Escaping through the night

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Zitternd und mit bebenden Händen saß die Erfurterin in ihrem Auto. Sie fror, ihre Lippen waren leicht blau und trotzdem blieb sie sitzen und starrte aus dem Fenster. Sie war hier. Nach langen vier Monaten saß sie hier, hier in ihrem Auto vor seinem Haus. Hier, wohin er zurückgegangen war, geblieben war, nicht mehr wiedergekommen.
Sie war nervös, umklammerte ihren Körper mit den Armen und atmete tief durch. Der billige Mietwagen hatte keine Heizung und auch sonst gab es hier nicht wirklich etwas, was sie wärmte, doch es war ihr egal. So egal wie es nur sein konnte...
Yvonne wusste weder welcher Tag war, noch genau wie viel Uhr und wie sie aussah erst recht nicht. Die letzten Wochen waren nur ein Schleier, von Tag zu Tag hatte sie sich müde geschleppt, vielleicht alle paar Tage mal was gegessen oder getrunken. Ihre eigene Wohnung hatte sie nur zum Einkaufen verlassen. Wenn überhaupt...

Doch jetzt saß sie hier. Eingepackt in einen Mantel, im tiefsten verschneiten Helsinki vor seiner Haustür. Aus den Fenstern leuchtete ein warmes Licht und unwillkürlich rann eine Träne aus ihrem Augenwinkel. So wie es aussah war er wohl Zuhause, immerhin war sie nicht umsonst hergeflogen, doch immer noch zitterten ihre Finger unkontrolliert und ganz langsam öffnete sie die Tür.
Eine kalte Schneewehe schlug ihr mit voller Wucht entgegen, Schnee wirbelte durch ihr Haar, doch sie atmete einfach tief durch und lief zögerlich bis zur Tür. Es war wie eine Angst, die in ihr nach oben flammte und erneut versuchte sie sich zu beruhigen. Sie war nicht ohne Grund hier. Sie musste mit ihm reden...

Nur ganz zögerlich legte sich ihre Hand an die Klingel, hielt für einen Moment inne. ,Einfach umdrehen!' schoss es ihr durch den Kopf. Wenn sie jetzt einfach umdrehen und wegrennen würde, würde er nie bemerken, dass sie hier gewesen war, doch mit einem Blick nach unten verwarf sie den Gedanken und drückte schließlich den Knopf.
Ein sanfter melodischer Ton klang durch sie hindurch und sie schluckte. Nun gab es wohl kein zurück mehr. Gleich würde er hier sein, gleich würde er vor ihr stehen, gleich war es soweit.
Ihr Herz schlug rasend und ihr Atem ging stoßweise. Weiße Schwaden drangen durch die klirrendkalte Luft aus ihrem Mund, doch gleichzeitig war alles taub, taub von innerer Kälte, Einsamkeit, Angst. Seit Wochen war dort kein anderes Gefühl mehr und erneut sah sie auf das Klingelschild. Haber. Nach nichts sehnte sie sich mehr. Nur ihn wollte sie, nur ihm wollte sie es erklären, sich entschuldigen, ihn lieben...

Dann öffnete sich jedoch auf einmal die Tür und erschrocken hielt sie die Luft an. Vielleicht waren zwei Minuten vergangen, vielleicht auch zehn. Sie wusste es nicht. Das einzige, was die Macht besaß zu ihr durchzudringen, waren die hellen blauen Augen, welche sie anstarrten und der große Mann, dem sie gehörten und dessen Körper genauso erstarrte.
Erneut schien die Zeit still zu stehen, sie starrten sich einfach an, hier auf seiner Türschwelle und für einen kleinen Moment überwältigten Yvonne die Erinnerungen. Die Erinnerungen an warme, laue Sommertage. An dieses blaue Leuchten, ein tiefes Lachen, warme Berührungen. Für einen winzigen Moment wurde aus der kalten Taubheit in ihr eine kleine wärmende Flamme.

Doch sie erlosch augenblicklich, als Samu sich räusperte und sie dann kalt ansah. „Was willst du here?!", die schneidende Kälte seiner Stimme fuhr wie ein kalter Winstoß durch ihr Herz und tief atmete sie durch. „Also- Ich- ähm- ich wollte-", sie vermochte kaum ein Wort über ihre zitternden Lippen zu bringen, doch aus Angst, dass er ihr die Tür gleich wieder vor der Nase zu schlug, nahm sie sich ein Herz und atmete tief durch.

„Ich will mich entschuldigen! Ich glaube ich bin hier, weil- Nein vergiss es!", sie schüttelte den Kopf und sah ihn entschlossen an. „Ich weiß, dass ich hier bin, weil ich es sein muss. Ich bin hier um mich zu entschuldigen, dir zu sagen, dass es mir leid tut. Ich weiß, dass du das alles nicht hören willst, du willst mich am liebsten anschreien, wie damals, als ich mich von dir getrennt habe, dich rausgeschmissen habe. Du kannst mich auch anschreien, du kannst mit mir danach machen was du willst, aber bitte, bitte Samu, hör mir einfach erstmal zu..." Flehend sah sie zu ihm hoch, wissend, dass er gut eineinhalb Köpfe größer war als sie, doch sie war hier hergekommen, um all das loszuwerden und so fiel ihr bereits ein kleiner Stein vom Herzen, als er langsam nickte. Zwar funkelten seine Augen immer noch bedrohlich und wütend, doch sie hatte eine Chance bekommen und dankbar nickte auch sie, bevor sie begann zu erzählen.

The mess that I've madeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt