8. Kapitel: Flucht

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Besorgt blickte er ebenfalls aus dem Fenster. Unten vor dem Haus parkten gerade drei schwarze Geländewagen. Dunkel gekleidete Gestalten stiegen aus. "Wer sind die?" Sie stand nur regungslos neben ihm und begann dann, zu zittern. "Die haben Waffen!", stellte er entsetzt fest. "Stella, wir müssen hier raus!"

Sie rührte sich nicht. Er schüttelte sie, immer kräftiger. "Stella, komm schon." Mit einem plötzlichen Ruck löste sie ihren Blick vom Fenster. "Wohin?" Verzweifelt sah er sich um. "Das weiß ich doch auch nicht!" Dann fiel sein Blick auf die Balkontür. "Schnell! Über den Balkon!"

Sie ließ sich mühelos von ihm hinterherziehen. Er öffnete die Balkontür und zog sie hindurch. Suchend schaute er sich um, dann hatte er eine Idee. "Wenn ich sage 'Spring', dann springst du, okay?" Seine Augen fanden ihre, sie nickte.

Er schwang sich über das Geländer, hing nun etwa drei Meter vom Boden entfernt. Er schaute nach unten. Die Rasenfläche war zwar nicht gerade weich, aber die einzige Möglichkeit. Ein letztes Mal atmete er tief durch, dann ließ er sich fallen. Der  Aufprall war hart, aber er kam schnell wieder auf die Füße. "Stella!", rief er. "Spring!"

Er sah die Angst in ihren Augen, die Überwindung, die es sie kostete. Aber auch sie kletterte über das Balkongeländer und sprang. Wie in Zeitlupe sah er, wie sie fiel und fiel, er hechtete zur Seite und fing sie auf. Die beiden kugelten kurz über den Rasen, aber er zog sie schnell hoch. Mit ihr an der Hand begann er, zu rennen. Er wusste nicht, ob sie verfolgt wurden. Aber er rannte um sein Leben, so fühlte es sich an.

Irgendwann wurden sie langsamer. Sie hatte am Anfang noch überraschend gut mithalten können, aber jetzt schienen ihre Kräfte verbraucht. Er überlegte noch, was sie jetzt tun sollten, als er einen Bus entdeckte, der geradewegs auf die Bushaltestelle vor ihnen zuhielt. Die beiden stiegen ein.

"Zwei Tickets für Erwachsene, bitte", keuchte er und ignorierte den skeptischen Blick des Busfahrers, der sie unverhohlen musterte. Er wühlte in seiner Hosentasche nach Kleingeld, jedoch ohne Erfolg. Doch sie hatte bereits ein paar Münzen aus ihrer Hosentasche hervorgezogen und hielt sie dem Busfahrer hin. Der reichte ihnen die beiden Fahrkarten, nicht ohne noch einmal verwundert zu starren. Sie setzten sich gegenüber. Sie blickte nach draußen und lehnte ihren Kopf an die Fensterscheibe.

"Was sind das für Leute, und was wollen sie von dir?" Er hatte sich vorgebeugt und sprach gedämpft. Sie drehte ihren Kopf zu ihm. "Vergessen Sie sie einfach", erwiderte sie, mit ungewöhnlich sanfter Stimme. "Bringen Sie uns in Sicherheit und dann vergessen Sie sie." Er lehnte sich wieder zurück und betrachtete sie, wie sie wieder in ihren Gedanken versunken aus dem Fenster starrte.

"Sie sind nicht gut", brach sie schließlich nach einer längeren Stille das Schweigen. "Sie wissen, was sie wollen. Und sie würden alles dafür tun." "Alles?" Er ärgerte sich, dass er ängslicher klang, als beabsichtigt. "Alles", bestätigte sie mit Nachdruck. Und unbewusst fuhr sie sich mit dem Finger über eine der Narben an ihrem Unterarm.

Jedes Mal, wenn der Bus hielt und sich die Türen öffneten, beobachtete er jeden einzelnen der zugestiegenen Fahrgäste. Sein Misstrauen war geweckt. Und er bemerkte, dass sie es genauso tat. Nur vielleicht etwas weniger auffällig. Sie fuhren bis zur Endstation, bis zum Bahnhof der Stadt. Die Türen schlossen sich zischend hinter ihnen. Sie sah ihn fragend an.

Er überlegte erst, aber dann fiel ihm ein Ort ein, wo sie jetzt hinkönnten. Sie kauften sich Tickets und stiegen in die nächste Bahn. "Bis wohin?" Er nannte ihr die Station. "Werden sie uns folgen?", wollte er wissen, nach dem sich die Bahn quietschend in Bewegung gesetzt hatte. "Ich weiß es nicht", war ihre ehrliche, aber unbefriedigende Antwort, die nicht gerade zu seinem Wohlgefühl beitrug.

Als sie schließlich ausstiegen, war er froh, endlich von all den Menschen wegzukommen. Sie verließen den Bahnhof und er bemerkte, wie ihr Blick kurz sehnsüchtig zu einem Backshop huschte. "Gleich können wir etwas essen. Aber erst sollten wir ankommen", meinte er, wohlwissend, dass ihr Magen vermutlich genauso leer war wie seiner. "Wo ankommen?" Er antwortete nicht.

Eine Weile liefen sie noch durch die Straßen, bis sie schließlich in ein ruhiges Wohngebiet gelangten. Kleine und große Häuser mit gepflegten Vorgarten reihten sich aneinander, idyllisch und harmonisch. Wie in diesen unzähligen Gartenzeitschriften, die seine Mutter immer gerne gelesen hatte. Sie hatten damals keinen eigenen Garten gehabt, trotzdem hatte sie es geliebt, durch die Seiten zu blättern und die perfekten Bilder zu betrachten.

Schließlich kam ein Haus mit nicht ganz so aufgeräumtem Vorgarten in Sicht. Der Rasen schien ein wenig zu lang zu sein und Spielzeug war kreuz und quer verteilt. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit und unbewusst beschleunigte er seine Schritte. "Ist es das?", fragte sie. "Ja."

Er drückte die Klingel und wartete. Erst passierte nichts, dann ertönten Schritte im Flur. Die Haustür wurde geöffnet und eine Frau, etwa im gleichen Alter wie er, sah die beiden erstaunt an. Er lächelte. "Hallo Schwesterherz."


"Sie sind geflohen." "Wie?" "Über den Balkon, Sir." "Warum habt ihr das Haus nicht umstellt, ihr Stümper?" "Das wäre zu auffällig gewesen." "Zu auffällig? Genauso wenig wie eure so gut wie gar nicht getarnten Waffen. Bravo. Kann man nicht einmal mit Profis zusammenarbeiten?" Er reckte frustriert die Hände gen Himmel.


867 Wörter. Von wem wird sie verfolgt? Wer ist die Frau? All das erfahrt ihr im nächsten Kapitel. Naja, vermutlich nicht alles, aber irgendwann im Laufe dieser Geschichte schon. Ich wünsche euch einen schönen Samstag! 🤗

Soul ShardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt