Mr Holmes schluckte schwer.
"Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, ich könnte den Tag noch ein wenig hinauszögern, allerdings scheint mir, dass Cortell da anderer Meinung war...", sagte er leise und faltete die Hände vor sich. "Bruderherz, könnten du und dein werter Mitbewohner wohl draußen warten?"
Sherlock blickte ihn ernst an, woraufhin Mr Holmes knapp nickte. Sherlock schien zu verstehen und erhob sich. Doch John protestierte.
"Ich finde-"
"John, komm. Bitte." unterbrach Sherlock ihn und John sah ihn erstaunt an. Auch die beiden wechselten für mich völlig unverständliche Blicke, doch anscheinend verstanden sie das, denn John erhob sich ohne weiteren Protest, drückte mir noch einmal die Schulter und verließ dann hinter Sherlock das Büro. Jetzt war ich mit Mr Holmes alleine. Und das machte mich wieder nervös.
"Nun gut...", er seufzte und lehnte sich zurück. "Ich denke, es ist also nun an der Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen."
"Mr Holmes, Sie machen mir irgendwie Angst..." gestand ich, und mein Gegenüber lächelte mitfühlend.
"Keine Sorge. Angst zu haben brauchen Sie nicht." er starrte einen Moment ins Leere, dann begann er zu erzählen:[Flashback]
Der Regen prasselte unablässig gegen die große Fensterfront in dem ruhigen Büro von Mycroft Holmes. Er war der Leiter diverser Abteilungen des Außenministeriums, darunter unter anderem der Geheimdienst, und hatte daher das mit abstand geräumigste und luxuriöseste Büro im gesamten Gebäude. Es war ein Uhr in der Nacht, doch der Mann saß noch immer hinter seinem Schreibtisch, eine dampfende Tasse britischen Tee vor sich, und las eine Fallakte eines vergangenen Falls. Im Hintergrund hörte er das stetige Knacken des Feuers in seinem Kamin an der Wand, doch es verschmolz inzwischen schon mit der übrigen Stille, sodass er es kaum mehr wahrnahm.
Es war Heiligabend, aber im Büro war es nicht das kleinste Bisschen dekoriert. Und auch sonst war das einzige, was auf diesen Feiertag schließen ließ, die Tatsache, dass Mycroft eine weinrote Krawatte mit Tannenbäumen darauf trug. Aber sonst hatte er, wie gewöhnlich, einen grauen Nadelstreifenanzug mit passender Weste und weißem Hemd an.
Plötzlich ertönte ein lauter Donner und verwundert sah Mycroft auf. Er drehte sich um und sah aus dem Fenster auf die nächtliche Stadt. Alles sah so friedlich aus. Doch er wusste es besser. Er wusste es so viel besser.
"Mr Holmes, Sie haben Besuch, Sir. Von Victor Dundis, Sir." erklang plötzlich die Stimme seiner Sekretärin aus seinem Telefon.
"Mrs Granger. Ich habe Ihnen doch schon vor drei Stunden gesagt, Sie sollen zu Ihrer Familie gehen." sagte er verständnislos und hörte wie sie leicht auflachte.
"Ich wollte nicht, dass Sie am heiligen Abend gänzlich alleine sind, Sir."
"Das ist wirklich gütig. Aber jetzt habe ich ja Besucht, also können Sie nach Hause gehen. Nehmen Sie sich morgen frei."
"Aber-"
"Sehen Sie es als Weihnachtsgeschenk. Und schicken Sie Victor bitte herein."
"Jawohl, vielen Dank, Sir."
Mycroft schüttelte den Kopf. Seine Sekretärin war eine gute Frau, aber sie hing viel zu sehr an ihm. Sie war verheiratet und verbrachte heilig Abend trotzdem bei ihm im Büro. Menschen waren schon seltsam.
"Mycroft, alter Knacker, so alleine heute? Es ist Heiligabend, wenigstens heute hättest du doch zu deinem Bruder gehen können." erklang die Stimme seines guten Schulfreundes und inzwischen besten Agenten Victor Dundis.
"Victor, es freut mich auch, dich zu sehen.", Mycroft erhob sich und lächelte in die Dunkelheit, von wo aus die Stimme kam. "Aber wie ich sehe, bist auch du alleine. Und du bist sogar verheiratet."
"Tja.", der Schwarzhaarige mit dem Soldaten Haarschnitt lachte und trat aus der Dunkelheit hervor. "Ich bin ein Soziopath. Was ist deine Ausrede?"
"Du weißt genau, dass auch ich eine soziopathische Störung habe."
"Natürlich.", Victor lachte erneut. "Aber dein Bruder ebenso, und zwei Soziopathen können sehr gut miteinander auskommen. Erst recht wenn sie Brüder sind."
"Ich denke, genau das ist der Grund, weshalb Sherlock und ich Weihnachten nicht gemeinsam verbringen. Aber du solltest wirklich bei deiner Frau sein. Ist etwas mit ihr passiert? Nein, natürlich nicht, sonst wärst du nicht hier, sondern würdest den Verantwortlichen zu Tode Foltern. Nein, das kann es nicht sein. Aber es muss trotzdem etwas passiert sein, sonst wärst du nicht hier. Aha, du hast Neuigkeiten." schlussfolgerte Mycroft und sah seinen Freund prüfend an.
"Genau darum bin ich hier, Mycroft. Ich habe tatsächlich Neuigkeiten."
"Na also, sage ich doch. Bitte, nimm doch Platz." forderte Mycroft ihn auf und deutete auf die beiden Sessel, die vor dem Kamin standen. Victor ließ sich das nicht zweimal sagen und setzte sich auf den einen Sessel. Mycroft ließ sich ihm gegenüber nieder und sah seinen Freund auffordernd an.
"Also...", hob dieser geheimnisvoll an. "Ahh, das ist so viel aufregender, als alles andere, was ich je erlebt habe! Und ich habe schon wirklich viel erlebt."
"Ich weiß, Victor. Zu über der Hälfte deiner Aufträge habe ich dich persönlich hin geschickt. Aber jetzt sag schon was los ist, ich habe noch eine Fallakte zu lesen und abzusegnen."
"Anny ist schwanger! Ich werde Vater, Mycroft!" platzte er dann hervor und sofort begann Mycroft ehrlich zu lächeln. Anny und Victor hatten vor einem Jahr geheiratet, und schon da hatte er gewusst, dass es mit den Kindern nicht mehr lange dauern würde. Er wusste, wie sehr sein Freund sich schon immer Kinder gewünscht hatte. Und dass dieser Traum sich nun mit der Frau, die er aus ganzem Herzen liebte, erfüllte, freute Mycroft wirklich für ihn.
"Das sind doch hervorragende Neuigkeiten, Victor. Wann ist es denn soweit?"
"Es dauert noch eine Weile. Anny ist erst in der achten Woche. Du bist der erste, der es erfährt."
"Oh, ich fühle mich geehrt. Wie kommt es?"
"Nun...", Victor grinste und seine sonst so kalten grau-blauen Augen begannen zu leuchten. "Das ist der Grund, warum ich eigentlich hier bin... ich wollte dich nämlich etwas fragen..."
"Dann mal raus mit der Sprache. Solange es nicht um Namen geht, bin ich durchaus gewillt, dir zu helfen."
"Würdest du meinem Kind die Ehre erweisen, und Taufpate werden?"
Einen Moment starrte Mycroft in seinen Kamin, dann wandte er den Blick zu seinem Freund.
"Wenn du das wirklich möchtest, und auch Anny damit einverstanden ist, dann wäre es mir eine Ehre und ein Privileg, welchem ich gerne nachkomme."
Victor lächelte. "Ich wusste, du würdest mich nicht enttäuschen. Danke, Mycroft."
"Ich werde mein bestes geben, damit deinem Kind nichts passiert."
"Ich habe nichts anderes von dir erwartet, Mycroft. Nichts anderes."
[Flashback Ende]
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New Identity - Der Regenbogen fällt mit (Sherlock FF)
FanfictionLilith führt ein verhältnismäßig normales Leben. Sie arbeitet in einem Restaurant und das jeden einzelnen Tag. Und jeder Tag ist gleich. Sie sieht jeden Tag die gleichen Leute und die sehen sie jeden Tag. Doch an einem Tag ändert sich plötzlich all...