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"In Ordnung.", sagte Mr Holmes.
Ich stand ihm in seinem Büro wieder gegenüber. Dieses Mal setzte ich mich ungefragt, weil ich für die britische Etikett einfach keinen Nerv mehr hatte. John setzte sich ebenfalls und Sherlock postierte sich wieder neben der Türe.
"Nun, da ich mich mit meinem Bruderherz auseinander gesetzt habe, sind wir zu einem Schluss gekommen, den wir beide für die beste Lösung halten.", Mr Holmes sah mich an und ich wollte am liebsten im Erdboden versinken. Warum machte es mich nur immer so nervös, angesehen zu werden? "Du wirst eine neue Identität bekommen - deinen Vornamen darfst du selbstverständlich behalten - und dann wirst du als Johns jüngere Schwester vorerst bei ihnen in die Baker Street zweihunderteinundzwanzig B ziehen."
"Es heißt immer noch 221B Baker Street, Mycroft.", murmelte Sherlock und Mr Holmes warf ihm einen verächtlichen Blick zu, der sich innerhalb weniger Sekunden zu einem ironischen Lächeln verzog. Doch ich konnte nicht darauf achten. In meinem Kopf ratterte noch alles und ich versuchte zu begreifen, was mir dort gerade gesagt worden war.
"Warte, was?", sprach John exakt das aus, was ich gedacht hatte.
"Sie beide haben uns schon perfekt verstanden.", belustigt grinste Mr Holmes. "Wir werden Lilith Ihren Nachnamen geben, einen neuen Pass und eine neue Vergangenheit. Selbstverständlich werden wir auch Zeugen dafür bezahlen und Dokumente fälschen. Aber Sherlock und ich waren uns einig, dass es das beste ist, denn so können wir immer problemlos auf Sie aufpassen und außerdem kann ich meinem Bruderherz mehr vertrauen, als meinen Angestellten."
"Sie vertrauen Ihren eigenen Angestellten nicht?", fragte ich verwirrt und John gluckste.
"Das habe ich ihn auch einmal gefragt."
"Natürlich vertraue ich ihnen nicht. Die verdienen ihr Geld damit, andere auszuspionieren.", Mr Holmes lächelte freundlich. "Also, ich werde alles in die Wege leiten, dass Sie so schnell wie möglich an Ihre neue Identität kommen. Ich muss ausnutzen, dass Sherlock und ich einmal einer Meinung sind."
"Einen Moment!", John hob die Hand und alle sahen ihn an. "Es ist ja schön, dass Sie zwei sich einig sind. Aber immerhin geht es hier um meines und insbesondere um Liliths Leben. Ich finde nicht, dass Sie das zu entscheiden haben."
Mr Holmes faltete die Hände und sah mich eindringlich an. "Natürlich hat Doktor Watson diesbezüglich recht. Mir steht es nicht zu, ungefragt über Ihr Leben zu entscheiden. Also liegt die Entscheidung jetzt bei Ihnen. Sie können sich entweder meinem Bruder und dem Doktor anschließen, was zweifellos die sicherere Entscheidung wäre. Oder Sie sagen, dass das alles Unsinn ist, gehen zurück zu Mr Flynn und wir müssen weiterhin aus der Ferne auf Sie aufpassen. Allerdings kann ich dann nicht für ihre volle Sicherheit garantieren, was mir, ehrlich gesagt, ziemlich missfällt."
Ich seufzte. "Wissen Sie, ich will ehrlich sein.", ich stützte meinen Kopf in meine Hand und sah Mr Holmes an, auch wenn seine Blicke auf meiner Haut ein unangenehmes Kribbeln hinterließen. "Ich habe absolut keine Ahnung, was die richtige Entscheidung ist. Ich bezweifle, dass Sie hier so einen Aufstand proben würden, wenn mein Leben nicht tatsächlich in Gefahr wäre. Natürlich besteht die Möglichkeit, dass Sie ein Hochstapler sind, aber das wage ich doch sehr stark zu bezweifeln. Außerdem mag ich John. Wir verstehen uns, zumindest bisher, doch recht gut.", ich seufzte erneut und sprang auf. Im sitzen Denken war so gut wie unmöglich. "Ich nehme an, ich werde wieder eine Schule besuchen?"
"Natürlich. Sie würden ein normales Leben führen. Nur eben bei Ihrem "Bruder" und dessen Mitbewohner. Aber sonst sollten Sie ein gewöhnliches Leben führen können.", antwortete Mr Holmes und sah dabei zu, wie ich rastlos auf und ab schritt.
"Hm... hm...", in meinem Kopf schwirrte alles und ich konnte auf biegen und brechen keinen ordentlichen Gedanken fassen. "John, was sagst du dazu?"
Ich hoffte, dass der Doktor mir weiterhelfen könnte. Vielleicht war das verrückt, aber ich vertraute ihm tatsächlich jetzt schon sehr und auch seine Meinung war mir viel wert.
"Nun...", er kratzte sich am Kopf und blickte zu Sherlock. "Ich denke, sicherer wäre es bei uns. Allerdings ist ein "gewöhnliches Leben", wie Mycroft es nennt, bei uns eher... unmöglich. Schließlich ist Sherlock hier Consulting Detectiv und alle naselangs haben wir Klienten bei uns zuhause. Ob das so ein gutes Leben für eine sechzehnjährige ist, weiß ich nicht. Aber andererseits könntest du eine Schule besuchen und müsstest für dein Geld nicht mehr in Mr Flynns Restaurant arbeiten."
Ich blieb mitten im Raum stehen und blickte zwischen John und Sherlock hin und her. "Die Frage ist also eigentlich, was habe ich zu verlieren?", murmelte ich und kniff die Augen zusammen. Gedanklich stellte ich eine Pro- und Contra Liste auf und versuchte alle kleinen Details zu beachten, um sicherzugehen, dass ich nichts vergessen hatte. Doch am Ende war das Ergebnis relativ eindeutig.
"Dann würde ich mal sagen, woher kriegen wir Farbe, damit meine Haare blond werden? Noch sehe ich nämlich absolut nicht aus wie eine Watson, oder?"

New Identity - Der Regenbogen fällt mit (Sherlock FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt