6. Kapitel: Ein Loch und großes Erstaunen

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"Bist du dir sicher?" Er sah sie fragend von der Seite an und drosselte das Tempo. Sie betrachtete konzentriert die Abzweigung und nickte schließlich überzeugt. Im Schritttempo bog er ab. "Und jetzt?" "Geradeaus", erklärte sie.

An der nächsten Abbiegungsmöglichkeit wäre er fast vorbeigefahren, doch im letzten Moment rief sie: "Links!" Der unbefestigte Weg stellte sich als Sackgasse heraus. Der Wagen blieb stehen und er blickte sich um. "Und wohin jetzt?" Sie schien keine Antwort zu wissen. Er öffnete die Fahrertür und lief ein wenig umher. Nur Bäume und Büsche, nichts als friedlicher, grüner Wald. Ein paar vereinzelte Vögel zwitscherten auf den Ästen, sonst war alles ruhig.

Aber als er eine komplette Runde um das Auto gemacht hatte, entdeckte er doch einen kleinen Trampelpfad, der anscheinend nicht sehr oft benutzt worden war. Die Autotür schlug zu und sie trat neben ihn. "Bist du dort gegangen?", wollte er wissen. Sie zuckte stumm mit den Schultern.

Er folgte den plattgetretenen Grashalmen in den Wald und versuchte, so gut wie es ging den dornigen Sträuchern auszuweichen, die sich mit ihren langen Ästen nach ihm reckten. Als er einmal nach hinten blickte, musste er zu seinem Erstaunen feststellen, dass sie ohne Probleme den Dornen auswich und noch keinen einzigen Kratzer davongetragen hatte, im Gegensatz zu ihm.

Sie waren schon ein paar Minuten unterwegs, als sie sich plötzlich zu Wort meldete. "Vorsicht", meinte sie, ohne eine Erklärung hinzuzufügen. Er drehte sich noch im Laufen zu ihr um. "Was ist de..." Seine Worte wurden verschluckt, als er plötzlich in die Tiefe glitt. Mit einem dumpfen Geräusch landete er auf den Füßen und federte den Fall mit seinen Knien ab.

Überrascht blickte er nach oben. Über ihm klaffte ein Loch mit etwa einem Meter Durchmesser. Sie beugte sich darüber. "Sind Sie in Ordnung?" "Ja", kam es zurück. Seine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit hier unten und mit Verwunderung registrierte er, dass dies nicht nur ein gewöhnliches Erdloch war.

Die Wände waren hart, sie schienen gemauert zu sein. In der Ecke stand ein Schrank, daneben ein kleiner Tisch und ein alter Holzstuhl mit nur drei Beinen und halb abgebrochener Rückenlehne. Fasziniert trat er an den mit einer Schmutzschicht bedeckten Schrank und bemerkte, dass dieser mit einem rostigen Eisenschloss gesichert war. Jedoch war es nicht eingerastet, weshalb er die Schranktüren problemlos aufklappen konnte.

Die Regalbretter, die sich darin befanden, waren leer. Leise Enttäuschung machte sich in ihm breit, als er den Staub wegpustete. Was hier wohl drin gewesen war? Offensichtlich war es zumindest so wertvoll gewesen, dass man den Schrank verschlossen hatte. Aber was auch immer es gewesen war, es war nicht mehr hier.

Er wollte gerade die Schranktüren wieder schließen, als ihm plötzlich etwas ins Auge stach. Ganz hinten klemmte etwas hinter einem der Einlegebretter. Es kostete ihn etwas Fingerspitzengefühl, dann hielt er den Gegenstand in den Händen. Es war ein Foto. Er drehte es um. Eine Schockwelle jagte durch seinen Körper. Es war eine Aufnahme von ihr, bleich und ausgemergelt, mit leeren Augen die über die Kamera hinwegzustarren schienen. Er betrachtete das Bild genauer, trat direkt unter das Loch, um das Foto im Licht besser sehen zu können. Nein, das war sie nicht. Aber das Mädchen hatte ähnliche Gesichtszüge, wirkte wie eine jüngere, etwas verwaschene Version von Stella.

Dann erinnerte er sich daran, dass sie ihn gewarnt hatte, kurz bevor er gefallen war. Er hatte das Loch nicht gesehen. Vielleicht war sie schon einmal hier gewesen. "Weißt du, wie ich hier wieder raus komme?", fragte er hoffnungsvoll. Ihr Gesicht erschien in der Öffnung. "Die Leiter", meinte sie und deutete hinter ihn. Und tatsächlich, hinter ihm waren mehrere Metallstäbe waagerecht befestigt worden, an denen er ohne Probleme hochklettern konnte.

"Können wir zurück? Ich mag diesen Ort nicht." Sie rieb sich über die Arme. Er nickte nur und gemeinsam traten sie den Weg zurück zum Auto an.


"Sie war dort, Sir!" Die Frau vor ihm klang ganz aufgeregt. "Die Aufnahmen belegen es!" "Ich will sie sehen", verlangte er. Mehrmals sah er sich die Aufzeichnungen an. "Wer ist der Typ?" "Es ist ein Psychotherapeut ganz aus der Nähe." "Die hat sich also 'nen Psychoheini angelacht? Naja, besonders stabil sieht der ja nicht aus. Findet alles über ihn heraus, ich will alles wissen, verstanden?" "Verstanden, Sir." Sie verließ den Raum. "Und bring mir diesen Idioten, der das Foto liegen gelassen hat!", brüllte er noch hinterher. "Wieso gibt's von der überhaupt noch Fotos?"

725 Wörter. Dieses Kapitel gehört nicht gerade zu meinen Lieblingen, aber das liegt auch daran, dass die ersten Teile ungefähr ein halbes Jahr alt sind. Ich hoffe, ihr hattet trotzdem Spaß.

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