Eileen überprüfte zum letzten Mal ihre Präsentation für Geschichte. Billie ging mit Reed seinen Text durch und verzweifelte, als er zum fünften Mal das Geburtsjahr verwechselte.
"Nicht 1897!", rief sie sowohl wütend als auch genervt. "1879! Komm schon, langsam glaube ich, du stellst dich mit Absicht so dumm an!"
Während Billie etwas auf seine Notizzettel kritzelte, zwinkerte Reed Eileen zu. Sie musste ein Grinsen unterdrücken, auch wenn Billie ihr ein bisschen leidtat. Aber sie kannte Reed inzwischen gut genug um zu wissen, dass er nachher eine perfekte Präsentation ablegen würde, weil er sich längst alles gemerkt hatte, was Billie ihm vorgesagt hatte. Er wollte sie einfach nur von der Nervosität ablenken. Schließlich rief Mr Murray ihre Gruppe auf. Anfangs zitterte Billies Stimme, aber dann übernahm sie fast die ganze Präsentation wie eine geborene Professorin. Reed kannte seinen Text wie erwartet perfekt, behielt aber sein Grinsen im Gesicht. Dann war Eileen an der Reihe. Auch sie kannte ihren Part in- und auswendig, merkte jedoch, dass sie sich seltsam tonlos anhörte. Als würde eine fremde Person für sie sprechen. Trotzdem bekamen sie eine gute Note, was Reed freute, Billie allerdings nur mäßig gut stimmte. Beim Mittagessen sah sie Eileen besorgt an.
"Alles okay bei dir?"
Eileen hatte gar nicht bemerkt, dass sie in ihrer Pasta nur rumgestochert hatte, anstatt sie wirklich zu essen. Sie hatte einfach keinen Appetit.
Ihre Gedanken blieben bei der verrückten Alten, der verschwundenen Fiona, der Frage, warum dieser See sie so seltsam anzog, und...
Die Türen zur Cafeteria gingen auf. Cians Gruppe kam herein stolziert, aber wer fehlte war Cian. Eileen konnte nicht anders, als sich zu fragen, wo er war.
Bis Billie ein paarmal vor ihrem Gesicht herumschnippste.
"Bist du noch da? Was ist denn heute los mit dir?"
Eileen schob ihren Teller von sich und legte das Besteck beiseite. Reed lächelte erfreut und griff sofort danach.
"Tut mir leid, ich... weiß es nicht."
"Hast du Heimweh nach Dublin?"
Die Frage überraschte Eileen. Aber Billie sah sie an, als wüsste sie genau wovon sie sprach.
"Nicht wirklich... ich zerbrech über viel den Kopf, wenn der Tag lang ist. Sag mal, vermisst du eigentlich einen Ort?"
Billie lächelte traurig und nahm einen Bissen ihres Schokoriegels.
"Ich hab bis ich sieben war mit meiner Mutter in Galway gelebt. Ich hab die bunten Häuser und den Hafen geliebt. Aber dann..."
Sie presste die Lippen fest aufeinander und ihre Augen wurden feucht.
Reed ließ Eileens Pasta stehen und legte ihr einen Arm um die Schultern.
Eileen fühlte sich mies.
"Entschuldige, ich wollte nicht..."
Billie winkte ab.
"Es ist okay, du weißt doch noch so gut wie nichts über mich. Als ich hier ankam, hab ich mich ziemlich verloren gefühlt. Aber dann..." Sie sah mit einem breiten Lächeln zu Reed hoch, der fröhlich zurückgrinste. "...hab ich den Idioten getroffen und alles war nur noch halb so schlimm."
Reed zog sie noch etwas näher an sich und gab ihr einen Kuss auf den Haarscheitel. Dann ließ er sie los und beiden stand etwas Röte ins Gesicht geschrieben. Billie räusperte sich und griff nach Eileens Hand.
"Aber es ist schön, auch ein Mädchen als beste Freundin zu haben. Du kannst mit uns reden, wenn dich etwas bedrückt."
Reed nickte und wirkte so ernst wie nie zuvor.
"Das klingt jetzt vielleicht kitschig, aber wir wissen, wie es ist, sich allein zu fühlen. Wir sind für dich da, Lee."
Eileen antwortete nicht. Ohne auf die Getränke zu achten, die sie dabei verschüttete, beugte sie sich über den Esstisch und umarmte die beiden fest.
Reed lachte und Billie erwiderte die Umarmung fest.
Die seltsamen Blicke der anderen ignorieren alle drei.~
Eileen wartete seit einer halben Stunde auf ihre Mutter. Sie hatte versprochen, sie abzuholen. Aber sie kam nicht und als ob das Schicksal sie für irgendetwas bestrafen wollte, war auch noch ihr Akku leer. Als nach fast einer Stunde immer noch nicht ihr Wagen zu sehen war, schulterte Eileen ihre Schultasche und machte sich langsam zu Fuß auf den Weg. Es würde über eine Stunde dauern, aber sie konnte niemanden um Hilfe bitten. Billie hatte wie sie keinen Führeschein und Reeds Vater feierte heute Abend seinen Geburtstag, da konnte sie nicht stören.
Es war schon dunkel, als sie die Küstenstraße entlangwanderte. Plötzlich tauchten zwei Scheinwerfer auf und ein teuer aussehender Wagen hielt neben ihr.
"Steig ein.", sagte eine Stimme durch das heruntergelassene Fenster. "Ich bring dich nach Hause."
Eileen machte sich nicht mal die Mühe, Cian anzusehen.
"Nein, danke!", knurrte sie genervt.
Cian stieg aus und stellte sich ihr in den Weg. Eileen überlegte, ihn zu ohrfeigen, wenn er sie nicht vorbeiließ. Sie war nicht gewalttätig, aber dieser Kerl strapazierte ihren Geduldsfaden gefährlich.
"Ich muss mit dir reden!", behaarte er und machte keine Anstalten, sie durchzulassen.
"Du kannst nicht alle herumkommandieren, nur weil du viel Geld hast!", fauchte sie und stieß ihn mit aller Kraft beiseite.
Diesmal ließ er es bleiben. Sie wusste nicht, woher sein plötzlicher Sinneswandel kam, sich mit ihr unterhalten zu wollen, aber es ging ihr genauso auf die Nerven wie die Arroganz, die er zuvor an den Tag gelegt hatte.
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Der Froschkönig (Märchenadaption)
FantasyNeues Haus, neue Stadt, neue Schule - alles Dinge, auf die die 17-jährige Eileen gut hätte verzichten können. Nachdem sie jahrelang ein aufregendes Leben in Dublin geführt hat, schleppt sie ihre Mutter mit ins Nirgendwo. Eines Tages entdeckt sie mi...