Meinem Bein ging es blendend, doch für den heutigen Tag war ich vom Unterricht befreit, was auch bedeutete, dass ich nicht am Training würde teilnehmen dürfen. Das warf mich enorm zurück, immerhin war bereits am Freitag die Prüfung – das war schon übermorgen. Auf der anderen Seite war ich irgendwie froh darum, denn der Schreck meines Unfalls steckte mir noch in den Knochen. Abgesehen davon war es dermaßen schlecht gelaufen, dass ich keine Ahnung hatte, wie ich es je schaffen sollte, in dieser kurzen Zeit meine Defizite auszumerzen. Das Studium interessierte mich momentan am allerwenigsten. Es gab nur zwei Gründe, weshalb ich so dringend hierbleiben wollte: Godric und Ethan.
Meine Mutter hatte bereits zwei Mal völlig überbesorgt angerufen und ich hatte es gerade eben so geschafft sie davon überzeugen, nicht nach Immerherz zu kommen. Am Ende würde sie nur von meinen Eskapaden erfahren und dann steckte ich womöglich so richtig in Schwierigkeiten.
Durch das Fenster sah ich immer wieder dunkle Schatten von Drachen, die die schwebende Insel der Lichtbringer Akademie auf Patrouille überflogen. Das war unüblich, doch da alle drei Dracheneier des Teufelsdrachen verschwunden waren, hatte die Akademie zu dieser Maßnahme gegriffen. Überall wurde fieberhaft gesucht. Es ging das Gerücht um, dass sogar verschiedene Zimmer der Internatsschüler durchsucht worden seien.
Ich konnte Ethan nicht erreichen. Eine Handynummer hatte ich von ihm nicht. Seit seiner Aufwartung am Vorabend hatte er einfach die telepathische Leitung zwischen uns gekappt. Meine Aura stand auf Dauerempfang – was ziemlich nervig war, denn mein Bruder und Hayley meldeten sich immer wieder besorgt bei mir. Dabei fühlte ich mich längst besser.
Warum nur meldete ausgerechnet er sich nicht? Ich hatte einige Fragen an ihn. Angefangen damit, wieso er das Risiko auf sich genommen hatte, aus dem Refugium zu schleichen, wieso ihn niemand hatte sehen können und weshalb er gleich alle drei Eier hatte mitgehen lassen. Für das Ritual benötigten wir nur eines. Ich war sauer auf ihn, gleichzeitig fühlte ich mich geehrt und irgendwie besonders, da er mir den verbotenen Besuch abgestattet hatte. Die Informationen über den Verbleib der Eier hatte er sich heimlich durch das Belauschen meiner Gedanken verschaffen, so viel war sicher. Aber wenn er mich belauscht hatte, musste er auch von unserem Plan wissen, dass wir erst versuchen wollten herauszufinden, welche Zukunft die Drachenkinder erwartete. Wir hatten keineswegs vor eines der guten Eier zu opfern. Zudem war nur von einem Drachenei die Rede gewesen und nicht von allen. Ich fühlte mich benutzt. Und obwohl Everly von mir kein Sterbenswörtchen erfahren hatte über den Besuch, ahnte sie, dass Ethan dahinter steckte. Ich hatte allerdings keine Ahnung, ob und wie lange sie dichthalten würde. Ein falsches Wort und ich sah mich bei ellenlangen Verhören durch den Direktor vergammeln und schlimmer noch: ich sah die ersten Drachen sich einmischen.
›Ethan, melde dich endlich bei mir – es ist wichtig‹, beschwor ich ihn hoffnungsvoll.
Nichts.
Stattdessen vibrierte mein Handy, da meine Mutter mir schon wieder auf Whatsapp eine Nachricht geschickt hatte. Für eine Sekunde hatte ich gehofft, er sei es. Ich verspürte eine Welle der Enttäuschung über mir hereinbrechen.
In einer halben Stunde begann die Mittagspause. Dann würden sie alle wieder in meinem Zimmer auftauchen, um nach mir zu sehen. Darauf konnte ich verzichten! Ich brauchte ihr Mitleid nicht. Was ich jetzt nötig hatte, waren Antworten! Das Handy ignorierend, schlug ich die Bettdecke bei Seite und erhob mich schwungvoll aus dem Bett. Ich blockierte meine Aura – wenn Ethan mich von jetzt an kontaktieren wollte, hatte er Pech gehabt.
Geflissentlich die Bettruhe-Anordnung missachtend, nahm ich eine schnelle Dusche und schlüpfte in Netzstrumpfhose, Hotpants und ein schwarzes Chiffonoberteil, durch das mein dunkler BH eindeutig zu sehen war. Mit ein paar geübten Pinselstrichen stachen meine blauen Augen noch intensiver durch das Smokey Eyes Make-up hervor, als sie es aufgrund der dunklen Haare sowieso schon taten.
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Lichtbringer Akademie: Drachenzauber (Buch 2 der Romantasy Jugendbuch-Reihe)
ParanormalDie Tochter eines Vampirs und einer Lichtbringerin kämpft gegen die Trauer über ihren verlorenen Zwillingsbruder und taucht dabei immer tiefer in die Welt des verbotenen Refugiums ein. Ihre neuen Freunde versprechen ihr, was sie am schmerzlichsten v...