Donnerwetter

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Noch bevor Emilia am Morgen die Augen aufgeschlagen hatte, erinnerte sie sich an das Gespräch des gestrigen Abends

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Noch bevor Emilia am Morgen die Augen aufgeschlagen hatte, erinnerte sie sich an das Gespräch des gestrigen Abends. Dies genügte, um augenblicklich aufrecht im Bett zu sitzen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht!
War es denn nicht ihr sehnlichster Wunsch gewesen, nach Hause zu gelangen, zurück zu ihrer Familie und ihren Freunden?
Und jetzt hatte sie trotz Herrn Elronds Einwände, Gandalfs waghalsigen Bitte zugestimmt, die Gemeinschaft um Thorin Eichenschild weiterhin zu begleiten. Womöglich war ihr das zweite Glas Wein etwas zu Kopfe gestiegen?
Seitdem sie zum ersten Mal auf die Zwerge getroffen war, waren bereits zwei Monate vergangen, von denen sie nun knapp drei Wochen in Bruchtal verbrachte. Doch bisher hatte niemand eine Lösung gefunden, die es ihr ermöglichte, wieder in ihre Heimat zu gelangen. Und auch die Halskette ihres Bruders, von der sie glaubte Schuld an ihrer Situation zu haben, brachte keine weiteren Hinweise ein. Wenn sie doch nur wüsste, was es mit der seltsamen Inschrift auf sich hätte ...
Mittlerweile hegte sie sogar die Befürchtung, auf ewig in Mittelerde bleiben zu müssen, welche sich mit jedem weiteren vergangenen Tag in Bruchtal in ihr befestigte.
Herr Elrond hatte ihr deshalb versichert, auch wenn sie keine Möglichkeit fänden, sei sie in seinem Hause zu jeder Zeit herzlich willkommen und dürfe dort so lange verweilen, wie es ihr beliebe. Doch auch wenn sie bereits durchaus einige der Elben, wie Nemiriél, die Heilerschülerin oder die Zwillinge Elladan und Elrohir als Freunde bezeichnen konnte und Imladris ein wunderschöner Ort zum Leben war, hatte sie nicht das Gefühl hier herzugehören oder zumindest hier bleiben zu können.
Aber was würde sie erwarten, wenn sie weiter mit den Zwergen reiste?
Die Gemeinschaft war ganz sicher nicht auf Besuch zu Verwandte in die weit entfernten Eisenberge, wie Balin ihr auf einem Spaziergang erzählt hatte, sondern auf irgendeiner Mission. Hatte Bofur nicht vor kurzem erst von Drachen gesprochen? Wofür sollte man den sonst in der Begleitung eines Zauberers sein?
Waren die Zwerge überhaupt bereit, sie mitzunehmen? Verstand sie sich mit dem Großteil der Gruppe doch in den letzten Tagen ganz gut, war Thorin ihr Gegenüber noch immer misstrauisch und hatte einmal sogar versucht, seine Neffen Fíli und Kíli davon abzuhalten, mit der jungen Hexe zu reden.
Sie musste ihr Gewissen beruhigen und noch einmal mit dem Zauberer sprechen!

Beim Frühstück hatte sie Gandalf nicht angetroffen, also vermutete die Hexe ihn in den weitläufigen Kräutergärten, wo sich der Zauberer gerne mal die Beine vertrat. Sie selbst war ebenso sehr von den bunt angelegten Gärten Bruchtals begeistert, weshalb sie nicht selten mit ihrem Kräuterkundebuch aus der Schule zwischen den Beeten umherstreifte und die einzelnen Pflanzen mit den Abbildungen darin verglich. Zudem hatte sie viel Zeit mit Nemiriél verbracht, die bereitwillig ihr Wissen über Heilkräuter mit Emilia teilte. Und auch die Hexe freute sich, wenn sie der Elbin, trotz ihrer mangelnden Heilkenntnisse, etwas über die magischen Pflanzen beibringen konnte, die in Bruchtals Gärten teilweise eben so zahlreich wuchsen, wie in ihrer Heimat, nur eben von den Elben für andere Zwecke genutzt wurden.
Tatsächlich brauchte Emilia nicht lange zu suchen, da der graue Zauberer ihr geradewegs entgegenkam, seinen großen Stab in der einen und die lange Pfeife in der anderen Hand. »Guten Morgen, Emilia. Seid Ihr hier, um den Seidenmohn zu betrachten, der heute besonders farbenreich zu leuchten scheint?« Auf seinem Gesicht lag ein amüsierter, fast schon unschuldiger Ausdruck, als er auf das Blumenbeet zu seiner Rechten deutete.
»Guten Morgen, ich bin froh Euch schon so früh anzutreffen, Herr Gandalf! Der Mohn ist heute durchaus schön anzusehen, jedoch habe ich unsere Unterhaltung vom Vorabend noch einmal überdacht und es sind noch eine paar dringende Fragen aufgekommen, die Ihr mir hoffentlich beantworten könnt.«
Manchmal glaubte die Hexe, dass der alte Mann oft doch mehr wusste, als er es wirklich zugab oder zeigte, denn er schien nicht sonderlich überrascht von ihrer Ankündigung und bat sie, ein paar Schritte mit ihm zu gehen.
»Nun ... Warum nehmt Ihr diese beschwerliche Reise auf Euch und weshalb ist dafür eine Hexe vonnöten, die sich mit den Gefahren dieser Welt noch nicht einmal auskennt? Wenn Ihr es wichtig findet, dass ich Euch begleite, würde ich schon gerne den Grund dafür erfahren«, setzte Emilia an, woraufhin Gandalf verständnisvoll den Kopf senkte. »Darauf habt Ihr natürlich ein Anrecht, Emilia. Ich kann Euch nicht alles erzählen, das ist Thorins Angelegenheit, aber was ich Euch anvertraue, darüber dürft Ihr vorläufig mit niemandem sprechen ...«
Emilia nickte bestimmt, zum Zeichen, dass sie einverstanden war. Was auch immer dies sein sollte, sie würde es für sich behalten. »Weit im Osten gibt es einen einsamen Berg, den Erebor genannt. Es ist die Heimat eines Zwergenvolkes und zugleich das mächtige Königreich der Nachkommen Durins. Dies war er zumindest, bis zu dem Tag, an dem sein Reichtum einen leibhaftigen Feuerdrachen, namens Smaug, angelockt hatte. Er zerstörte Thal, eine Menschenstadt vor den Toren des Erebor, bevor er in den Berg eindrang. Die Wenigen, die seinem Wüten entkommen konnten, haben an diesem Tag ihre Heimat verloren. Und noch heute hält Smaug den Berg besetzt.«
»Ihr habt aber nicht etwa vor, besagten Smaug, der mutmaßlich immer noch in dieser Zwergenfestung sitzen soll, aus dem Berg zu locken? Mit nur vierzehn Männern? Um was mit ihm zu tun?« Emilia bereute es fast schon nachgefragt zu haben und auch der Zauberer schien sich dabei nicht ganz so wohl zu fühlen. »Es läuft eher darauf hinaus, dass wir in Erfahrung bringen, ob wir überhaupt etwas ausrichten können«, begann er vorsichtig, »und sollte das der Fall sein, werden wir in der Tat Unterstützung benötigen.« Entgeistert blieb die junge Frau stehen. Was bei Merlin's Bart hatte sie sich nur dabei gedacht? In ihrer Heimat brauchte es mehrere speziell ausgebildete Zauberer, um einen Drachen im Zaun zu halten! Was um Himmels willen sollten also eine Handvoll kleiner, magieloser Männer ausrichten, ganz zu schweigen sie selbst?
Gandalf bemühte sich eilig, sie zu beruhigen. »Oh nein, der Drache ist natürlich nicht Euch zugedacht! Eure Aufgabe, wenn Ihr uns denn noch immer helfen wollt, würde darin bestehen, die Zwerge einen großen Teil des Weges zu begleiten, bis ich wieder zu Euch stoße ... nachdem ich mich um ein Problem gekümmert habe, das unerwartet aufgetreten ist.« Der letzte Satz war eher an sich selbst gerichtet, doch Emilia sah ihn durchdringend an, wollte wissen, um was für ein Problem es sich handelte und wofür er sie mit den Zwergen alleine reisen ließ. »Also gut. Nachdem ich einem dringenden Verdacht nachgegangen bin.«
Er holte tief Luft. »Emilia, wisst Ihr, wer Sauron ist?«
Die Hexe nickte bedächtig. Sie hatte in der Bibliothek zwar bedauerlicherweise nichts über ihre Halskette herausfinden können, doch dank der Hilfe Erestors und der Zwillinge wusste sie nun ein wenig mehr über Mittelerde. Und sie musste sagen, dass dieser Geschichtsunterricht bei weitem interessanter war, als bei Professor Binns, der vor seinem Geisterdasein wahrscheinlich eine genauso einschläfernde Wirkung auf die Hogwarts Schüler hatte.
»Man erzählte mir, dass Sauron vor zwei Zeitaltern als mächtigster Diener Morgoths auf den Plan trat. Nachdem dieser endgültig unschädlich gemacht und aus seine Festung Angband geschleift wurde, gelang es seinem Diener, sich abzusetzen und die Elben von Eriador zu überlisten. Sie schmiedeten für ihn die Ringe der Macht, deren Träger – Menschen-, Elben- und Zwergenfürsten – damit unter den Bann des einen, seines eigenen Ringes gerieten. Die Menschen konnten sich dessen Einfluss nicht entziehen und wurden zu den Ringgeistern, die ihrem Herrn unbedingten Gehorsam leisteten. Saurons Reich war das "Schwarze Land", Mordor, von wo aus er mit Heerscharen von Orks die Macht über die ganze Welt zu erlangen trachtete. In der Schlacht um die Belagerung von Barad dur gelang es Isildur, dem Sohn des damaligen Königs von Gondor, den Ring von Saurons Hand zu schneiden. Der Ring soll verloren gegangen sein, aber der Dunkle Herrscher wurde vernichtet.«
Dieser Sauron erinnerte Emilia ein wenig an Lord Voldemort. Er, dessen Namen am besten unausgesprochen blieb, und seine Anhänger, die sogenannten Todesser, kämpften mörderisch mit allen Mitteln der schwarzen Magie für die Reinhaltung der Zaubererrasse und die Ausrottung der für ihn minderwertigen muggelstämmigen Zauberer und Hexen. Viele seiner Gegner, die im Geheimen versucht hatten sein Handwerk zu legen, bezahlten dafür im ersten Zauberer Krieg mit ihrem Leben. Es trieb Emilia jedes Mal einen Kloß in den Hals, wenn sie daran dachte, dass ihr Vater noch leben könnte, hätten sich ihre Eltern nicht so offensichtlich für die Rebellion eingesetzt. Insgeheim war sie aber dennoch stolz auf den Mann, den sie, im Gegensatz zu ihrem Bruder Benedict, leider nie richtig kennengelernt hatte.
Voldemorts Schreckensherrschaft endete schlussendlich bei dem Versuch, Harry Potter zu töten, denn der Zauber prallte überraschender Weise an dem damals kleinen Jungen ab und traf stattdessen den dunklen Lord selbst. Seither hielt jeder in ihrer Heimat an dem Glauben fest, dass er auch wirklich in jener Nacht vernichtet wurde, während der kleine Potter zur Berühmtheit wurde.
Sie stutzte, als Gandalf ihren letzten Satz mit einem leisen Schnauben quittierte und fühlte sich sogleich verunsichert. »So viel ich weiß, wurde er doch vernichtet, oder?«
Der alte Mann schien sich nicht ganz schlüssig, was er antworten sollte. »Es ist bezeugt, dass sein Körper zu Asche und Staub zerfiel.«
»Aber Ihr habt Zweifel?«, tippte die junge Frau als Antwort, woraufhin Gandalf kaum merklich nickte.
»Die Wahrheit ist, dass ich verunsichert bin. Am Rand des östlichen Düsterwaldes liegt seit tausenden Jahren eine Festung, die Dol Guldur genannt wird, der "Hügel der Magie". Dort hausen Orks und ihre Untiere. Sie sollen einem Hexenmeister dienen, einem Nekromanten.«
Ein Schauder überfiel die junge Hexe und sie vermochte kaum ihre Frage zu stellen. »Seht Ihr irgendeine Verbindung zwischen dem Dunklen Herrscher und dem Nekromanten?«
Gandalf schien die junge Frau aufmerksam zu betrachten. Er wusste, dass sie ihre Zusage nicht zurücknehmen würde, war sie nicht nur brillant, sondern auch mutig. »Ich sehe, dass etwas Böses, viel machtvoller als ein menschlicher Hexenmeister es jemals sein könnte, zunehmend an Einfluss gewinnt. Wir wurden auf unserem Weg von einer Orkhorde auf Wargen verfolgt, vermutlich aus Dol Guldur, die mit klarem Ziel auf der Jagd nach unserer Gemeinschaft waren. Der Erebor ...«, fuhr der graue Zauberer fort, »ist eine fast uneinnehmbare Festung in strategisch perfekter Lage, um den gesamten Osten zu beherrschen. Ich befürchte, wir werden nicht die einzigen bleiben, die ein Auge auf den einsamen Berg geworfen haben.«
Emilia atmete tief durch und brauchte einen Moment, um all die Informationen zu verarbeiten. »Das heißt, während Ihr vorübergehend anderweitig dringend beschäftigt seid, wollt Ihr Eure Zwerge und den Hobbit nicht ganz ohne magischen Beistand sich selbst überlassen. Und wenn Eure Nachforschungen nach dem Nekromanten irgendwie schiefgehen sollten«, die junge Frau machte eine bedeutsame Pause, »müssen wir ohne Euch eine Lösung für dieses Drachenproblem finden.«
»Letzteres wird ganz gewiss nicht eintreffen, aber ja, ich bitte Euch, während meiner Abwesenheit ein Auge auf die Zwerge und vor allem auf unseren Hobbit zu haben.«
Emilia fühlte sich innerlich hin- und hergerissen. Einerseits vermisste sie ihre Heimat, ihre Freunde und ihre Familie von ganzem Herzen und begehrte nichts sehnlicher, als einen Weg nach Hause zu finden, aber andererseits war ihr bewusst, dass ihre Situation verzwickter zu sein schien, als zuerst angenommen und so lange sie nicht wusste, wonach sie eigentlich genau zu suchen hatte, würde ihr die Zeit in Bruchtal wahrscheinlich nur mehr Kummer bereiten. Natürlich waren die Zwerge ihr gegenüber anfangs nicht sonderlich wohl gesinnt gewesen und prinzipiell hätte sie auch keinen Grund der Gemeinschaft weiterhin zu folgen, denn auch die Schuld bei Thorin, sie nicht auf der felsigen Ebene zurückgelassen zu haben, war beglichen, als sie seinem Neffen Kíli das Leben gerettet hatte. Die junge Hexe hatte keine Ahnung, was auf sie zukommen mochte, doch ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass es richtig wäre, Gandalfs Bitte nachzugehen, sei es auch nur Bilbos Wegen.
»Also gut. Einverstanden, ich werde Euch begleiten!«

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