Zwölf

152 18 4
                                    

Als Eileen nach Hause kam, war ihre Mutter nicht da.
Ich hole das Auto aus der Werkstatt.
Eileen betrachtete den Notizzettel, den sie ihr hinterlassen hatte, und fragte sich, ob George sie hinfuhr. Sie musste sich dringend nach ihm erkundigen. Im Ofen stand die Hälfte des berühmten Gemüse-Käse-Auflaufs ihrer Mutter. Eileen machte es sich damit auf der Couch bequem und dachte nach. Ihre Mutter hatte nie ihre Familie erwähnt. Nur, dass sie alle tot wären.
Aber was, wenn diese Schwester noch am Leben war? Oder gar ihre Großmutter?
Sie musste Antworten bekommen. 
Es schien eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis ihre Mutter endlich zurückkam. Aber sie war nicht allein. Schon an der Tür hörte man das tiefe Lachen eines Mannes. Eileen sprang vom Sofa und war so schnell im Flur, dass sie beinahe ins Schlittern kam.
Ein großer Mann mit hellrotem Haar und einem ebenso roten Bart nahm ihrer Mutter den Mantel ab. Er trug einen Anzug, wie es unter Bankiers üblich war, aber der schien an ihm irgendwie falsch. Er wirkte mehr wie ein Holzfäller. Aber das Eigenartige an der Sache war eher, dass ihre Mutter seit Jahren nicht so glücklich ausgesehen hatte. 
"Ähm... hi...", sagte Eileen unsicher.
Schlagartig verstummte das Kichern, aber beide behielten ihr Lächeln. 
"Hallo, Schatz. Darf ich dir George vorstellen? Er ist ein Kollege und... Freund von mir."
Dieser hielt ihr die Hand hin. Er machte einen sympathischen Eindruck, trotzdem spürte Eileen ein leichtes Ziehen im Magen.
"Hallo, Eileen."
Sie ergriff seine Hand.
"Hey. Entschuldige, aber darf ich Mum kurz entführen?"
Eher jemand antworten konnte, zog sie ihre Mutter in die Küche und schloss die Tür hinter ihnen. Ihre Mutter sah sie etwas traurig an, was Eileen ein noch unbehaglicheres Gefühl bereitete.
"Liebling, tut mir leid, wenn ich dich mit dem Besuch überrumpelt habe. Nur hat mir George in den letzten Tagen viel geholfen und ich wollte ihm nur einen Kaffee... Jedenfalls ist es nicht so, wie es vielleicht aussieht..."
Eileen kam sich vor, als wäre sie die Erwachsene und ihre Mutter eine verliebte Teenie-Tochter, die einen Freund mit nach Hause brachte, den ihre Eltern unbedingt mögen sollten. Sie seufzte.
"Mum, es ist okay, ehrlich... Darum geht es nicht. Ich muss dich was fragen."
Eileen kramte das Foto aus ihrer Tasche und hielt es ihr hin. Sie schien es nicht wiederzuerkennen, aber als sie die Frau mit Baby betrachtete, wurden ihre Augen groß. 
"Wo hast du das her?", fragte sie leise.
"Das ist nicht wichtig, weißt du-"
"Nein, Eileen!", unterbrach ihre Mutter sie barsch. "WO HAST DU DAS HER?"
Verzweifelt suchte Eileen nach einer Ausrede. Konnte sie ihrer Mutter erzählen, dass Cian ihr das Bild gegeben hatte? Sie schien mit mehreren Leuten aus diesem Ort Probleme zu haben. 
"Ich hab's bei den alten Sachen in den Kartons gefunden.", log sie.
Ihre Mutter schien ihr nicht zu glauben, bohrte aber nicht mehr nach. Sie fuhr sich müde über die Augen und wirkte plötzlich um einiges älter.
"Du wirst keine Ruhe damit geben, nur weil ich dich darum bitte, oder?"
Eileen schmerzte der verzweifelte Ausdruck, der ihrer Mutter ins Gesicht geschrieben stand. Aber sie konnte nicht aufgeben. Noch nicht. 
Sie schüttelte den Kopf. 
"Die Frau mit dem Baby ist deine Großmutter Felicity. Das Baby bin ich. Und die Frau daneben ist ihre Schwester. Ich kenne nicht ihren Namen, weil meine Mutter sie aus unserem Leben raushalten wollte. Aber selbst wenn sie nicht unserer Nähe war, war sie wie ein Fluch für uns. Leute haben nach ihr gesucht und sie haben uns nie in Ruhe gelassen. Darum bin ich damals nach Dublin gezogen. Bitte vergiss die Sache, Eileen."
Sie gab ihr das Foto zurück, wenn auch zögerlich.
Eileen biss sich auf die Lippe. Sie wollte ihrer Mutter keine Sorgen machen, aber sie musste mehr über diese geheimnisvolle Schwester erfahren. Sie steckte das Foto wieder ein und verließ mit schnellen Schritten die Küche.
"Viel Spaß mit George.", rief sie über die Schulter.

Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt