Sydney - 11 Jahre zuvor - 2011
"Hast du das Glas?", ertönte Samanthas Stimme ohrenbetäubend laut aus dem Flur.
"Jaha!", rief ich etwas leiser zurück.
"Hört auf so zu brüllen!", schrie Dad vom Treppenansatz zu uns in den ersten Stock hinauf.
"JAHA!!!!", brüllte Sam extra laut die Treppe hinab.
"RUHE!", schritt Mum ein, grinste aber und legte Dad beruhigend eine Hand auf die Schulter, doch dieser grinste ebenfalls.
"Ihr seid so komisch. Alle!", meinte ich kopfschüttelnd und verzog den Mund, konnte die Miene angesichts meiner vergnügten Familie allerdings nicht lange halten.
"Siehst du, Jasmine? Da fängt schon die Vorpubertät an, bei unserer kleinen Syddiemaus", flüsterte Dad Mum ins Ohr, jedoch absichtlich so laut, dass selbst wir es hörten.
"Boah Papa", ich verdrehte die Augen und schnappte mir meinen zitronengelben Rucksack von meiner Türschwelle.
"In meiner Zeitschrift stand, dass die Vorpubertät ab dem siebten Lebensjahr beginnen kann, und da heute euer siebter Geburtstag ist...", Dad zuckte mit den Schultern, während er in seine Schuhe schlüpfte.
"Aber Mum sagt immer, man soll nicht auf Klatschzeitschriften hören!", warf mein Zwilling oberschlau ein.
Dad blickte geschockt zu seiner Tochter und legte sich eine Hand aufs Herz, bevor er mit eindringlicher Stimme verkündete: "Aber Samantha, das sind doch keine Klatschzeitschriften!"
"Sind es doch", teilte ich meinem Vater mit und klatschte mit Mum ab, die ihrem Mann kurz darauf einen versöhnlichen Kuss auf die Wange drückte.
"Kommt ihr endlich? Das Boot fährt sonst ohne uns weg!", meinte Sam und hüpfte hibbelig auf der Stelle, ihre Hand bereits ungeduldig auf der Türklinke.
"Wir haben es gemietet. Es fährt nicht ohne uns weg", beschwichtigte Mama sie, scheuchte uns aus dem Haus und schloss die Tür hinter uns ab.
~
Ich liebte das Meer.
Wirklich.
Ich würde niemals einen Menschen heiraten müssen, das Meer würde mir immer reichen. Es würde mir zuhören, mich trösten und mich glücklich machen. Genau wie Mum es bei Dad tat und andersrum.
"Sydney du trödelst schon wieder!", quengelte meine Schwester, die bereits auf dem Deck des Bootes saß und mich ungeduldig beobachtete.
"Nein, das ist gar nicht wahr. Ich genieße die kleinen Dinge, im Gegensatz zu dir!", verteidigte ich mich empört und ließ die Füße absichtlich noch länger im Wasser baumeln.
"Ey Sydney du nervst", Sam stand auf, warf mir einen letzten, wütenden Blick zu und lief dann zum Bug.
Seufzend zog ich meine Beine aus dem erfrischend kühlen Nass und stützte mich auf den Holzsteg, um dann den Abstand zwischen Steg und Boot mit einem großen Schritt zu überbrücken.
Dass meine Schwester auch immer gleich so wütend werden musste.
Das Boot war nicht so groß wie die Yachten, die jeden Tag in Miamis Hafen an- und ablegten, aber groß genug für uns vier war es auf alle Fälle.
Ich lief über das holzvertäfelte Deck Richtung Bug, um mich mit meiner Schwester wieder zu vertragen, aber diese machte auf dem Absatz kehrt und verschwand in der Fahrerkabine, sobald sie mich erblickte.
"Sie regt sich auch wieder ab. Du kennst sie doch", meinte Mum tröstend und stellte sich hinter mich, sodass ich mich gegen sie lehnen konnte, als Dad den Motor ruckelnd startete und wir Miamis überfüllten Hafen hinter uns ließen, Kurs auf die offene See.
~
"Sydney jetzt komm endlich!"
Offenbar war meine Schwester heute hauptsächlich davon genervt, dass ich - ihrer Meinung nach - die ganze Zeit herumtrödelte.
Samantha saß auf einer Picknickdecke ganz vorne am Bug des Schiffes, in ihrer Hand ein leeres Marmeladenglas.
Letztes Jahr hatte Grandma uns am Telefon von einem deutschen Film erzählt, den sie mit unserer Cousine in Deutschland gesehen hatte.
Der Film hieß Die freien Hühner oder so.
Jedenfalls gab es in dem Film ein Mädchen, das gesagt hatte, wie schön es doch wäre, wenn man gute Zeiten in Marmeladengläser tun, und in schlechten Zeiten daran riechen könnte.
Ich fand die Idee toll. Sam auch.
Mittlerweile hatten wir schon dreizehn Gläser, alle gefüllt mit unterschiedlichen Erinnerungen.
Ich setzte mich neben Samantha und rutschte ganz nah an sie heran, um den Moment ja nicht zu verpassen.
Meine Schwester öffnete das Glas, hielt es ganz hoch in den Fahrtwind und schlug dann, möglichst schnell, den Deckel wieder darauf.
"Glas Nummer vierzehn", meinte ich zufrieden und legte meinen Kopf auf ihre Schulter.
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Still Waters Run Deep
Teen FictionLiam schwieg eine Weile und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. "Warum der Namenswechsel?", wollte er schließlich wissen. "Mit dem Namen Samantha habe ich viel Scheiße durchgemacht. Ich denke ich wollte ein Kapitel abschließen und ein neues...