Zehn

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Eileens Mutter erklärte ihr, dass sie auf halber Strecke zurück von der Arbeit eine Panne gehabt hatte und zum Glück George vorbeigekommen war und sie mitgenommen hatte. Eileen zog bloß die Augenbrauen hoch und widerstand dem Drang, nachzufragen wer George war. Als "Entschädigung" war ihre Mutter dafür zum Supermarkt und hatte Eileens Lieblingseissorten (Haselnuss und Cappuccino) und eine große Flasche Schokosirup geholt.
Das brachte Eileens Hunger zurück und ließ sie eine Zeitlang Cian vergessen. Nach dem süßen Abendessen jedoch drängten sich die alten Fragen zurück in ihren Kopf. Und neue. Was hatte Cian gewollt?
Sie sah zu ihrer Mutter, die in einen neuen Krimi vertieft war.
"Hey, Mum?"
"Ja, Schatz?"
"Kennst du eigentlich eine Frau namens Heather?"
Die Hände ihrer Mutter zitterten leicht, als sie ihr Buch beiseite legte und sie ansah.
"Wieso?"
Eileen zwang sich, möglichst beiläufig zu klingen.
"Ach, nur so... die Leute quatschen."
Sie wusste, dass ihre Mutter ihr nicht glaubte. Eileen war noch nie eine gute Lügnerin gewesen.
"Halte dich von dieser Frau fern!", sagte sie in einem strengen Ton, den Eileen lange nicht mehr von ihr gehört hatte.
"Warum, was..."
"Diese alte Hexe macht nur Probleme!", knurrte sie und stand auf.
Eileen hörte laut ihre Schlafzimmertür zuknallen. Verdutzt starrte sie auf den Sessel, wo ihre Mutter eben noch gesessen hatte. Sie hatte sie noch nie so aufgewühlt erlebt. Irgendetwas an dieser Frau machte sie wütend und ängstlich. Eine gefährliche Mischung.

~

Als Eileen Samstagmorgen zum See radelte, atmete sie erleichtert auf, als sie nirgendwo Cian entdecken konnte. Sie setzte sich ans Ende des Stegs und zog die Schuhe aus. Langsam ließ sie die Füße ins kalte Wasser gleiten. Etwas Ungewohntes, dass ihr sowohl Angst als auch Mut machte. Seit dem Unfall traute sie sich nicht mal mehr ein Bad zu nehmen und gab sich mit Duschen zufrieden. Aber an diesem Ort war es, als könnten sie ihre Ängste nicht erreichen. Als wären sie hinter einer Mauer ausgesperrt, die den See umgab. Sie waren da, konnten aber nicht ihre gierigen Klauen nach Eileen ausstrecken.
Sie griff wie nach ihrer Kette und nahm sie ab, um sie genauer betrachten zu können. Im Sonnenlicht suchte sie nach einer Gravur oder einem kleine Stein, den sie vielleicht übersehen haben könnte.
Aber nichts.
Es war eine einfache goldene Kette mit einer einfachen goldenen Kugel als Anhänger. Frustriert wollte sie die Kette wieder anlegen. Sie wusste nicht, was sie sich davon überhaupt davon erhofft hatte.
Der Anhänger ruschte ihr aus den Fingern und die filigrane Kette ließ sich nicht festhalten. Eher Eileen reagieren konnte, verschwand das Schmuckstück mit einem leisen, grausamen Plopp im See.
Entsetzt starrte sie in die Tiefen. Jemand hätte die Kette genauso gut ein Lagerfeuer werfen können.
Instinktiv streckte sie die Hand ins Wasser, obwohl der Grund nicht mal zu erkennen. Sofort übermannte sie die Panik und sie zuckte zurück.
Die Kette war alles gewesen, was sie als Verbindung zu ihrer Vergangenheit gehabt hatte.
Eileen spürte, wie ihr eine Träne über die Wange lief. Sie kullerte über ihr Gesicht und kam lautlos im Wasser auf.
Plötzlich hörte die das Schwappen von Wasser. Jemand tauchte neben ihr auf und sie glaubte, ihr Herz würde stehenbleiben. Sie krabbelt rückwärts und dachte, dass sie halluzinieren würde. Und wenn, dann wäre es eine verdammt miese Halluzination. Aber Cian grinste sie an und wirkte - leider - sehr real.
"Hallo, kleiner Tiger."
Eileen wollte ihn wütend anschreien, aber ihre Stimme reagierte nicht richtig.
"Wie... wie kannst du... so lange..."
Sie gab es auf, einen richtigen Satz zu produzieren.
Cian schien gar nicht darauf warten zu wollen.
"Nichts, worüber du dir deinen kleinen hübschen Kopf zerbrechen müsstest." Er musterte sie. "Sag mal, hast du Angst vor dem Wasser?"
Das brachte Eileen auf den Boden der Tatsachen zurück.
"Das geht dich nichts an!", erwiderte sie schroff.
Er ließ sich davon nicht beeindrucken.
"Wie du meinst. Hast du was verloren?"
Sofort wagte sich Eileen wieder etwas näher an ihn heran.
"Hast du meine Kette gesehen? Sie ist rein gefallen."
"Kann sein, ich bin mir nicht sicher. Ich hab nur kurz was glitzern sehen."
Irgendetwas sagte Eileen, dass er nicht log.
"Kannst du nach ihr tauchen?"
Er blickte sie verdutzt an.
"Bitte.", fügte sie verzweifelt hinzu. "Sie ist ein Familienerbstück."
"Tust du mir dafür einen Gefallen?", fragte er überraschend ernst.
Eileen hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht. Hatte er nicht schon genug Geld? Ihr fiel ein, was Kerle wie er noch mit Gefallen meinen könnten. Sie lief rot an. Wieso sollte er sie anmachen, noch dazu auf so dämliche Weise? Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Cian schien ihre Gedanken erraten zu haben. Täuschte sie sich oder kroch eine leichte Röte über seine Wangen?
"Nichts, was du denkst!"
"Und was willst du?", fragte sie genervt.
"Informationen. Ich glaube, jemand aus deiner Vergangenheit ist sehr wichtig für mich."

Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt