Nik-Takhal

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Nach der Mittagshitze trafen sie sich in den Stallungen. Lanessa wurde von Leif und Lamont begleitet, die das Satteln der Pferde veranlassten. Tigran und Ramón traten in die Stallgasse und sie knickste vor dem Prinzen zur Begrüßung.

„Unsere Pferde sind noch nicht fertig", erklärte sie, nachdem man dem Kronprinzen die Tiere brachte.

„Es ist nicht nötig, Eurer eigenes Pferd zu satteln. Ich habe bereits eines für Euch." Er reichte ihr die senfgelben Zügel einer weißen Stute.

Das Tier begrüßte Lanessa mit weit aufgeblähten Nüstern und schnupperte an ihrer Hand. Die Augen waren groß und ausdrucksvoll und der Hechtkopf war nicht ganz so ausgeprägt. Sattel und Trense waren kunstvoll verziert und mit roten und gelben Bommeln behängt. Auch um den Hals trug die Stute ein farbenfrohes besticktes Band mit baumelnden Quasten.

„Sie trägt den Namen Lulua", erklärte Tigran. „Das bedeutet Perle."

„Sie ist wunderschön", sprach Lanessa überwältigt.

„Dann soll sie von nun an Euch gehören!"

Mit großen Augen wandte sie sich zum Kronprinzen um und bedankte sich herzlich. Lulua schaute aufmerksam im Hof herum, ihre kleinen spitzen Ohren waren ständig in Bewegung. Als ihre Brüder dazukamen, fiel Lanessa zum ersten Mal selbst auf, wie träge und schwerfällig ihre eigenen Pferde gegen die der Südländer wirkten. Dazu kamen all das Leder und die vielen Schnüre, die zu der Ausrüstung gehörten.

Der Zaum der südländischen Pferde bestand nur aus drei Riemen und der Sattel wirkte mehr als eine Decke.

Lamont sah misstrauisch zu ihnen herüber, als sie bemerkten, dass Lanessa auf der Schimmelstute aufsaß. Doch er sagte nichts. Seine Schwester strahlte über das ganze Gesicht und sie folgte dem Kronprinzen durch die Tore hinaus.

Tigran ritt einen hellen Rotfuchs und Ramón einen Braunen.

Lanessa fragte sich bereits, wohin sie reiten würden. Unterhalb der Festung gab es nicht viel Land und der Weg hinunter war lang. Doch schon bald ritten sie bergauf und ließen die Stadt hinter sich.

Die Stute war feinfühlig und ihre Bewegungen waren angenehm und flüssig. Es war ein völlig anderes Gefühl, als Lanessa es kannte, doch es begeisterte sie. Der Himmel kam näher und nach einer Weile hatten sie fast das Ende des Berges erreicht. Ramón und Lanessas Brüder ritten hinter ihnen und Tigran beschrieb ihr den ganzen Weg über, die traditionelle Pferdezucht seiner Heimat.

Dann war der letzte Felsen überwunden. Lulua machte einen Satz nach vorne und sie standen auf einem großen weitläufigen Plateau.

Die Aussicht zurück war atemberaubend. Weit unter ihnen lagen die Stadt und die Festung, die mit dem Berg verwachsen war. Dahinter trennte das Meer den Süden und den Norden. Lanessas Blick ging in die Ferne. Der Norden war eine dunkelgrüne Waldpracht und am Horizont konnte sie die hohen schneebedeckten Berge, ihrer Heimat erkennen. Für einen Moment machte sich Heimweh breit.

Dann wandte sie ihr Pferd um und folgte Tigran.

Die Ebene war karg und enttäuschend. Die bunten Pflanzen, die den Boden bedeckten schienen trocken und verdorrt zu sein. Vor ihnen lag nichts außer endloser Weite. In der Ferne konnte Lanessa lediglich ein paar dürre Bäume erkennen.

Lulua schnaubte aufgeregt und begann zu tänzeln.

„Sie ist temperamentvoll", sagte Lanessa und nahm die Zügel etwas mehr auf.

„Sie passt perfekt zu Euch", schmunzelte Tigran. „Sie möchte Bewegung, die Ebene erregt sie."

„Wie wäre es mit einem Rennen?", fragte die nordische Prinzessin lächelnd und ignorierte Lamonts Blick.

Liebe geht ihren eigenen WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt