Ein pochender Schmerz und der beißende Gestank von Essig weckten mich auf. Verwirrt blinzelte ich und ließ meinen Kopf von links nach rechts fallen, ehe ich versuchte meine Augen ganz zu öffnen. Die plötzliche Bewegung meines dröhnenden Kopfes entlockte mir ein schmerzerfülltes Stöhnen und sorgte dafür, dass sich meine gesamte Umgebung zu drehen begann. Als sich diese Karussellfahrt allerdings nach einer Weile auflöste, konnte ich meine Umgebung endlich ordentlich wahrnehmen. Ich saß auf einem Holzstuhl und vor mir war ein Glastisch, auf dem ein Glas Wasser stand. Meine Hände und Füße waren unsanft mit Kabelbindern an den Stuhl gebunden und schnitten mir bei jeder Bewegung in die Gelenke. Ich spürte eine warme Flüssigkeit, die wie in Zeitlupe seitlich an meinem Kopf hinablief, doch ich bemühte mich, sie zu ignorieren und stattdessen herauszufinden, wo genau ich mich befand. Und seltsamerweise brauchte ich dafür gar nicht so lange. Ich sah das ozeanblaue Sofa, den Sessel und das penibel platzierte Obst auf dem Tisch vor mir. Ich war in der Wohnung des Toten, Jerry McClane.
"Und, kommt dir die Umgebung bekannt vor?" ertönte die Stimme von Cortell.
"Tatsächlich überhaupt nicht. Wo bin ich?" log ich. Natürlich hätte er wissen können, dass ich hier schon einmal gewesen war. Immerhin war ich auf dem Dach herum geklettert und er lebte, soweit ich mich erinnerte, eine Wohnung unter dieser.
"Hier ist der Ort, an dem Jerry McClane gestorben ist."
"Sie meinen, wo Sie ihn ermordet haben?" fragte ich und legte meinen pochenden Kopf noch einmal schief, in der Hoffnung, dass der Schmerz nachließ.
"Absolut korrekt.", er lachte lauthals, was allerdings eher danach klang, als hätte er ein Huhn verschluckt. "Gott sei Dank, wirst du das hier nicht überleben, ansonsten hätte dein Vater womöglich sogar Beweise gegen mich."
"Ach ja... mein Vater.", ich streckte stöhnend meinen Rücken, welcher ein verächtliches Knacken von sich gab. "Warum glauben Sie, dass er mich nicht suchen würde?"
"Oh, ich hoffe doch, dass er dich suchen wird. Aber warum sollte er dich hier suchen?"
"Weil Sie eine Wohnung unter dieser wohnen."
Augenblicklich verfinsterte sich seine Mine. "Woher weißt du das, du Rotzgöre?"
"Och...", verzweifelt suchte ich nach einer plausiblen Ausrede, ohne das es aussah, als würde ich ihn anlügen. "Man schnappt so das ein oder andere auf, wenn man bei seinem Vater ist, der großes Interesse, an solchen Fällen hegt."
"Aha...", er klang zwar nicht völlig überzeugt, aber offensichtlich war es plausibel genug, um nicht weiter zu fragen. "Wie dem auch sei, zwar wohne ich hier, aber eben eine Etage unter dieser. Und glaub mir, falls einer dieser Möchtegern Agenten hier auftauchen sollte, wird er dir auch nicht helfen können."
"Und wie kommen Sie darauf, dass er nur einen Agenten schicken wird?"
"Selbst wenn es zwanzig wären, könnte er mir nichts nachweisen."
"Und wenn ich schreie?"
"Sie werden dich nicht hören.", er grinste und nahm das Glas Wasser in die Hand, welches vor mir gestanden hatte. "Die Leute aus Moriartys Netzwerk haben seltsame, aber durchaus effektive Methoden."
Sofort wurde ich hellhörig. Den Namen Moriarty hatte ich schon einmal gehört. Bloß wo?
"Inwiefern?" fragte ich vorsichtig und spürte auf einmal Nervosität, die meine Gedanken übernahm.
"Ach...", er grinste hässlich. "Das wirst du noch früh genug erfahren." Er nippte gedankenverloren an dem Wasser und drehte sich dabei von mir weg.
"Sagen Sie, wie lange war ich weggetreten?" fragte ich nach einer Weile, in der mir klar wurde, dass ich im Moment nichts anderes tun konnte, als möglichst nicht zu verrecken.
"Ungefähr elf Stunden. Ralph hat ziemlich feste zugeschlagen, das muss man ihm schon lassen."
"Oh ja..." ich drehte meinen Kopf noch einmal. "Und was haben Sie jetzt vor?" Wenn ich mich schon nicht befreien könnte, dann konnte ich ja wenigstens versuchen, etwas mehr über seinen Plan heraus zu finden.
"Und warum glaubst du, würde ich dir davon erzählen?"
"Naja, wie Sie schon selber gesagt haben, werde ich das hier nicht überleben. Also können Sie doch auch einfach mal ein bisschen mit ihrer... Intelligenz angeben. Das machen Kerle wie Sie doch immer so gerne."
Er drehte sich ruckartig zu mir. "Da hast du allerdings recht...", er kniff die Augen zusammen und tigerte langsam auf und ab. In der einen Hand hielt er noch immer das Wasserglas, die andere hatte er in seine Hosentasche gesteckt. "Also gut. Heute ist dein Glückstag. Auch wenn es dein letzter Tag sein wird. Aber ich werde dir erzählen, was ich geplant habe.", er setzte sich in den Sessel und schwenkte das Wasser in seinem Glas hin und her, als wäre es irgendein besonders guter Schnaps, was bei genauerer Betrachtung der Dinge auch gut hätte sein können.
"Da ich meinen Nachbar ja leider Gottes umbringen musste, und dein Onkel mir aus irgendwelchen Gründen doch ziemlich nah gekommen ist, werde ich für eine Weile das Land verlassen. Vielleicht Polen. Oder Spanien. Portugal, wäre auch noch einmal eine schöne Alternative. Obwohl...", gedankenverloren begann er zu lächeln, was mich irgendwie erwiderte. "Ich denke, Frankreich. Ich mag das Essen dort. Meine Familie lasse ich selbstverständlich hier. Die sind alle viel zu dumm. Höchstens Charles, den nehme ich vielleicht mit. Ein vielversprechender Junge, wie du sicherlich bemerkt hast. Aber gut. Dann, wenn ich also in Frankreich bin, werde ich mich mit meinem Kontaktmann in Moriartys Netzwerk in Verbindung setzen. Wir hatten vor vier Jahren einen schweren Schlag und wurden dann nach und nach immer mehr aufgelöst, allerdings konnten wir uns wieder aufbauen. Und auch, wenn es hart war, aber wir konnten das gesamte Konzept wieder aufleben lassen. Dann werde ich mir eine neue Identität anschaffen lassen, und neue Aufträge erledigen. So, als wäre nichts gewesen. Und in vier oder fünf Jahren, wenn Gras über deinen und McClanes Tod gewachsen ist, dann werde ich wieder zurück nach England kommen. Die Welt hat vieles zu bieten, aber zuhause ist es doch am schönsten, nicht wahr?"
"Sie wollen sich eine neue Identität beschaffen? Das ist doch sicherlich... sehr anstrengend."
"Oh, du musst es ja wissen. Habe ich recht, Lilith Dundis?"
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New Identity - Der Regenbogen fällt mit (Sherlock FF)
FanfictionLilith führt ein verhältnismäßig normales Leben. Sie arbeitet in einem Restaurant und das jeden einzelnen Tag. Und jeder Tag ist gleich. Sie sieht jeden Tag die gleichen Leute und die sehen sie jeden Tag. Doch an einem Tag ändert sich plötzlich all...