Der Preis

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Die Tyreser, die Kleriker Iribors, gewährten ihnen Asyl, so wie Tigran es vorausgesagt hatte. Sie kümmerten sich auch um den Drachen. Aeris ging es jedoch weiterhin schlecht. Zwar gaben sich die Kleriker Mühe bei der Behandlung der Erfrierungen, doch scheinbar hatte es zu lange gedauert. Ihr Auge blieb für immer blind und nun hatte sie auch noch mit einer, von dem absterbenden Fleisch ausgelösten, Infektion zu kämpfen.

Tigran war besorg und sah mehrmals am Tag nach ihr.

Der Drache ruhte in den Katakomben unterhalb des Tempels. Es war ihr Geburtsort und Lanessa fragte sich, ob Aeris dort auch sterben würde.

Am dritten Tag, nach ihrer Ankunft fand die Zeremonie ihrer Vermählung statt. Trotz allem, was hinter ihr lag, war Lanessa nun glücklich. Niemand würde sie mehr trennen können. Nicht ihr Vater, nicht Ruppert und auch nicht der König. Sie hatten einander vor den Göttern ewige Treue gelobt und das war alles, was zählte.

Tigran und Lanessa gehörten zusammen, wenn sie auch nicht unterschiedlicher sein konnten. Sie waren wie Feuer und Eis – ein Dämon des Südens und ein nordischer Engel – und genau wie diese Gegensätze brauchten sie einander, um sich selbst zu finden, denn man konnte die Hitze nicht spüren, wenn man die Kälte nicht kannte.

Es war die friedlichste Zeit, die sie je miteinander haben sollten. Unbeschwert, ohne Verantwortung und jeder Moment war mit Liebe und Zärtlichkeit gefüllt.

Lanessa war endlich glücklich und Tigran war es ebenso.

Diese Idylle dauerte einige Wochen an, endete jedoch abrupt mit Ramóns Ankunft in Thikhal. Endete hart schmerzlich und laut wie ein Hammerschlag auf Eisen.

Lanessa sah ihn zusammen mit Tigran am Eingang des Tempels stehen und ging zu ihnen, um die Neuigkeiten zu erfahren, die er mitgebracht hatte. Als sie die Männer erreichte, schwiegen sie einen Moment. Die nordische Prinzessin sah die Sorge in ihren Gesichtern und einen Augenblick lang fürchtete sie sich, Fragen zu stellen.

Ramón begrüßte sie gebührend, dann sah er Tigran wieder an.

„Was ist geschehen?", fragte Lanessa ängstlich, als sie zwischen beiden hin und herblickte.

Der Kronprinz legte behutsam einen Arm um Lanessa.

„Haus Freveyier", sprach Ramón heiser, „ist erloschen."


❖ ❖ ❖


Als Lanessa die Augen wieder aufschlug, war es fast dunkel um sie herum. Nur der sanfte Schein einer Kerze erleuchtete den Raum. Sie erkannte das Zimmer. Es war das Gemach, dass sie sich mit Tigran teilte.

Nachdem der Kronprinz bemerkte, dass sie zu sich gekommen war, trat er ans Bett heran und sah sie mit sorgenvoller Miene an.

„Wie geht es Euch?", fragte er leise und kniete neben ihr nieder.

Lanessa fühlte sich, wie in einem Traum gefangen. In einem elenden nicht enden wollenden Albtraum. War all das der Preis dafür, dass sie glücklich sein wollte? Das sie einfach nur wollte, was alle anderen hatten?

„Schwach", gab sie zu.

Tigran griff ihre Hand und küsste sie bedächtig.

„Die Kleriker sagen, Ihr dürft Euch nicht aufregen", flüsterte er. Dann bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Sie sagen, Ihr erwartet ein Kind."

Tränen liefen Lanessa stumm aus den Augen, ohne dass sie es verhindern konnte. Wie konnte eine so schöne Nachricht so schmerzvoll sein? Wie konnte ein Geschenk der Götter sie bloß so traurig machen. Doch Lanessa konnte an nichts anderes denken, an nichts, außer dass dieses Kind niemals ihre Familie kennen lernen würde. Es würde nie die Heimat sehen, aus der seine Mutter stammte und auch niemals ihre Brüder kennenlernen.

Liebe geht ihren eigenen WegWo Geschichten leben. Entdecke jetzt