18. Kapitel: Erbrochenes und Familienfehden

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Als er erwachte, war er allein. Wieder in der kleinen Zelle. Mühsam wollte er sich aufrichten, sackte aber stattdessen vor Schmerz in sich zusammen. Um seine Rippen herum pochte es und es fühlte sich an, als hätte sich sein Magen zu einem winzigen Knäuel zusammengeballt. Erst konnte er es sich nicht erklären, aber vermutlich hatten sie ihn getreten, nachdem er das Bewusstsein verloren hatte.

Er atmete langsam und kontrolliert ein und aus, um den Schmerz möglichst gering zu halten. Erst jetzt dachte er an Stella. Seine Eingeweide zogen sich noch weiter zusammen und er erbrach sich auf den steinernen Fußboden der Zelle. Er röchelte und spuckte, plötzlich voller Panik, er könnte an seinem Erbrochenen ersticken. Wild schnappte er nach Luft und rüttelte an seinen Ketten, ihm drohte, schwarz vor Augen zu werden.

Doch der Gedanke an Stella brachte ihn dazu, wieder ruhig zu atmen. Sein Herzschlag normalisierte sich etwas, erschöpft lehnte er den Kopf an die kalte Wand und schloss die Augen. Regungslos verharrte er in dieser Position, bis er sich schließlich entschlossen aufrichtete. Es würde ihr nichts bringen, wenn er verzweifelte. Aber wie konnten sie entkommen? Er musste herausfinden, wo sie sich aufhielt. Und dann? Irgendeinen Fluchtweg musste es doch geben.

Auf einmal öffnete sich die Tür und er befand sich Auge in Auge mit Ciaran. "Ich soll deine Wunden versorgen", erklärte dieser. Er sah an sich herab und bemerkte schließlich, dass nicht nur Verbrennungen zu sehen waren, sondern auch einige blutig verkrustete Schnitte. Da konnte er ja dankbar sein, dass er das nicht direkt hatte miterleben müssen.

Er versuchte nicht, sich zu wehren, als Ciaran seine Brandverletzungen mit einem nassen Lappen kühlte und die Schnittwunden vorsichtig mithilfe eines Tuchs desinfizierte, auch wenn es brannte. Er biss einfach die Zähne zusammen. "Warum?", wollte er wissen, als sein Schwager fast fertig war mit der Behandlung. "Warum tust du das?" Ciaran blickte nicht auf. "Ich habe keine andere Wahl", antwortete er, fast flüsternd. "Jeder hat eine Wahl", entgegnete sein Gegenüber.

"Ich bin hier hineingeboren worden. Es war nicht mein Wunsch. Und du weißt schließlich, wie mit Abtrünnigen verfahren wird." "Du stellst dein Leben also über das von vielen anderen unschuldigen Menschen?" Der Angesprochene hielt inne und sah schließlich doch auf. "Nicht über meins. Sondern über das von Aleah, Jona und Noemi."

"Dann tu, was deine 'Pflicht' ist! Tu unzähligen Menschen Leid an. Du kennst sie ja nicht mal. Aber du solltest wissen: Mich kannst du so viel verletzen wie du willst. Aber wenn du Stella noch einmal auch nur ein Haar krümmst, dann gnade dir Gott." Ciaran schien trotz seiner aktuell besseren Position ein Stück zurückzuweichen. Ohne zu antworten nahm er das Tuch und das Desinfektionsmittel und ging. "Ich wünschte, Aleah hätte dich nie kennengelernt!", rief er seinem Schwager aufgebracht hinterher, als dieser aus seinem Sichtfeld verschwand.

"Er ist tot." Das waren die einzigen Worte, die sie aus Redeschwall behalten hatte. Nein, die Frau hatte es nicht ganz so gesagt. Vermutlich eher so etwas wie "er ist leider von uns gegangen" oder "Gott hat ihn schon früh zu sich geholt". Und all das mit einem mitleidigen Lächeln, einer Flut an Beileidsbekundungen und jeder Menge Anteilnahme. Als ob sie nachvollziehen könnte, was es bedeutet, jemanden zu verlieren, der einem so nahe steht. Nahe stand, korrigierte sie sich gedanklich und weitere Tränen liefen ihr aufgrund der erneuten Erkenntnis über die Wangen. Er würde nie wieder mit ihr Eisessen gehen, er würde sie nie wieder in den Arm nehmen, wenn sie weinte, er würde sie nie wieder zum Lachen bringen. Sie konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Schon immer hatte sie ein engeres Verhältnis zu ihm als zu ihrem Zwillingsbruder gehabt. Sie verstanden sich ohne Worte und auf wundersame Weise tauchte er immer dann auf, wenn sie gerade wieder traurig war. Aber Alian war tot. Und nichts würde ihn wieder zurückbringen.

Sie hatten ihn in eine andere Zelle verfrachtet. Der Gestank war wirklich nicht sehr angenehm gewesen. Er wusste nicht, wie lange das jetzt schon her war. Minuten, Stunden? Er hatte sein Zeitgefühl verloren. Seine Gedanken kreisten pausenlos um eine mögliche Flucht. Aber ihm fiel nichts ein. Ciaran würde ihm wohl nicht helfen, er war auf sich allein gestellt. Aber einfach so aufgeben wollte er auch nicht.

Die Ausweglosigkeit der Situation deprimierte ihn. Es waren jetzt bestimmt schon mehrere Stunden, die er allein mit seinen Gedanken verbracht hatte. Langsam machte sich Hunger bemerkbar und auch der Durst ließ nicht länger auf sich warten. Wann hatte er das letzte Mal etwas getrunken? Der beißende Geschmack seines Erbrochenen hing immer noch an seiner Zunge und das Hungergefühl wich einer erneuten Übelkeit. Sein Magen knurrte jedoch trotzdem.

"Schneller!" Seit bestimmt schon einer Stunde trieb er sie an, ließ sie über das weiträumige Grundstück laufen. "Das reicht für heute, faules Miststück! Aber wenn du beim nächsten Mal wieder so langsam bist..." Er führte sie in den Keller und befahl ihr, sich aufzustellen. Er ging ebenfalls in Position, hielt allerdings im Gegensatz zu ihr ein Messer in der Hand. Als er ihren Blick bemerkte, grinste er nur. "Auch wenn du unbewaffnet bist, musst du gegen Angreifer kämpfen. Glaubst du, die machen da einen Unterschied?" Und mit diesen Worten ging er auf sie los.

Ein Vater, der seine Tochter beinahe tötet. Und das fast jeden Tag.


872 Wörter.

Soul ShardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt