39. Mitternachtspizza

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Maurice und ich tanzten nicht nur zu seinem Lieblingslied, sondern zu dem danach und auch den weiteren Liedern bis der DJ eine halbstündige Pause einlegte und irgendwas auf Band abspielte. Dies war der perfekte Zeitpunkt, um die Tanzfläche für eine Abkühlung zu verlassen, wobei ich frische Luft einem kühlen Drink vorzog.

Wir hatten beinahe den Rand der Tanzfläche erreicht, als Henry uns über den Weg lief. Ich hatte den Mund schon zu einer fröhlichen Begrüßung geöffnet, als mir bei seinem kritischen Blick siedend heiß einfiel, dass wir uns ja an der Theke hatten treffen wollten. Mein Blick fiel auf die Uhr.

O-oh. Die Verabredung hatte ich um eine gute halbe Stunde verpasst. Verflixt!

Als hätte er mich bei etwas Unmoralischem erwischt, vergaß ich völlig, wie man sich angemessen für eine Verspätung entschuldigte, aber das war auch eigentlich nicht nötig, als seine silbernen Augen sich verengten, sobald sie sich auf Maurices und meine verschränkten Hände richteten.

„Ah", machte er nur. Freundlich war definitiv anders. „Ich dachte schon, du hättest dich verlaufen. Aber freut mich, dass du bloß unsere Vereinbarung vergessen hast. Dann will ich nicht weiter stören. Viel Spaß euch noch."

Bevor ich ihm erklären konnte, dass das Händchenhalten keine romantische Geste war, sondern nur dazu diente, dass ich bei meinem überaus schwach ausgeprägten Orientierungssinn nicht versehentlich auf der Herrentoilette landete, hatte er sich schon umgedreht.

Lief er gerade ernsthaft Richtung Ausgang?

„Alles in Ordnung?", fragte Maurice nach. Er hatte die Stirn in Falten gelegt und musste ahnen, dass etwas nicht ganz in Ordnung war. „Geht es ihm nicht gut? Sollen wir lieber zurück ins Hostel gehen? Es ist immerhin schon spät."

Auch wenn es in diesem Raum heiß und stickig wie in einer Schmiede war, fühlte sich mein Körper an, als hätte ich frisch die Ice-Bucket-Challenge absolviert. Irgendwas hatte Henry so sehr verärgert, dass er angespannt wie eine zu fest gezogene Gitarrensaite aus dem Club flüchten wollte. Dass es meine Schuld war, brauchte ich nicht zu leugnen, aber ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass sein Groll meine Vergesslichkeit zurückzuführen war. Das konnte doch mal passieren und ich hatte es ja nicht mit Absicht gemacht!

„Tut mir leid, Maurice", sagte ich mit einem milden Lächeln und entzog ihm meine Hand. Ich musste Henry folgen, er konnte doch nicht einfach wegen so einer Lappalie abhauen! „Ich sollte ihm lieber hinterher und klären, was da los ist. Wir treffen uns dann morgen früh wieder im Hostel, die Adresse habe ich ja."

Er runzelte die Stirn. „Sicher, dass Alain und ich nicht mitkommen sollen?"

Ich schüttelte entschieden den Kopf. „Wahrscheinlich muss Henry einfach nur etwas Dampf ablassen. Ich kümmere mich drum. Mach dir keine Gedanken und feiert so lange ihr noch Lust habt. Wir sehen uns dann morgen früh in der Lobby. Ist das okay?"

Maurice fuhr sich seufzend durch die blonden Locken und nickte dann. Ich ignorierte das Zögern einfach. „Ja, kein Problem. Passt auf euch."

Ich umarmte ihn flüchtig zum Abschied, ehe ich mich durch die vielzähligen Menschen schlug. Dabei zögerte ich nicht, meinen Ellbogen einzusetzen. Flüche und wüste Beschimpfungen gegen mich ignorierte ich geflissentlich. Kurz vorm Ausgang stritt sich ein Pärchen, wobei sie hysterisch, aber nicht sehr effektiv auf ihn einprügelte, während er versuchte, sie erfolglos zu beruhigen. Als sie mir den Weg versperrten, weil sie ihn immer weiter zurückdrängte, nahm ich keine Rücksicht auf ihr verheultes, make-up-verlaufenes Gesicht und quetschte mich entschieden zwischen die beiden.

„Streitet euch gefälligst nicht mitten auf dem Fluchtweg!", ranzte ich die beiden an, ignorierte ihre konsternierten Blicke und hechtete die Treppe hinauf. In der kleinen Eingangshalle wich ich im Zickzack den Neuankömmlingen, Pausenrauchern und den Leuten an der Garderobe aus. Stellten die sich etwa alle absichtlich in meinen Weg? Mich würde es jedenfalls nicht wundern, hätte Henry sie alle dazu angestiftet, nur um mich zu ärgern.

Alle Wege führen nach RomWo Geschichten leben. Entdecke jetzt