20. Zwei Mechanismen im Wald

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-Rose-
>drei Jahre zuvor<

„Es wird dunkel" sagte Fagus, packte die Erste-Hilfe Sachen wieder zusammen und verstaute sie in seinem Rucksack.
„Wow was für eine Beobachtungsgabe" entgegnete ich und bewegte probehalber mein, von ihm versorgtes, Bein. Es tat noch weh aber mit der Schiene konnte ich immerhin laufen.
„Hast du irgendein Kindheitstrauma das deinen permanenten Sarkasmus als Abwehrmechanismus rechtfertigt?" fragte mein Arzt und hielt mir eine Hand hin um mir auf zu helfen.
„Ha!" machte ich und schlug seine Hand weg.
„Du willst über Abwehrmechanismen reden, Süßer? Wir kennen uns jetzt seit drei Stunden, du warst zwei davon bewusstlos und trotzdem kann man dir das Schattenkind-Trauma aus dem Gesicht lesen."
„Das was?" fragte er belustigt und ich stellte mich auf die Füße, sodass ich jetzt wenige Zentimeter vor ihm stand und hoch sehen musste, wenn ich ihm böse in die Augen schauen wollte.
„Das Schattenkind-Trauma. Bruder oder Schwester oder Onkel oder ein Freund werden mehr beachtet als du. Man steht immer im Schatten, muss für Anerkennung schwerer arbeiten, denn da seht doch nur Typ hat geatmet! Ach sei doch mehr wie Typ." erklärte ich und sah ihn abwartend an.
Seine Miene versteinerte sich in Sekunden.
Ich zog die Augenbrauen hoch. Oh. Ich hatte nicht gedacht, dass ich damit wirklich ins Schwarze treffen würde.
Fast hätte ich mich entschuldigt, aber dann fiel mir wieder ein das ich ihn ja garnicht leiden konnte. Schnell drehte ich mich weg. Wieso musste er nur wie ein Welpe aussehen, wenn er traurig war?
„Heute finden wir keinen Vortex mehr. Wir sollten hier übernachten" stellte ich fest und begann Holz für ein Feuer zu sammeln.
Er nickte nur.
Ungefähr 15 Minuten später saßen wir um ein Feuer und schwiegen.
Ich hättet gern geschlafen, allein wegen der Schmerzen, aber ich war ihm gegenüber zu misstrauisch. Er sollte zuerst einschlafen. Nur wollte er offensichtlich nicht schlafen. Der Grunder winkelte die Beine an und zog sie an seine Brust.
Die Sonne war schon längst hinter den Baumkronen verschwunden und hatte die Wärme des Tages mit genommen. Seine Uniform hatte ein paar Löcher und schien nicht wirklich gegen die Kälte an zu kommen.
„Ist dir kalt?" fragte ich und versuchte den Spot in meiner Stimme zu unterdrücken. Fagus sah mich nachdenklich an, anscheinend unentschlossen was er antworten sollte.
Zögernd nahm ich sein Handgelenk und lies, wie ich es vorher auch schon einmal getan hatte, Wärme durch ihn strömen.
Er sah fasziniert zu.
„Ich dachte Zünder könnten nur zerstören" murmelte er, ohne von seiner Hand auf zu sehen. Langsam schloss er seine Finger um meine, woraufhin ich rot wurde.
„Wir sollten schlafen" versuchte ich schnell abzulenken und drehte mein Gesicht von ihm weg. Jetzt sah Fagus doch auf und grinste. „Wie du meinst, Süße"
Er betonte das letzte Wort seltsam und ich sah ihm doch wieder fragend an. Er kicherte nur in sich hinein und legte sich ins Gras. Am liebsten hätte ich mich beim schlafen von ihm weg gedreht, aber ich fürchtete das er erfrieren würde wenn ich seine Hand losließ.
Zögernd sah ich auf meinen Detektor. Der Bildschirm blieb schwarz. Frustriert seufzte ich.
„Möchtest du dein Make Up checken oder einen Fluchtplan erstellen?" hörte ich Fagus fragen. Als ich ihn ansah lächelte er schwach: „Morgen suchen wir uns einen Vortex und gehen wieder getrennte Wege. Dann musst du mich nie wieder sehen".
Meine Brust zog sich für eine Sekunde zusammen. Nicht wegen dem was er sagte, sondern wegen seiner Augen. Wegen der Schmerzen und dem Adrenalin hatte ich die Erkenntnis das er ein Grunder war nach hinten geschoben und versucht zu verdrängen, aber jetzt, wo ich in seine unnatürlich grünen Augen sah, kamen Erinnerungen hoch, an die ich mich nicht erinnern wollte.
Fagus sah mich verwirrt an.
„Alles okay?" fragte er verunsichert. Panisch sah ich weg. Es war nicht seine Schuld, er hatte nichts getan, trotzdem war da ein Teil von mir, der in hier erfrieren lassen wollte, der weglaufen wollte.
Vertraue keinem Grunder!
Zischte ein Stimmchen im meinem Hinterkopf und ich schloss schnell die Augen. Er kann nichts für seine Art! Es wäre nicht fair ihn hier allein zu lassen!
Wir sagten beide nichts mehr und schliefen nach nur wenigen Minuten ein. Es ist mir schleierhaft, wie ich es schaffte mich zu beruhigen, aber das war im Moment nicht wichtig.

-•-

Am nächsten Tag fanden wir schnell einen Vortex und landeten am Rand einer Transportstraße. Alle dreißig Sekunden rauschte ein Transporter in Sekundenschnelle an uns vorbei und weiter in die nächste Megacity.
Ich scannte eines der Metall-Quadrate und mein Detektor sagte mir, dass ihr Ankunftsziel New York sei. Fagus sah mir über die Schulter und ich hätte ihm fast meinen Ellbogen in die Seite gerammt.
„Ich kenne dort ein paar Leute" sagte ich und brachte schnell wieder Abstand zwischen uns.
„Die uns sicher ein Transportmittel zur Verfügung stellen."
Er sieht zu dem abgesperrten Bereich und dann in den angrenzenden Wald. Sicher würde er sich dort zwischen den Bäumen wohler fühlen, aber er nickte nur und lief zu dem Elektrozaun.
Der Grunder legte eine Hand auf den Boden. Sofort schossen Wurzeln hervor und drängten den Zaus auseinander, sodass eine kleine Lücke entstand, groß genug um hindurch zu schlüpfen.
„Nach dir" sagte er und sah mich herausfordernd an. Ich war ein wenig beeindruckt, mich hätte der Elektrozaun mindestens zehn Minuten aufgehalten, trotzdem versuchte ich ihm meine Anerkennung nicht sehen zu lassen und drückte mich durch die Absperrung.
Fagus folgte und wir beobachten die vorbeiratternden Wagons.
„Wie hast du dir das genau vorgestellt?" fragte mein Begleiter und seine kurzen, blonden Haare wurden durch den Luftzug der Transporter noch schlimmer zerzaust, als es die Explosion schon getan hatte.
„Aufspringen" sagte ich leicht hin.
Wieder schnellte ein Wagon mit der Geschwindigkeit eines Pferdes in Höchsttempo an uns vorbei.
„Mh" machte er und spitzte die Lippen.
„Kann ja nicht schwieriger sein als in einen Vortex zu springen"
Ich nickte.
„Wir müssen von unterschiedlichen Seiten aufspringen, hintereinander würde zu lange dauern. Sonst müssten wir zwei verschiedene Transporter nehmen, die möglicherweise in unterschiedliche Fabriken fahren" überlegte ich laut.
„Heißt das du willst mich weiterhin an deiner Seite?" fragte Fagus und legte grinsend den Kopf schief.
Ich seufzte und lief mit schnellen Schritten über die Straße.
„Bereit?" fragte ich und sah im Augenwinkel, dass der nächste Wagon schon in wenigen Sekunden bei uns sein würde. Fagus begab sich als Antwort in Absprung-Position.
Der Wagon näherte sich und ich sprang auf.

Das Geheimnis, das den Toten hütete- Vortex Fanfiction Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt