XXV

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Gespannt hatte ich Mr Holmes gelauscht, wie er über meinen Vater erzählt hatte.
"Victor war der einzige und ich würde auch sagen beste Freund, den ich je hatte." schloss er seine Erzählung und sah mich traurig an.
"W-Warum erzählen Sie mir das?" fragte ich leise und ließ den Blick sinken, damit er nicht sah, wie Tränen in meine Augen traten.
"Der Grund, weshalb ich den Fall Ihrer Eltern niemals abhaken konnte, weswegen ich auch niemals akzeptieren wollte, dass meine Assistenten meinten, wir würden Sie ohnehin nicht finden, war, dass ich mich schuldig fühle. Wahnsinnig schuldig.", sagte er ebenso leise und trotz, dass die ersten Tränen aus meinen Augenwinkeln traten, blickte ich auf.
"A-Aber warum?" flüsterte ich und wischte die Tränen weg.
"Weil ich das Gefühl habe, dass ich Ihren Vater enttäuscht habe...", murmelte er, starrte ins Leere und schüttelte sich dann. "Wie dem auch sei. Der Grund, warum ich Ihnen davon erzählt habe, ist ganz einfach, dass so die gesamte Geschichte begonnen hat."
Ich schniefte einmal und ehe er fortfuhr reichte er mir eine Packung Taschentücher, die ich dankbar annahm.
"Sieben Monate später wurden Sie dann geboren. Ihr Vater rief mich an und ich fuhr zu ihm ins Krankenhaus, da er wollte, dass ich der erste "Freund" war, den Sie sahen. Und das gelang tatsächlich auch. Und dann wuchsen Sie heran. Ich sah Sie nur noch das ein oder andere Mal als kleines Kind, aber ab dann war ich völlig an meine Pflichten gebunden. Ebenso wie Ihre Eltern. Victor erklärte mir, Sie hätten eine so reine Seele, die wolle er nicht mit der Brutalität dieser Welt beschmutzen, weshalb Ihre Eltern Ihnen vorlogen, Banker zu sein. Und dann, vor vier Jahren, kam einer der schwierigsten Fälle rein, die wir dieses Jahrzehnt zu bearbeiten hatten. Der Fall mit Moriartys Netzwerk." er hielt kurz inne und fuhr dann fort. "Ich fragte Ihren Vater an, ob er bereit wäre, diesen Fall gemeinsam mit Anny zu übernehmen. Ich hätte es ihm nicht verübeln können, hätte er abgelehnt. Aber er stimmte zu. Sie fuhren, wie Sie sich vielleicht erinnern, zu Freunden, weil Ihre Eltern eine "Geschäftsreise" machen mussten."
"Ich erinnere mich.", nickte ich leise. "Ich ging zu Moms bester Freundin Amanda."
"Korrekt. Drei Wochen lang. Und Ihre Eltern kamen Moriarty sehr nah. Dann allerdings wandte dieser sich sehr überraschend an Sherlock, was mich dann wiederum völlig in Anspruch nahm. Ich war gerade auf dem Weg zu einem Treffen mit meinem Bruder, als die Nachricht des Fundes zweier Leichen auf einem Feld zwischen Upminster und West Horndon erreichte. Sie sind nicht friedlich, aber zusammen verstorben."
Ich schluchzte auf und schloss meine Augen.
Soviel zum Thema "Du hast den Tod deiner Eltern verkraftet"., meldete sich eine Stimme in meinem Kopf und ich schluchzte erneut auf. Als ich durch meine verheulten Augen blinzelte sah ich einen verlegen dreinblickenden Mr Holmes, der ganz offensichtlich nicht wusste, was man in so einer Situation machen sollte.
"Verzeihen Sie..." murmelte ich und zwang meine Tränen wieder hinunter.
"Nein, nein. Alles gut. Ich habe gehört, es tut Menschen gut, zu weinen..." sagte er schnell und ich atmete ruhig aus, in der Hoffnung, meine Heulkrampf damit zu ersticken.
"We-Weinen Sie n-nie?" fragte ich schluchzend und rang um Atem.
"Seit meiner Kindheit nicht mehr...", er lächelte traurig. "Mir wurde immer gesagt, weinen wäre ein Zeichen von Schwäche, weshalb ich es mir früh abgewöhnte."
"Sehen Sie weinen denn auch als ein Zeichen von Schwäche?"
"Ich würde sagen, es kommt auf die Person an, nicht wahr? Bei manchen Menschen, sicherlich. Bei anderen nicht."
"Und bei mir?"
Ich wusste nicht, warum ich das fragte. Ich wusste nicht, warum seine Meinung für mich so wichtig war. Vielleicht, das war zumindest ein plausibler Grund, weil er offenbar mein Patenonkel war. Vielleicht aber auch, weil er sich in der letzten Zeit wohl um mich gekümmert hatte. Auch wenn ich davon nicht viel mitbekommen hatte.
"Bei Ihnen?", er schüttelte den Kopf. "Nein. Sie sind genauso stark, wie Ihre Eltern. Wenn nicht sogar stärker. Ich denke, Sie weinen nicht aus Schwäche, sondern weil Sie schon so lange stark sein mussten, oder?"
"Können wir das "Sie" ablegen, Mr Holmes?" fragte ich vorsichtig und blickte ihn durch meine verschleierte Sicht an.
"Aber natürlich.", er lächelte und ich hatte wieder das Gefühl, dass es aufrichtig war. Und das beruhigte mich irgendwie. "Brauchst du noch einen Moment, oder kann ich fortfahren?"
"Nein, nein. Ich- es geht schon wieder." beeilte ich mich zu sagen und versuchte zu lächeln, doch es erreichte nicht meine Augen. Dennoch fuhr er fort.
"Deine Eltern haben sich an Moriarty heran gearbeitet, indem sie sich in sein Netzwerk geklinkt haben. Darüber sind sie an Cortell gestoßen, und der ist... der ist vermutlich für den Tod von Anny und Victor verantwortlich. Vielleicht verstehst du, weshalb es mir daher so wichtig war, dass wir ihn stellen."
Ich nickte. Ich verstand es tatsächlich. Wenn ich von Anfang an gewusst hätte, dass er der Mörder meiner Eltern war, dann hätte ich mit Sicherheit anders reagiert. Plötzlich fiel mir etwas ein.
"Sherlock sprach von einem Auftrag, den Cortell nicht beendet hatte, als er mich vorhin gerettet hat. Weißt du, worum es dabei ging?"
"Ja, tatsächlich tue ich das. Moriarty hatte natürlich mitbekommen, dass zwei meiner Leute ihm näher gekommen waren, weshalb er Cortell engagierte um die gesamte Familie Dundis auszulöschen. Das war sein Auftrag. Allerdings konnte Cortell dich nie aufspüren. Sonst säßest du wohl nicht hier."
"Stand ich deshalb unter deinem Schutz, als du mich dann gefunden hattest?"
"Genau. Ich hatte... Sorge... nein, ich hatte Angst, dass er dich auch finden würde und deshalb bin ich täglich in das kleine Restaurant gekommen um irgendwie in deiner Nähe zu sein. Dann hätte ich nämlich mitbekommen, wenn er dir zu nahe gekommen wäre, und dann hätte ich eingegriffen."
"Aber er kannte mich doch nicht."
"Bitte?"
"Nun, du hast ja eingegriffen. Vor drei Tagen. Aber ich habe Cortell vor dem gestrigen Tag noch nie gesehen. Und ich bin mir sicher, dass er nie beim Restaurant war."
"Das ist wohl richtig. Aber wir haben selbstverständlich auch Mr Flynns Einnahmen und Ausgaben überprüft und er hat ziemlich plötzlich eine ziemlich hohe Summe an Geld überwiesen bekommen. Das ließ uns davon ausgehen, dass Cortell dich gefunden hatte, weswegen ich dann doch eingreifen musste."
"Und der Mord? Also nicht der Mord an McClane, sondern der Mord wegen dem Sherlock und John zu mir ins Restaurant gefahren ist."
"Ach der Drogen-Bäcker.", Mr Holm- Mycroft lachte. "Ein inszenierter Mord meinerseits. Ich wusste, Sherlock würde andernfalls niemals zustimmen, sich mit dir zu unterhalten, wenn es nicht über einen Fall wäre."
"Das war ganz schön gewitzt... Also hast du alles von Anfang an geplant gehabt?"
"Mehr oder weniger... ja."
Ich nickte beeindruckt. "Das ist ziemlich... cool."
"Das bekomme ich selten zu höre, wenn ich einen Mord inszenieren lasse..."
"Warum? Was bekommst du denn sonst so zu hören?"
Er lachte erneut. "Irgendetwas zwischen Arschloch und Bastard ist es immer."

"Und... was machen wir jetzt?" fragte ich und Mycroft sah mich fragend an. "Nun, aus der akuten Gefahr bin ich doch jetzt raus, oder nicht?"
Doch er schüttelte den Kopf. "So funktioniert das leider Gottes nicht. Moriartys Netzwerk ist wie eine Hydra - schlägt man einen Kopf ab, wachsen zwei weitere nach. Aus der Gefahr bist du erst raus, wenn wir das gesamte Netzwerk zerstört haben."
"Wir?"
"Meine Leute, mein Bruder, dein Bruder."
"Das heißt, ich darf bei Sherlock und John weiterhin wohnen?" fragte ich aufgeregt.
"Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Allerdings musst du die zwei diesbezüglich fragen. Ich kann vieles entscheiden, das allerdings nicht."
Ich stand mit einem Nicken auf und ging zur Türe, die ich dann öffnete und hinaus spähte. Das Bild, welches sich mir bot, brachte mich augenblicklich zum Lächeln. Sherlock und John saßen, aneinander angelehnt, auf den Stühlen im Wartebereich und John war auf Sherlocks Schulter eingeschlafen. Ich zückte mein Handy, welches ich inzwischen wieder hatte, und machte ein Bild. Später würden sie mir sicher danken. Dann ging ich auf die beiden zu und sofort öffnete Sherlock seine leicht geschlossenen Augen.
"John war die ganze Nacht wach und krank vor Sorge.", erklärte er leise. "Haben du und mein Bruder alles geklärt?"
Ich nickte. "Alles außer eine Sache."
Fragend sah Sherlock mich an.
"Darf ich weiterhin in 221B Baker Street wohnen?"

~Ende~ 

New Identity - Der Regenbogen fällt mit (Sherlock FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt