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Es ist Samstag. Der Tag der großen Kennenlernfeier.

Meine Finger zupfen unruhig an den Bändeln der schwarzen Jogginghose herum, während eine Stylistin mit meinen Haaren beschäftigt ist. Durch das frisieren, ziept es an meiner Kopfhaut und ich beiße fest die Zähne aufeinander. Ich hasse dieses Gefühl, wenn einem an einzelnen Haarsträhnen gezogen wird. Die Frau braucht noch fünf weitere Minuten, um ihr Werk zu vollenden und hält mir dann zufrieden einen kleinen Handspiegel hin. Ich greife danach und betrachte die Frisur: meine dunklen Haare wurden aufwendig nach oben gesteckt, eine Mischung aus Dutt und Flechtfrisur. Dutzende Haarklammern halten alles an Ort und Stelle, sodass ich den Abend problemlos überstehen kann. Zufrieden nicke ich und lächele der Stylistin leicht zu.

„Was hältst du davon, wenn ich dir die Fingernägel weiß lackiere und ein leichtes Make-Up auftrage?", wendet sie sich fragend an mich, greift aber im gleichen Atemzug auch schon nach dem weißen Nagellack. Mein Vater hat der jungen Frau bestimmt bereits Anweisungen gegeben und sie versucht nur nett zu sein und mich miteinzubeziehen. Innerlich verdrehe ich die Augen. Vater hat so einen Kontrollzwang.

„Hmm", gebe ich nur von mir und strecke ihr bereitwillig meine Finger entgegen. Eifrig macht sich die schwarzhaarige Stylistin ans Werk. Wie viel mein Vater ihr wohl zahlt?

Der Geruch von dem Nagellack steigt mir in die Nase, während ich beobachte, wie sich ein Fingernagel nach dem anderen weiß färbt. Weiß, die Farbe der Unschuld. Bezweckt mein Vater damit, allen anwesenden Herren mitzuteilen, dass ich noch unberührt bin? Fakt ist, in unserer Welt steht Reinheit über allem: Umso unschuldiger ich wirke, desto leichter ist es einen Mann zu finden.

Ich bin sehr gespannt darauf, was für Männer mein Vater eingeladen hat. Mir wurde versprochen, dass alle unter 30 Jahre alt sind. Die meisten werden wohl eine hohe Stellung innerhalb ihrer Organisation haben, ansonsten würde uns ein Bündnis nichts bringen. Um die Gemüter zu beruhigen, wurden sicherlich auch einige eingeladen, die erst gar nicht in Frage kommen. Bei so einem Event ist Fingerspitzengefühl gefragt. Man kann nicht nur die angesehenen freien Männer einladen, ansonsten fühlen sich die Restlichen benachteiligt und werden unruhig. Ich schätze, Vater wird mich direkt mit all seinen wichtigen Kontakten bekannt machen.

Inzwischen fuchtelt die Stylistin mit einem weichen Pinsel in meinem Gesicht herum, was leicht kitzelt. Dann tritt sie breit lächelnd zurück: „Fertig. Du bist wunderschön!"

„Dankeschön", erwidere ich und verziehe die Lippen ebenfalls zu einem Lächeln, bevor ich mich im Stuhl aufrichte und das Ergebnis im Spiegel betrachte. Es sieht gut aus. Der Lidschatten betont meine braunen Augen und der glänzende Lipgloss lässt meine Lippen füllig wirken.

Mit einem Blick auf die Wanduhr stelle ich fest, dass es bereits nach elf Uhr morgens ist. Lilli und Fynn müssten ungefähr jetzt in Chicago landen und Moira wird wahrscheinlich schon, gemeinsam mit Luka, auf dem Weg sein. Ich freue mich darauf, dass wir vier Schwestern endlich mal wieder vereint sind. Der Anlass ist zwar nur minder erfreulich, aber das ist egal.

Ich springe auf die Füße, nicke der Stylistin einmal dankend zu und verlasse den Raum, um nach Thea zu suchen. Was die Blondine wohl so treibt? Ich bin gespannt, ob sie Vaters Anweisung gefolgt ist und sich gerade fertig macht. Ich sage Nein. Thea wird ihn bestimmt mit irgendwas provozieren. Ich würde ihr sogar zutrauen, dass sie im Pyjama zur Feier kommt. Mal sehen, was sie sich überlegt hat.

Ich laufe den breiten Gang entlang und klopfe dann an Theas Tür an. Ihr Zimmer liegt nur wenige Meter neben meinem, was meistens sehr praktisch ist.

„Thea?", frage ich leise und öffne die Holztür, um in ihr Schlafzimmer zu schauen. Ihre Einrichtung ist fast identisch mit meiner und sie hat ebenfalls ein eigenes Bad. Wir können uns definitiv nicht beschweren.

Thea sitzt auf dem breiten Bett und ist in ihr Smartphone vertieft. Und wer hätte das gedacht, sie ist noch nicht gestylt. Ihre blonden Haare hat sie unachtsam nach oben gesteckt, während sie, genau wie ich, noch eine Jogginghose und ein weites T-Shirt trägt. Kein bisschen Schminke ziert ihr Gesicht und auch ihre Nägel sind nicht mit Farbe überdeckt.

„Hey!", begrüßt meine ältere Schwester mich und schaut vom Bildschirm des Handys auf.

„Du bist ja noch gar nicht fertig", stelle ich fest und ziehe prüfend eine Augenbraue nach oben. Ich will nicht, dass sie ärger bekommt.

„Warum sollte ich auch? Ich scheiß auf Vaters Befehle. Ich bin keine billige Küchenmagd, die er herumschubsen kann. Ich bin seine Tochter! Und mir gefällt es nach wie vor nicht, dass dieses Arschloch dich verheiraten möchte!", meint Thea bestimmt und verschränkt die Arme trotzig vor der Brust.

Ihr kindisches Verhalten lässt mich grinsen: „Thea, hör auf dich wie ein Kleinkind zu verhalten. Immerhin heirate ja ich und nicht du!" Ich verstehe meine Schwester schon ein bisschen, würde mir aber auch wünschen, dass sie nicht zusätzlich noch für Probleme sorgt.

„Aber Anni, du wirst heiraten. Ist dir überhaupt klar, auf was du dich da eingelassen hast? Du wirst bald einem Mann unterstellt sein. Das kann ich doch nicht einfach so zulassen."

„Sag das nicht so! Bitte Thea, du hast es mir versprochen!", erinnere ich sie an unseren Deal, den wir im Pool geschlossen haben.

Auch wenn ich es ungern zugebe, graust es mir davor, bald verheiratet zu sein. Mir ist nicht ganz wohl bei der Sache, aber was tut man nicht alles für die Familie. Außerdem habe ich immer noch ein bisschen Hoffnung, dass mein Zukünftiger ein anständiger Kerl ist. Um das ganze zu überstehen, brauche ich Thea an meiner Seite. Es hilft dabei nichts, wenn sie mir noch mehr Angst macht, als ich ohnehin schon habe.

„Na gut, dann mach ich mich jetzt halt fertig", gibt Thea widerwillig nach und robbt über das Bett, um aufzustehen.

„Danke!"

„Ich tue das für dich, nur damit das klar ist. Und wenn heute Abend kein gescheiter Typ dabei ist, verschwinden wir beide von hier. Ich werde nicht zulassen, dass du ein mieses Schwein heiratest!"

„In Ordnung!", stimme ich zu und kann meiner Schwester deutlich ansehen, dass sie nun etwas beruhigter ist.


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Eure Vermutungen, wen Annalise alles auf der Feier am Abend trifft:

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Saved Love | pausiert Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt