Achtzehn

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Nachdem sie sich bei ihren Freunden entschuldigt und sich von ihrer Mutter eine Schimpftirade angehört hatte, verkroch Eileen sich in ihrem Zimmer.
Ihre Mutter hatte ihr eine Tasse mit heißer Schokolade als Friedensbeweis angeboten, aber sie war trotzdem nicht aus ihrem Zimmer gekommen. Nicht, weil sie wütend war. Zumindest nicht auf ihre Mutter. Nicht mehr.
Sie starrte die Kette an, die sie noch immer in der Hand hielt.
Er hatte sie gefunden.
Er hatte sein Versprechen tatsächlich gehalten.
Eileen dachte an Dienstagabend und ob sie tatsächlich zum See kommen sollte. Er hatte sie nicht angelogen, doch er wich ihr immer aus.
Zum anderen konnte er neue Informationen über ihre Familie haben. Und dann war da noch diese verräterische Gefühl der Freude, wenn sie daran dachte, mit ihm Zeit zu verbringen.
Sie bezweifelte inzwischen, dass er irgendein Spiel mit ihr spielte. Vollkommen ehrlich war er jedoch auch nicht.
Seufzend vergrub sie ihr Gesicht in ihrem Kissen.

~

Irgendwann musste Cian seiner Tante beichten, dass er ihre Schreibtischschublade aufgebrochen hatte.
Sie nahm ihm die Entscheidung wohl ab, denn nur wenige Minuten, nachdem er sich erschöpft auf sein Bett hatte sinken lassen, stürmte sie in sein Zimmer.
"Willst du mir vielleicht irgendetwas beichten?", fragte sie kühl und verschränkte die Arme vor der Brust.
Es war schwer zu glauben, dass jemand so Liebevolles so streng wirken konnte, wenn man es nicht selbst erlebte.
"Ich hab in deinen Sachen rumgeschnüffelt.", gab er ohne Reue zu.
"Und?"
"Und was?"
"Willst du dich vielleicht dafür entschuldigen?"
Cian holte das kleine, in grünes Leder gebundene Album hervor, das er eigentlich bei sich gehabt hatte, um es Eileen zu zeigen.
Er blätterte bis zu einer markierten Seite vor.
Darauf zu sehen war ein Foto, auf dem die beiden Lear-Schwestern, sein Großvater, die junge Heather und ein anderer Junge zu sehen waren.
Sie alle saßen vor einem See - seinem See - und lächelte fröhlich in die Kamera.
"Willst du dich dafür entschuldigen, mir das verheimlicht zu haben?", gab er zurück. "Grandpa schien Heather gut gekannt zu haben. Vielleicht weiß sie ja, was damals passiert ist."
"Dieser alten Hexe darf man nicht trauen! Sie gehört in ein Heim."
"Und warum genau wolltest du mir das Album nicht zeigen? Du warst doch immer so bemüht, Großvaters Andenken zu verteidigen. Da ist noch ein Junge auf dem Bild. Weißt du, wer er ist?"
Beatrice sah ihn gekränkt an.
Sie hatte sich eine heile Welt erschaffen, die nun durch die Neugier ihres Neffen zerstört wurde.
"Das ist John Mcgrath."
"Warte, Mcgrath ist doch der Name von-"
Plötzlich schien sich alles in Cian zusammenzuziehen. Er bekam einen Moment lang keine Luft mehr und fiel vom Bett. Sein Herz schien kurz auszusetzen und dann deutlich langsamer weiterzuschlagen.
"Cian! Es ist schon Nacht, wir müssen weg!"
Sie half ihm hoch und schleppte sich mit ihm durch das Haus, hinunter zu ihrem Wagen.
Beatrice raste über die alte Güterstraße zum See. Währenddessen verkrampfte sich ihr Enkel auf dem Beifahrersitz und gab gequälte Schmerzenslaute von sich.
Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen.
Es tat jedes Mal wieder unglaublich weh, ihn so zu sehen. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es Cian selbst gehen musste.
Nach einer gefühlten Ewigkeit fanden die Scheinwerfer den See. 
H

astig stellte Beatrice den Motor ab.
Cian griff nach der Autotür und öffnete sie. 
Er fiel vom Sitz und schlug auf dem Boden auf.
"Cian!"
Sie rannte um das Auto herum und versuchte, ihm hochzuhelfen. 
"Komm schon, gleich haben wir's geschafft.", ächzte sie und zog ihn zum Wasser.
Als seine Hand das Ufer berührte, ließen seine Krämpfe etwas nach, aber das reichte nicht.
Cian zog sich gänzlich ins Wasser und verschwand in den Fluten.
Beatrice atmete tief durch und wischte sich die Tränen von den Wangen.
Zitternd stieg sie wieder ins Auto und gab sich die größte Mühe, nicht wieder los zu weinen.
Sie wollte ihm helfen, so unbedingt. 
Sie fuhr zum Haus zurück und holte das Album aus Cians Zimmer.
Sie blätterte alle Fotos durch.
Beinahe am Ende des Albums fand sie ein kleines Portraitfoto von einer jungen Frau. 
Sie hatte helles Haar, das ihr weich über die Schultern fiel. Sie lächelte ihr entgegen, hinter ihr wogen sich die Äste von Trauerweiden sanft im Wind. 
Sanft strich Beatrice über die leicht vergilbte Oberfläche.
Ihre Mutter war so schön gewesen.
Sie glaubte immer noch nicht, dass ihr Vater Schuld an ihrem Tod war.
Er wurde für so vieles verantwortlich gemacht, dass er unmöglich getan haben konnte.
Vor allem von Heather. 
Sie gab ihm die Schuld am Verschwinden von Fiona Lear und am Tod seiner Frau. 
Darum hatte sie ihm das angetan. Darum hatte sie Cian das angetan. 
Sie hasste diese alte Hexe dafür. 
Aber selbst wenn sie ihr buchstäblich den Hals umdrehen würde, würde das für Cian nichts ändern. 
Er wäre weiterhin verflucht.


Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt