3. Kapitel: Kleidung und Merkwürdigkeiten

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Nachdenklich und mit offenen Augen starrte er an die Decke, deren Weiß sich in ein schemenhaftes Grau verwandelt hatte. Etwas irritierte ihn. Sie war wieder normal gewesen bei dem Gespräch, so wie er sie kannte, aber irgendetwas hatte nicht gestimmt. Doch er kam nicht darauf, was es war. Schließlich glitt er langsam in den Schlaf.

Am nächsten Morgen quälte er sich mühsam aus dem Bett. Er hatte nicht sehr lange geschlafen und schlurfte in die Küche, um sich ausnahmsweise doch mal Kaffee zu machen. Sie saß schon am Küchentisch und rührte mit einem Löffel in dem Becher herum, den sie auch am vorigen Tag benutzt hatte. Er besaß nicht sehr viele Teebecher, aber er war auch meist der Einzige, der diesen bevorzugte.

"Möchtest du etwas essen?", wollte er wissen, während er bereits im Kühlschrank rumkramte. "Nein danke." "Bist du dir sicher?" Er warf einen besorgten Blick zu ihr. "Geben Sie mir einfach ein Toast oder so", murmelte sie. Es endete bei einem hohen, gefährlich wackelnden Toaststapel und leicht verbrannten Pancakes, deren Anziehungskraft sie sich dann doch nicht entziehen konnte.

"Ich möchte gerne herausfinden, was passiert ist", fing er schließlich an. Sie wollte gerade in ihr mit Marmelade bestrichenes Toast beißen und hielt inne. "Würdest du mir dabei helfen?" Sie überlegte kurz und nickte dann. "Aber lass uns das am besten bei unseren Therapiesitzungen machen, ich denke, ich fahre dich am besten erstmal zu dir. Inzwischen geht es dir ja wieder ganz gut und außerdem brauchst du wohl auch etwas Frisches zum Anziehen." Sie trug gerade die alten Klamotten seiner Schwester, die ihr allerdings etwas zu groß waren. Früher war sie öfter hier gewesen und hatte hier übernachtet, aber inzwischen hatte sie wegen ihres Berufs und ihren zwei Kindern nicht mehr so viel Zeit.


Seine Regenjacke war ihr viel zu groß. Die Ärmel hatte sie umgekrempelt, die Jacke reichte ihr bis zu den Kniekehlen. Aber sie war warm, und das war auch gut so. Die Temperaturen stagnierten gerade bei knapp unter zehn Grad. Von Frost und Schnee hatten sie sich zwar wieder deutlich entfernt und vereinzelt offenbarten die vom Wind getriebenen Wolken die warme, strahlende Sonne, dennoch neigte sich der Herbst eben bereits dem Ende zu. Er hielt ihr die Beifahrertür auf. "Kann ich vielleicht lieber hinten sitzen", fragte sie. "Ich fühle mich nicht so wohl vorne, wegen..." "Achso, tut mir leid, natürlich", entschuldigte er sich und öffnete stattdessen eine der beiden Hinteren.

Beim Aussteigen aus seinem Auto klemmte sie sich den für sie fast schon überdimensionalen Ärmel in der Tür ein, was ihm ein kleines Schmunzeln entlockte. Gemeinsam gingen sie auf den Wohnkomplex zu, der vor ihnen aufragte, er hatte die Hände in den Taschen seiner Winterjacke vergraben.

Das Gebäude war grau. Nicht etwa ein angenehmes, beruhigendes Samtgrau oder andere ähnliche schöne Farbtöne, sondern ein schmutziges Grüngrau, dass sich wohl unter anderem wegen des Mooses an den Wänden so entwickelt hatte. Vor dem Haus befand sich eine Rasenfläche, die wohl schon länger keinen Rasenmäher mehr gesehen hatte. Unkraut hatte sich nicht nur dort, sondern auch in den Rillen des Steinplattenwegs, festgesetzt.

Hinter manchen Fenstern brannte Licht, andere waren von dunklen Vorhängen verdeckt und aus wieder anderen winkten vereinzelt Topfpflanzen, mal mehr, mal weniger tot. Das Haus war kahl, es wirkte unlebendig. Er schauderte leicht. Hier würde er nicht gerne wohnen wollen.

Sie steuerte jedoch zielsicher auf die Eingangstür zu. Er zog den Schlüsselbund, den er in ihren alten Klamotten gefunden hatte, aus der Hosentasche und reichte ihn ihr. Sie betrachtete ihn und fand problemlos den hier passenden Schlüssel.

Er nickte erleichtert und sie öffnete die Tür problemlos. Drinnen empfing die beiden Stille. Sie stiegen die Treppe hinauf, bis sie vor ihrer Wohnungstür ankamen. "Was sind das hier für Kratzspuren?", wollte er wissen und zeigte auf den hölzernen Türrahmen. Sie beugte sich vor und meinte mit leiser Stimme: "Die habe ich noch nie gesehen. Sie sind wohl neu."

Ein unbehagliches Gefühl machte sich in ihm breit. Sie schloss die Tür auf. Jedoch war sie gar nicht richtig abgeschlossen gewesen, als hätte jemand einfach nur die Tür hinter sich zugezogen. Sie betraten die Wohnung.

Chaos. Das war das Erste, was ihm in den Kopf kam. Zerstörung, ergänzte er dann innerlich. Zwei Stühle lagen umgeworfen auf dem Boden, Schubladen waren herausgerissen worden. Er bahnte sich vorsichtig einen Weg durch die Berge von Papierfetzen. In der Küche lagen Glasscherben überall verstreut, das Gefäß mit Zucker war umgekippt und hatte seinen Inhalt über die gesamte Anrichte verteilt.

Ein markerschütternder Schrei ließ ihn aufschrecken.


Ich sollte eingreifen. Sie sollte jetzt keine Angst haben. Aber die hat sie, und es ist meine Schuld. Jetzt ist es zu spät, jetzt kann ich sie nicht mehr entlasten. Ich hätte früher kommen sollen, dann würde es ihr gut gehen. Aber beim nächsten Mal, beim nächsten Mal werde ich sie beschützen und die einzige Aufgabe, die ich habe, erfüllen.

Denn jemand anders war ihm zuvorgekommen.


804 Wörter. Mal sehen, wie es im nächsten Kapitel weitergeht.

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