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„Mike", rufe ich gerade so laut, dass der gut gebaute Mann es hören kann und eile die Stufen nach unten. Die rechte Hand meines Vaters bleibt am Fuß der Treppe stehen und dreht sich fragend zu mir um. Mike ist im Alter meiner ältesten Schwester und hat nach ihrem Weggang, den freigewordenen Job an der Seite unseres Vaters übernommen. Er macht seine Sache gut und steht unserer Familie loyal zur Seite.

„Kannst du mich zu Moira fahren?" Ich rücke die Handtasche auf meiner Schulter zurecht und richte meinen Zopf, während ich auf seine Antwort warte. Bitte sag ja, bitte sag ja. Da Mike ein hohes Ansehen innerhalb der Organisation genießt, ist es am unkompliziertesten, wenn ich mit ihm fahren würde. Bei anderen Männern gäbe es hohe Sicherheitsvorkehrungen und ich müsste mit mindestens drei von ihnen gehen, nach der Vorschrift meines Vaters. Generell ist es seit letztem Jahr für Thea und mich noch schwieriger geworden, überhaupt hier rauszukommen. Außer um joggen zu gehen, dürfen wir für fast nichts das Grundstück verlassen – ziemlich übertrieben, meiner Meinung nach.

„Klar", meint der Blonde und bedeutet mir, ihm zu folgen. Erleichtert stoße ich die angehaltene Luft aus und lächele ihn dankbar an. Ich schätze mal, das Mike weiß, was mir bevorsteht. Immerhin ist er der engste Vertraute meines Vaters und somit in alles eingeweiht. Ich hoffe einfach, er spricht mich nicht darauf an.

Wir verlassen die Villa und steigen in einen der fünf Range Rover, die jederzeit abfahrtbereit in unserem Hof stehen, ein. Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen und verbinde mein Handy mit der Musikbox. Es ist eine dreißig-minütige Fahrt zu Moira und Luka, dass kann ziemlich langweilig werden. Schon bevor Mike den Wagen überhaupt startet, erklingt die erste Melodie meines Lieblingssongs.

„Gefällt mir", kommentiert Mike das Lied und lenkt das Auto im Schritttempo von unserem Grundstück. Der Kies knirscht unter dem Druck der Gummireifen und die Männer am Tor nicken grüßend in unsere Richtung. Wir passieren die Grundstücksgrenze und biegen dann in eine asphaltierte Straße ab. Mike beschleunigt den Range Rover und öffnet die Seitenfenster. Heute ist es wieder unglaublich warm. Die Klimaanlage läuft bereits auf Hochtouren und trotzdem schwitze ich in meinem kurzen Kleid noch. Meine braunen Haare habe ich in einem hohen Zopf gebändigt und an meinen Füßen trage ich schwarze Flipflops. Ich kann spüren, wie mir vereinzelte Schweißperlen den Nacken herunterlaufen und verziehe angeekelt das Gesicht. Durch die zügige Fahrt, kommt ein angenehmer Windzug ins innere des Autos, sodass ich meinen Kopf näher an das geöffnete Fenster lehne. Eigentlich mag ich den Sommer, aber zu warm ist auch nicht geil.

„Ich würde dich einfach bei Moira absetzen, ein paar Besorgungen machen und dann zurückkommen, geht das in Ordnung?"

„Yup", antworte ich Mike und nicke zustimmend. Mir ist das gerade recht, dass er nicht den Babysitter spielt. So ist es schon mal nicht ganz so unangenehm meiner Schwester und Luka von der Hochzeit zu erzählen. Wie die beiden wohl reagieren werden? Wahrscheinlich nicht erfreut. Moira wird wohl Angst um mich haben und sich schreckliche Sorgen machen und Luka? Er wird kein Problem sein. Der Mann an Moiras Seite ist ruhig und entspannt, ich glaube, ihn kann nichts aus der Bahn werfen - Sehr beeindruckend.

Mike lenkt den Range Rover sicher durch die Straßen und wir kommen der Wohnung meiner Schwester immer näher. So langsam werde ich nervös. Hibbelig rutsche ich auf dem Ledersitz hin und her und fahre mir mit der Hand durch die Haare. Für mein Getue ernte ich einen schrägen Blick von Mike, den ich gekonnt ignoriere. Er muss ja nicht seiner älteren Schwester sagen, dass er einen fremden Mann heiraten wird, weil der gemeinsame Vater es so will. Das klingt schon ziemlich schräg. Normale Menschen würden wohl ihre Sachen packen und verschwinden oder sich einfach weigern. Leider sind wir keine normalen Menschen und schon gar keine normale Familie.

Mittlerweile kommen bereits die ersten hohen Wohngebäude in Sichtweite und ich beobachte interessiert die Personen auf dem Gehweg. Einige Kinder kommen gerade von der Schule nachhause mit ihren schweren Schulrucksäcken, die teilweise wahrscheinlich mehr, als sie selbst wiegen. Frauen schleppen die vollen Tüten vom wöchentlichen Einkauf die Treppen nach oben und einige Männer laufen beschäftigt telefonierend in ihren feinen Anzügen über den Bürgersteig. Diesen täglichen Trubel vermisse ich. Unsere Villa liegt fernab von allem was annährend ein Leben besitzt. Das einzig spannende ist unser Personal oder die wenigen Geschäftsessen, die mein Vater bei uns zuhause abhält. Ansonsten ist nicht viel los und das ist sehr langweilig. Die Tage ziehen sich meistens wie Kaugummi und einzig Thea bewahrt mich davor, vor langweile umzukommen. Meine Schwester hat immer mehr oder wenige gute Ideen, um sich die Zeit zu vertreiben. Nicht selten, sind wir deswegen bereits in Schwierigkeiten gekommen. 

„Ich bin dann in ungefähr einer Stunde wieder hier", verkündet Mike, als er am Straßenrand vor dem Wohngebäude von Moira anhält, damit ich aussteigen kann.

„Danke!", meine ich lächelnd, nehme meine Handtasche und verlasse den Wagen. Ich atme nochmal tief durch und gehe dann die wenigen Schritte bis zum Klingelschild, damit ich auf mich Aufmerksam machen kann. Das schrille Piepen hallt durch die Gegensprechanlage und wenig später ertönt das bekannte Summen. Ich drücke gegen die Eingangstür und jogge die Treppen nach oben. Moira wohnt gemeinsam mit Luka im vierten Stock. Eine ziemlich sportliche Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass das Haus keinen Aufzug besitzt.

„Hey Schwesterherz", begrüße ich Moira lächelnd und schließe sie herzlich in die Arme. Ich vermiss sie, seit ihrem Auszug, jeden Tag. Es ist ungewohnt, dass von einst drei Schwestern, nur noch eine da ist.

„Hey", strahlt Moira glücklich und umarmt mich fest, „Was verschafft mir die Ehre?"

„Darf man seiner älteren Schwester nicht einfach so einen Besuch abstatten?"

„Aber natürlich, immer herein in die gute Stube!", grinst die ebenfalls blonde Frau. Ich bin die einzige in unserer Familie mit dunklen Haaren, alle anderen haben engelsgleiches, strahlend helles Haar. Ob ich neidisch darauf bin? Ja, verdammt!

Ich betrete hinter Moira ihr Appartement und bewundere jedes Mal aufs Neue ihre Kunstwerke. Sie hat dieses Jahr ihre Liebe zur Malerei wiederentdeckt und zaubert ein Prachtexemplar nach dem nächsten. In der ganzen Wohnung hängen ihre bunten Bilder und ich kann mich daran gar nicht sattsehen. Luka meint, dass Malen ist eine Art Therapie für sie, nach all dem Schlimmen, was sie im vergangenen Jahr erleben musste.

„Hey, Kleine", begrüßt Luka mich, als wir das Wohnzimmer betreten. Der Mafioso sitzt auf der Couch und tippt beschäftigt auf dem Laptop herum.

Augenverdrehend entgegne ich: „Hey, Großer!"

Das ist so ein Ding zwischen uns beiden und ich mag es. Luka hat sich wunderbar in unsere Familie eingefügt und sogar mein Vater akzeptiert ihn an Moiras Seite. Ich wünsche mir, dass mein zukünftiger Mann auch so eine gute Beziehung zu meiner Familie hat... irgendwann.

„Nun, was gibt es? Ich kenne dich, Annalise. Irgendwas bedrückt dich", spricht meine Schwester ihre Gedanken laut aus und deutet dabei vielsagend auf meine unbewusst verschränkten Hände. Sie setzt sich zu Luka auf das Sofa und mustert mich eindringlich.

„Ähm-", beginne ich und schaue nervös zwischen Moira und Luka hin und her. Hilfe, warum ist das so schwer? Im Endeffekt betrifft die Hochzeit ja nur mich, also Augen zu und durch: „Ich werde heiraten!"



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Glaubt ihr „Augen zu und durch" ist die richtige Taktik?

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Saved Love | pausiert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt