »Ethan wird versuchen zu verhandeln. Sein Diebstahl wird nicht ohne Folgen für ihn bleiben. Was auch immer er in Schattensang für eine Position hat, außerhalb der Stadt ist er nun ein Geächteter.« Draca blickte in jedes Gesicht einzeln, wie um sich zu vergewissern, dass jeder von uns es verstanden hatte.
»Was hat das zu bedeuten?«, wollte ich wissen.
»Der hohe Rat von Immerherz wird sich über sein Schicksal neu beraten«, erklärte Dominik.
Vom hohen Rat hatte ich schon viel gehört, zu Gesicht bekommen hatte ich noch keinen von ihnen. Doch mir war klar, dass sie diese Parallelwelt regierten.
»Dazu müssten sie ihn erst mal kriegen«, erwiderte ich.
Der Blickwechsel zwischen Draca, Adalar und Dominik blieb mir nicht verborgen – ebenso wenig der Anflug ihres arroganten Lächelns.
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Lichtbringer Akademie: Drachenzauber (Buch 2 der Romantasy Jugendbuch-Reihe)
ParanormalDie Tochter eines Vampirs und einer Lichtbringerin kämpft gegen die Trauer über ihren verlorenen Zwillingsbruder und taucht dabei immer tiefer in die Welt des verbotenen Refugiums ein. Ihre neuen Freunde versprechen ihr, was sie am schmerzlichsten v...