Das Geheimnis der Tejudis

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Das Schlagen der Flügel und der rasselnde Atem des Drachens war alles, was Lanessa noch hörte. Im Nuh hatten sie die Festung hinter sich gelassen, doch die Bewegungen unter ihr waren steif und unbeholfen. Lanessa sah, wie sie über die Furth hinwegglitten.

Tigran beute sich vor und legte Aeris seine Hand auf den Hals. Er sprach leise und in beruhigenden Ton in seiner Muttersprache mit ihr. Die Sorge in seiner Stimme machte Lanessa angst.

„Was ist mit ihr?", fragte sie, als er sich wieder zurücklehnte.

„Es hat zu lange gedauert", sprach der Prinz ernst. „Sie wird langsam und müde."

Auch die Anzahl ihrer Flügelschläge wurde immer weniger und sie verloren allmählich an Höhe.

„Wir werden es nicht bis zurückschaffen", sagte Tigran mehr zu sich selbst.

„Was geschieht mit ihr?"

„Irgendwann wird sie bewegungsunfähig sein", erklärte er. „Ihre Körpertemperatur ist von der Umgebung abhängig."

„Und wenn sie sich aufwärmen könnte ...", sprach Lanessa aufgeregt. „Dann könnte sie sich erholen?"

„Wenn es eine Möglichkeit gäbe ..."

„Die gibt es vielleicht", sagte Lanessa und deutete nach links. „Bewegt sie dazu nach Südosten zu fliegen ... Zu den heißen Quellen."

Tigran schien erleichtert und Aeris senkte den Flügel und im Bogen flogen sie weiter. Mit jeder Minute wurde der Drache träger, doch schon bald kamen sie in eine Art Hochnebel hinein und die Luftschicht war bereits deutlich wärmer.

Schließlich landete Aeris plump in einer Kraterlandschaft. Dampf stieg von den unzähligen Laachen auf und befeuchtete die Luft.

Tigran half Lanessa beim Absteigen und glitt dann selbst von dem Drachen hinunter. Aeris wandte träge ihren Kopf in seine Richtung. In ihrem Auge steckte ein Pfeil. Der Kronprinz trat an sie heran, doch Aeris kniff sogleich die Augen zusammen und riss den Kopf hoch. Ein schmerzvolles Krächzen entkam ihrer Kehle.

Lanessa beobachtete, wie Tigran sich darum bemühte, die Verletzung anzusehen. Doch der Drache wehrte jede Annäherung ab. Schnappte sogar mit seinem gigantischen Maul nach dem Kronprinzen und verfehlte ihn nur um eine Armlänge. Dann stellte sie wütend ihren Rückenkamm auf und fauchte aufgebracht. Tigran sprach ruhig auf sie ein, doch scheinbar hatte Aeris genug. Sie wandte sich von ihm ab, schritt zwischen den Kratern hindurch und fand schließlich ein Loch, in das ihr kompletter Leib hineinpasste. Zischend verschwand sie ganz im heißen Wasser. Die überschwappenden Wellen knisterten, als sie sich über das Eis ergossen und nach kurzer Zeit tauchte ihre Nasenspitze und die Nüstern auf.

„Wie schlimm ist es?", fragte Lanessa, als Tigran zu ihr herüberkam.

„Sie hat scheinbar ihr Augenlicht verloren", antwortete er. „Ich kann nicht viel tun, sie muss von einem Heiler behandelt werden."

„Habt Ihr nicht Angst, sie könnte Euch verletzen?", fragte Lanessa. „Sie hat Euch eben nur knapp verfehlt."

„Aeris würde mir nie etwas antun", sagte er schlicht.

„Was macht Euch da so sicher? Sie ist wie ein wildes Tier."

Tigran blieb mit dem Rücken zu Lanessa gewandt stehen und sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Stattdessen sah er auf die Quellen hinab, in der Aeris verschwunden war. Dann sagte er bloß: „Sie ist meine Schwester."

Er ging am Rande der Krater entlang. Ein nachdenklicher Ausdruck lag auf seinem Gesicht und schließlich hielt er eine Hand ins Wasser. Lanessa sah ihm verwundert nach. Zweifellos musste er sich in der Wortwahl geirrt haben.

Liebe geht ihren eigenen WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt