Als man mir mitteilte, dass wir fast an unserem Ziel waren, war ich mir nicht mehr sicher, wie viele Tage und Nächte vergangen waren, seitdem mich die Jägerinnen gefunden hatten. Ich war mir über fast gar nichts mehr sicher.
Die Begegnung mit Daimos hatte mir zugesetzt. Der Gedanke, ganz allein zu sein, war niederschmetternd gewesen. So niederschmetternd, dass ich mich nicht davon zu erholen schien. Ich wusste nicht mehr, was ich glauben, was ich tun sollte. Und so habe ich begonnen, einfach allem zu misstrauen. Daimos, den Jägerinnen, Artemis. Mir selbst und meinen Träumen.
In dem Versuch mich von allem abzulenken, verbrachte ich nur noch mehr Zeit mit Jes als zuvor schon. Die Jägerinnen versuchten mit mir zu sprechen, mich einzubeziehen, doch ich konnte ihnen nicht vertrauen. Konnte das Gefühl nicht abschütteln, das mich befallen hatte, als Daimos mich belogen hatte. Ich wollte es nicht noch ein Mal fühlen. Ich wollte es nie wieder fühlen.
Ich hatte bemerkt, wie die Jägerinnen seit dieser einen Nacht sich mehr und mehr vor mir zurück zogen. Was nur verständlich war, so wie ich sie abblockte. Und auch wenn ich ihre Blicke spürte, ihr Wispern hörte, konnte ich mich nicht dazu aufraffen, ihnen vorzuspielen, mir ginge es gut.
Ich hatte die Stimme aus meinem Traum danach nicht noch einmal gehört. Doch ich hatte den Jungen gesehen. Kurze Augenblicke, die rasch vorüberzogen, sobald ich meine Augen schloss. Er war da. Besorgt, wütend, lachend... Momentaufnahmen eines Lebens, von dem ich nicht wusste, wie es mit mir zu tun hatte. Und neben ihm gab es andere Gesichter, die ich sah. Die ich immer und immer wieder sah, ohne sagen zu können, zu wem sie gehörten. Ich klammerte mich an die eine Information, die Daimos mir über mein Leben gegeben hatte, von der ich einfach wusste, sie war wahr: mein Name, Stephanie.
Als wir den Wald verließen bemerkte ich zum ersten Mal, wie abgeschieden wir in den letzten Tagen gelebt hatten. Erst als ich die alte Straße, die den Wald begrenzte, mit eigenen Augen sah, wurde mir bewusst, dass jegliches Motorengeräusch während unserer Reise verschwunden war. Dass ich die damit einher gehende Stille genossen hatte. Und dass ich wusste, wie sich Motoren anhörten. Als ein einsamer Truck an der Stelle vorüber fuhr, an der wir einen kurz Halt gemacht hatten, fiel es mir schwer, meinen Blick von dem Gefährt, der rostbraunen Farbe zu nehmen. Der Fahrer hingegen schien uns überhaupt nicht wahrzunehmen.
>Es ist eine Stadt hier in der Nähe.< Überrascht sah ich Thalia an, die sich unbemerkt neben mir postiert hatte. Sie verfolgte wie ich zuvor den Truck, bis er hinter einer Kurve verschwand. Dann richtete sie ihre blauen Augen auf mich. Sie schienen wie elektrisch aufgeladen. >Artemis wird dich den Rest des Weges allein begleiten.< Irgendetwas sagte mir, dass sie mit dieser Entscheidung nicht zufrieden war.
>Was geschieht mit Jes?< Thalia sah zu dem Vogel, der in meinen Armen hockte.
>Nimm sie mit.< Sie wandte sich ab, ganz so als hätte sie alles gesagt, was sie sagen sollte. Doch noch bevor sie den zweiten Schritt getan hatte, drehte sie sich zu mir herum. >Pass auf dich auf, ja? Wir sehen uns mit Sicherheit wieder.< Bevor ich darauf etwas erwidern konnte, hatte sie bereits kehrt gemacht und sich zu den anderen Jägerinnen gesellt. Sie stellten das Lager auf.
>Komm.< Ich drehte mich herum, erschrocken über die Anwesenheit von Artemis. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie an meiner Seite aufgetaucht war. >Es ist nicht weit.<
*
Artemis' Vorstellung von "nicht weit" deckte sich nicht mit meiner. Doch ich hütete mich davor, mich deshalb zu beschweren.
Wir wanderten die Straße entlang, in die Richtung aus der der Truck gekommen war. Wir sprachen nicht miteinander, doch mir fehlten die Worte nicht. Artemis hatte mir gesagt, zu wem sie mich bringen würde. Oder warum. Und je mehr Zeit ich mit den Jägerinnen verbracht hatte, umso weniger empfand ich das Bedürfnis, sie danach zu fragen. Ich wusste schlichtweg nicht mehr, was ich wissen sollte, was ich wusste und was ich nicht wissen wollen würde.
Es war später Nachmittag als ich das erste Haus entdeckte. Es war klein, der Vorbote einer Stadt, deren Silhouette man am Horizont sehen konnte. Rauch stieg aus zwei Schornsteinen, ein ramponierter Truck, der vermutlich einmal blau gewesen war, stand am Straßenrand. Das Grundstück drum herum war eine Mischung aus sauber gepflegten Beeten und verbranntem Rasen. Erst als wir in der Einfahrt standen, erkannte ich, dass es sich bei dem Teil des Gebäudes, welches ich für eine Garage oder dergleichen gehalten hatte, um eine Schmiede handeln musste. Man konnte das Feuer in der Esse erkennen. Lange Tische voller Schrauben, Nägel, Metall und Werkzeug. Eine Scheune stand hinter der Schmiede, die Türen weit offen stehend.
>Wo sind wir hier?< Die Frage war schneller aus meinem Mund gewichen, als ich es bemerkt hatte. Doch bevor Artemis mir antworten konnte, erschall ein lautes Krachen aus den Tiefen der Schmiede. Gefolgt von einem wüsten Fluch.
>Kalypso! Ich könnte mal deine Hilfe brauchen!< Die Stimme, die aus der Schmiede erklang, war eindeutig männlich.
>Du hast doch genug Hilfe, was ist denn nun schon-< Die weibliche Stimme kam aus dem Haus und uns immer mehr entgegen, bis sie bei unserem Anblick abbrach. Das Mädchen oder eher die junge Frau, zu der sie gehörte, starrte uns an, als hätte sie einen Toten gesehen. Sie rührte sich nicht mehr, als sei sie zu Stein erstarrt.
>Der Kolben ist mir mal wieder um die Ohren geflogen, keine Ahnung warum schon wieder, das ist schon das dritte Mal heute. Kalypso?< Als der Schmied ins Freie trat, bemerkte er Artemis und mich nicht. Er hatte nur Augen für die Frau, Kalypso, die wie in der Zeit eingefroren zu schien. >Alles ok?<
Als er ins Licht trat, hatte ich das Gefühl wieder am Flussufer zu liegen. Erschlagen, verwirrt, orientierungslos. Ich sah die dunklen, chaotischen Haare, die mit einem roten, schmutzigen Tuch aus seinem Gesicht gehalten wurden. Ich sah das Öl und die Flecken auf seiner Kleidung und Haut. Ich sah den abgewetzten Werkzeuggürtel um seinen Hüften. Sah das verschlagende Lächeln, bevor es aus seinem Gesicht wich, als er uns bemerkte. >Was zum-?<
>Verzeih mein plötzliches Erscheinen, ich habe jedoch eine Bitte an dich.< Ich sah aus den Augenwinkeln wie sich Artemis mir zuwandte. Ich schaffte es nicht meinen Blick von dem Jungen vor mir abzuwenden. Denn ich kannte ihn. >Stephanie, das ist Leo - < Ich unterbrach sie, bevor sie den Namen zu Ende sprechen konnte.
>Valdez<
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Für den Olymp - Die Familiaris (slow updates)
Fanfiction"Ich habe genug! Von all den Prophezeiungen, Kriegen und Toten! Du hast keine Ahnung, Clarisse! Nicht die geringste Ahnung hast du davon, wie man sich fühlt, wenn man nur durch so eine beschissene Prophezeiung für das Schicksal der ganzen Welt veran...