"Ich brauche dich doch.."

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TW: Self Harm

Schlaflos wälze ich mich in meinem Bett. Egal wie sehr ich mich anstrengte eine bequeme Position zu finden, ich schaffte es nicht. Seufzend warf ich meine Beine aus dem Bett und setzte mich auf. Vielleicht hilft ja ein Schluck Wasser. Ich stellte mich hin, und spürte den kalten Holzboden unter meinen nackten Füßen. Es schüttelte mich kurz. Ich lief auf leisen Sohlen aus meinem Zimmer, auf den Flur. In der Küche nahm ich mir ein Glas und schenkte mir etwas Wasser ein. 

Als ich fertig war lief ich vorsichtig wieder nach oben. Doch gerade als ich wieder in meinem Zimmer verschwinden wollte, hörte ich ein leises Geräusch. Ich war mir zwar nicht sicher, doch es hörte sich an wie ein unterdrücktes Schlurzen. Ich drehte mich wieder um und versuchte herauszufinden wo das Geräusch herkam. Als ich am Badezimmer vorbeiließ wurde das Schlurzen etwas lauter. Sanft klopfte ich an der alten Holztür. Das Schlurzen verstummte, und ich hörte etwas klimpern. Langsam drückte ich die Klinke runter, und öffnete die Tür. Hinter dieser stand mein Bruder mit dem Rücken zu mir,  auf das Waschbecken gestützt.

"Fünf?" flüsterte ich nur. Ich ging einen Schritt auf ihn zu, doch er schüttelte heftig den Kopf.

"Y/N.. geh wieder ins Bett." sagte er. Seine Stimme war brüchig, und sein Körper zitterte. 

"Fünf, ist alles in Ordnung?" Ich kam noch einen Schritt näher. 

"Ja. Alles bestens. Geh jetzt bitte wieder ins Bett." Warum versuchte er mich so schnell loszuwerden? Ich glaubte ihm kein Wort und stand nun einen halben Meter hinter ihm. Ich lief um ihn rum, doch mir wich die Farbe aus dem Gesicht. Das Waschbecken war voller Blut, und drinnen lag eine Rasierklinge. Ebenso voll mit Blut. Ich sah auf seine Arme, und musste Schlucken. Dicke, tiefe Schnitte wurden in seine Haut geritzt. Blut quoll aus jedem dieser Schnitte. 

"Fünf.." meine Stimme brach ab. 

"Und? Bist du nun glücklich? Mich so Schwach zu sehen?" zischte er und verkrampfte seine Hände,  welche nun das Waschbecken umkrallten. Ich schüttelte den Kopf und sah in sein Gesicht. Tränen füllten seine grünen Augen, und nahmen ihm die Sicht. 

"Dann solltest du auch wieder gehen." sagte er kühl. Wieder schüttelte ich den Kopf. 

"Nein." sagte ich fest. 

"Fünf.. warum?" Ich stellte das Glas auf den Boden und sah im dann in die Augen.

"Warum tust du dir das an?" fragte ich ein weiteres mal. Doch er schüttelte nur langsam den Kopf.

"Das geht dich einen Scheißdreck an, Y/n." zischte der Brünette und ließ das Waschbecken los. Er schnappte sich ein Tuch und fing an mit Wasser das Blut aus dem Wachbecken zu wischen. 

"Mich geht das genauso an wie dich, Fünf. Ich habe Angst um dich. Ich mache mir sorgen! Ich-" 

"Wo warst du dann die letzten Monate?" schrie er mich plötzlich an. Tränen strömten ihm über die Wangen. 

"Wo warst du, als ich dich am meisten gebraucht hatte? Wo warst du, als ich niemanden hatte, außer mir selbst? Wo warst du, als ich am tiefsten vom tiefsten war und keinen Ausweg gefunden hatte, wieder aus dieser Dunkelheit zu entfliehen? Was ist, wenn ich dir sage, das ich einen Weg gefunden habe? Einen Weg, in dem ich mich nicht unterdrückt fühle." Seine Stimme schrie Wut, doch seine Augen sprachen Schmerz. Schmerz der ihn schon seit qualvoller Zeit plagte, doch immer verleugnet hatte. 

"I- Ich weiß das das falsch ist. Aber es ist der einzige Weg, der mich wenigstens etwas frei fühlen lässt." sagte er, seine Stimme zitterte bei jedem Wort. Er schüttelte leidvoll den Kopf, und lies sich dann an der Wand niederrutschen. Sein Kopf gegen die kalte Wand gelehnt. Ein Klos hatte sich in meinem Hals gebildet. Warum war es mir nicht früher aufgefallen? All diese Zeit..

Ich lief zum Regal und griff nach dem Erste-Hilfe Kasten und einem sauberen Handtuch, welches ich mit kaltem Wasser befeuchtete. Dann setzte ich mich vor Fünf in den Schneidersitz, und hielt ihm meine Hand hin. Er verstand, rollte die Augen und hielt mir seinen linken Arm hin. Ich fing langsam an ihm das Blut vom Arm zu wischen.

"Es tut mir leid." sagte ich, meinen Blick immer noch auf seine Wunden gerichtet.

"Ich hätte es früher bemerken sollen. Wie schlecht es dir eigentlich ging. Ich.. Ich konnte es einfach nicht sehen. Ich konnte dich nicht sehen." meinte ich. Langsam sah ich wie Fünf seinen Kopf wieder hob. Tränen bildeten sich in meinen Augen.

"Ich weiß nicht wie du dich fühlen musst.. und ich habe auch keine Ahnung wie schwer es für dich sein muss... Aber ich weiß das dich jeder in deiner Familie unendlich liebt. Und wir könnten es uns alle nicht verzeihen, wenn du eines Tages einfach verschwinden würdest... ich könnte mir das nie wieder verzeihen.." Schniefend wischte ich mir meine Tränen mit dem Armel weg. Sein Arm war nun mehr oder weniger wieder sauber, und ich fing an einen Verband um ihn zu wickeln. Gerade als ich seinen Arm fertig verbunden hatte, spürte ich seine Finger unter meinem Kinn, welche mich zwangen ihn anzusehen. Seine Augen waren rot, und geschwollen. Und denke meine sahen nicht gerade anders aus.

"Fünf, wir lieben dich alle so sehr.." wiederholte ich mich und strich ihm eine verschwitze Strähne aus dem Gesicht. 

"Ich weiß.. ich weiß.. aber da ist trotzdem dieser ständige Druck.." 

"Ich will dir helfen. Ich unterstütze dich. Du bist nicht mehr alleine! I- Ich will nicht das dir was passiert. Ich kann mir sowas nicht verzeihen wenn du fort bist.. Ich kann dich einfach nicht verlieren.. Ich brauche dich doch.." Den letzten Teil flüsterte ich nur, währen mir eine Träne nach der anderen die Wangen runterkullern. Auch seine Wangen waren wieder Nass und seine Hand an meinem Kinn zitterte. Langsam hob ich meine Hand, und griff nach seiner. Ich hielt sie fest, und ließ sie nicht los. Ich konnte ihn einfach nicht los lassen. Plötzlich zog mich Fünf auf seinen Schoss und schloss seine Arme um mich. Natürlich erwiderte ich die Umarmung, und drückte ihn fest an mich. 

"Ich will dir Helfen.. ich brauche dich.." murmelte ich, immer und immer wieder, während er seine Finger in meinen Pyjama krallte. 

"Bitte.." er löste sich wieder von mir, sah mich jedoch nicht an. 

"Bitte hilf mir, Y/n.." flüsterte er qualvoll. Danach hob er seinen Blick und sah mir in die Augen. Ich nickte, und drückte ihn wieder fest an mich. Und so schnell würde ich ihn auch nicht mehr loslassen.

𝙵𝚞̈𝚗𝚏 𝙷𝚊𝚛𝚐𝚛𝚎𝚎𝚟𝚎𝚜 ☕︎ ᵒⁿᵉˢʰᵒᵗˢWo Geschichten leben. Entdecke jetzt