Drei

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Vollkommen durchnässt und mit brennenden Gelenken erreichte Eileen fünf Minuten vor acht die Schule. Sie sprintete ins Gebäude und hätte dabei fast Billie umgehauen. 
"Eileen!", rief diese. "Da bist du ja! Wir haben uns schon Sorgen gemacht! Mein Gott, was ist denn mit dir passiert? Bist du den ganzen Weg hergerannt!?"
"Hab...verschlafen.", keuchte sie, während sie nach Atem rang. "Bin... mit dem Rad..."
"Okay, komm wir gehen in die Klasse."
Billie schob sie sacht vorwärts und zog dann einen Pullover aus ihrem Rucksack.
"Ich hab immer einen für Notfälle dabei. Geh dich nachher kurz auf der Toilette umziehen, bevor du dich erkältest."
Eileen lächelte sie dankbar an, da sie vor Atemnot immer noch kein Wort herausbrachte. Vielleicht sollte sie mal über mehr Sport nachdenken. Reed warf ihnen aus der vorderster Reihe einen Blick zu. Er grinste die beiden an und Billie streckte ihm die Zunge raus, was ihn zum Lachen brachte. Eileen musste schmunzeln und verzog sich nach ein paar Minuten in Professors Douglas Unterricht auf die Toilette. Sie zog sich den trockenen Pullover an. Zum Glück hatten Billie und sie ungefähr dieselbe Größe. Mit den Papiertüchern versuchte sie, ihre Haare zumindest etwas zu trocknen. Als sie aus der Toilette trat, sah sie, wie ein Junge gerade erst durch den Eingang kam. Er sah nicht aus, als hätte er es sonderlich eilig, dabei hatte der Unterricht schon lange angefangen. Und nass war er auch nicht. Sein blondes Haar fiel ihm in scheinbar perfekt frisierten Strähnen in die Stirn. Sie glaubte selbst von dieser Entfernung aus ein blaues Leuchten in seinen Augen erkennen zu können. Kurz erwiderte ihren Blick. Er schenkte ihr ein filmreifes Lächeln. Mit hochroten Wangen huschte Eileen den Gang hinunter zurück in die Klasse. Billie, die inzwischen neben ihr saß, fragte sie, ob alles in Ordnung sei. Eileen nickte nur.

~

Gegen Nachmittag hatten sich die Regenwolken verzogen und die Sonne schien warm auf die Dächer. Eileen saß mit Billie und Reed auf der Wiese im Hof. Sie beobachtete die anderen Schüler, während Billie versuchte, Reed die Wahrscheinlichkeitstheorie zu erklären. Eine große Gruppe kam laut lachend auf den Hof. Eileen erkannte unter ihnen den Jungen vom Morgen. Er war größer als die meisten und gut gebaut. Er sah beinahe zu gut aus, um ein einfacher Schüler an einem einfachen Ort zu sein. Billie stupste sie von der Seite an.
"Wen siehst du dir denn da so eingehend an?"
Eileen ignorierte ihre Verlegenheit so gut wie möglich und deutete auf den Jungen.
"Ich hab ihn heute Morgen gesehen. Der schien es trotz Verspätung nicht besonders eilig zu haben..."
Billie kniff die Augen zusammen. 
"Oh. Das ist Cian Fitzgerald. Wenn es reiche Familie in der Gegend gibt, dann seine. Er ist nur ein arrogantes Klischee und ein Schürzenjäger, also denk lieber gar nicht zu viel über ihn nach."
R

eed grinste bloß. Eileen sah ihm noch kurz hinterher, dann konzentrierte sie sich auf Billies Vortrag. 

Ein Mädchen aus der Gruppe um Cian kam angelaufen. Eileen erinnerte sich nicht ganz an ihren Namen. Wendy oder Amy. 
"Hey, Reed.", sagte sie mit einem breiten Lächeln und schien nicht mal zu bemerken, dass neben ihm noch zwei weitere Personen saßen. 
"Hey, Betty.", grüßte Reed sie freundlich zurück. "Was gibt's?"
"Die Jungs wollen nachher ein kleines Match auf dem Basketballplatz abhalten. Willst du auch mit?"
"Mal sehen."
Betty zog eine enttäuschte Schnute und ging ohne einen Abschied. Billie schüttelte sichtlich genervt den Kopf. Eileen musste ein Grinsen unterdrücken.
"Gehen wir da nachher hin?", fragte er.
Billie sah ihn entnervt an. "Wieso sollten wir?"
"Wir machen nie irgendwas, das Spaß macht."
Billie rückte ihre Brille zurecht, stand auf, schulterte ihren Rucksack und ging. Eileen sah ihr verdutzt hinterher.
"Hab ich was Falsches gesagt?", murmelte Reed. 
Eileen zuckte mit den Schultern. 
"Sie beruhigt sich schon wieder.", sagte er mit ein wenig Überzeugung. "Also wie sieht's aus? Gehen wir auch zum Match?"
Eileen dachte daran, was ihre Mutter ihr am Tag ihres Umzugs gesagt hatte. Sie hatte ihr das Versprechen abgenommen, sich mehr für Neues zu öffnen und zumindest hin und wieder aus ihrem Schneckenhaus zu kommen. 
"Ja, warum nicht?"
Als sie am Rand des Sportplatzes standen, bereute Eileen ihre Entscheidung bereits. Es sollte wohl bloß ein kleines Spiel zwischen ein paar Freunden an einem schönen Nachmittag werden, aber ein paar Mädchen kreischten jubelnd wie ein paar wildgewordene Cheerleader und andere kippten sich mit Bier zu, für das sie sicher noch nicht alt genug waren. Reed fügte sich perfekt in die Menge ein und feuerte ein paar Kumpels an, während Eileen unsicher ihren Blick hin und her gleiten ließ, bis er irgendwann an Cian hängen blieb. Sie konnte nicht leugnen, dass er gut aussah, aber wenn sie bemerkte, wie er den Mädchen nach der Reihe zuzwinkerte oder ihnen etwas ins Ohr flüsterte, dass sie erröten ließ, dann zweifelte sie keine Sekunde an dem, was Billie über ihn erzählt hatte. Nach einigen Minuten des Spiels hatte sie von dem Gekreische und dem Johlen der Betrunkenen genug und deutete Reed, dass sie wieder ging. Er nickte ihr zu und legte ihr kurz als Abschied eine Hand auf die Schulter. Eileen verließ den Sportplatz über einen kleinen Trampelpfad, der weg vom Ort führte. Es blieben ihr noch ein paar Stunden Tageslicht und sie wollte nicht nur zu Hause rumsitzen. Irgendwann kreuzte sich der Weg und ohne nachzudenken ging sie Richtung Wald.

Der Froschkönig (Märchenadaption)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt