Laurana trainierte gerade mit drei Schülern, wenn man es so nennen konnte. Man könnte es auch zerstören nennen, denn sie nutzte jeden Fehler aus und zeigte ihnen diesen auf schmerzhafte Weise auf, ohne sie jedoch stark zu verletzen. Das unterschied ihre Methoden von denen ihrer Mutter. Die Schüler würden danach mit blauen Flecken gehen, nicht mit aufgeschlitzten Körpern wie Laurana und Lynn es getan hatten. Lernen ist ein Prozess, doch Geduld war ebenfalls ein Wort, das in Lithias Wortschatz nicht vorkam. Lithia war die grausamste Anführerin der Umbră. Sie hatte ihre eigene Mutter einfach aus dem Grund ermordet, weil sie deren Methoden nicht für effektiv genug gehalten hatte. Dafür hatte sie ihren eigenen Vater getötet, sodass ihre Mutter ihm gefolgt war. Diese Frau hatte kein Herz, keine Seele.
„Ich werde die Umbră zum mächtigsten Dämonen-Clan der Hölle machen. Sie sollen erzittern, wenn sie diesen Namen hören, denn der Tod wird ihnen direkt bevorstehen."
Das waren ihre Worte gewesen, daran erinnerte sich Lynn deutlich, als er sie über den Leichen seiner Großeltern hatte stehen sehen. Sie war über und über mit Blut bedeckt gewesen, die waldgrünen Augen einfach nur kalt. Sie hatte sich zu ihm gebeugt und gesagt, er sei ihre Zukunft und sollte er ihr nicht gehorchen, würde das Schicksal seiner Großeltern einem Streicheln gleichkommen im Vergleich zu dem, was ihn erwarten würde. Lynn war vierundzwanzig Jahre alt gewesen, ein Kind. Er hatte es nicht gewagt zu weinen.
Als Laurana das Training beendet hatte, kam sie zu ihm. „Ich werde deine Muskeln massieren", sagte Lynn und sie nickte nur. Beide gingen in Lauranas Waschraum, wo sie sich entkleidete und den Schweiß und Dreck abwusch. Anschließend setzte sie sich in die Wanne und streckte ihrem Bruder den linken Arm hin.
Lynn begann diesen zu massieren. Er hatte zuvor einen Zauber gesprochen, der den Raum abschirmte. Laurana hatte es schweigend vernommen. „Es wird Zeit, dass sie ihr Ende findet", sagte er ruhig, während er über den Bizeps seiner Zwillingsschwester fuhr.
Laurana wusste sofort, wovon ihr Bruder sprach. Die Frage, die sie sich stellte, war, weshalb? Was veranlasste Lynn dazu, diese Entscheidung jetzt zu treffen? Es musste etwas passiert sein, das ihn zu dieser getrieben hatte. Es konnte nur eines sein - er musste die Wahl zwischen dem seinen und dem Leben ihrer Mutter treffen. Was hat er getan, dass sein Leben der Preis dafür ist?
„Wer?", fragte sie. Er musste jemanden beschützen - das Ziel, das ihm zugeteilt wurde. Wenn er sich weigerte, den Auftrag auszuführen, würde ihn Lithia unweigerlich eliminieren. Doch wer konnte ihren Bruder zu solche einer dummen Tat verleiten? Er war der Beste, der Tödlichste. Für einen Moment sah sie es in seinen Augen - ein Funkeln, das sie noch nie gesehen hatte. So ist das also. Lynn war niemand, der Gefühle zeigte. Er hatte wie sie eine Mauer um sich, die absolut nichts hinein oder hinaus ließ. Doch anscheinend hatte jemand diesen Panzer durchbrochen.
Lynn wusste, dass er es ihr nicht verschweigen konnte, also machte er ihr ein Angebot, das seine Schwester nicht würde ablehnen können. Er nahm ihren anderen Arm, begann diesen zu massieren. „Ich werde dich zur Anführerin der Umbră machen, dafür wirst du mich aus dem Clan entlassen. Meine Familie wird einen Immunstatus erhalten, der an unsere Verschwiegenheit gebunden ist. Ich werde mich ihr alleine stellen und sollte ich scheitern, wird nichts zu dir führen. Sollte ich jedoch erfolgreich sein, wird all der Ruhm und die Macht uneingeschränkt dir gehören."
Laurana konnte die Wort kaum glauben. Hatte ihr Bruder das wirklich gesagt? Er wollte diesem Monster alleine gegenübertreten und wofür? Wer verleitet dich zu einem solch wahnwitzigen Vorhaben, Bruder? Die Worte meine Familie hatten sie stutzig gemacht. Er wollte eine Familie mit einer Dämonin oder einem Dämon außerhalb gründen, also hatte tatsächlich jemand das Herz seines Bruder erobert. Die Frage, wieso jetzt, stand immer noch offen.
DU LIEST GERADE
Lynn - ein schicksalhafter Auftrag (Novelle 6.5) ✅️
Fantasy„Wenn ich schon nicht deinen Namen erfahren darf, darf ich dann wenigstens von deinen Lippen kosten?", fragte er. Die Augen schienen heller zu erstrahlen, doch mit einem Mal waren sie fort. Eine Hand hatte sich auf seine Augen gelegt. Der Assassine...