7. Kapitel: Angst und Versprechungen

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Spätestens jetzt hätte sich ein vernünftiger Mensch an irgendjemanden wenden müssen, an die Polizei, wer weiß, wie das den Lauf der Dinge verändert hätte. Aber er tat es nicht. Und das zeigte seine Unwissenheit gegenüber den Gefahren, in denen sie beide schwebten.

Mitten in der Nacht wachte er auf. Müde schlurfte er in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken, als er die offene Balkontür bemerkte. Mit dem gefüllten Glas trat er neben sie und begann sofort, in der kalten Nachtluft zu zittern. "Es ist kalt hier draußen", bemerkte er. "Du könntest dir eine Erkältung holen." Sie erwiderte nichts und schweigend standen sie dort und betrachteten den dunklen Nachthimmel.

"Ich habe Angst." Die Worte waren so leise geflüstert worden, dass er sie kaum wahrnahm. "Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas geschieht. Das verspreche ich dir." Und er meinte es auch so. Er spürte mit jeder Faser seines Körpers den Drang, sie vor all dem Übel der Welt zu beschützen, koste es, was es wolle. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. "Das haben sie alle gesagt. Und keiner von ihnen hat es geschafft."

Am nächsten Morgen geisterten ihre Worte immer noch durch seinen Kopf. Wer hatte ihr versprochen, sie zu beschützen? Und was war daraufhin passiert? Er wollte sie nicht fragen. Er hatte Angst, sie würde sich eher verschließen. Also blieb ihm nur das Rätseln und ein ungutes Gefühl.

Den ganzen Tag über war sie irgendwie unruhig. Dauernd blickte sie zur Tür oder auf die Uhr, sie konnte nicht eine Minute still sitzen. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und sprach sie darauf an. "Was ist los? Irgendwie bist du heute so ... ruhelos." Sie zögerte und haderte eindeutig mit sich, bevor sie ihm schließlich doch antwortete.

"Heute ist ihr Todestag. Ich würde sie gerne besuchen." Er fragte nicht weiter nach, wer "sie" waren, sondern nickte nur. "Wo ist das ... ähm ...das" "Heritage Burial Grounds", erwiderte sie. "Ich war lange nicht mehr dort."

Er blickte aus dem Fenster. Das Wetter war nicht unbedingt das beste, um einen Friedhof zu besuchen. Dicke Regenwolken hingen schon seit des Morgens über der Stadt und es schüttete ab und zu wie aus Kübeln. Vereinzelt hingen Nebelschwaden in der Luft, von den Fensterscheiben rannen die Regentropfen. Aber er seufzte nur ganz leise und griff nach seinem großen, schwarzen Schirm.

Der Friedhof war nur einen Fußweg von seiner Wohnung entfernt. Niemand war auf den Straßen unterwegs, heute gehörte der Tag dem Regen. Nur vereinzelt waren Menschen unterwegs, die anscheinend etwas Wichtiges zu erledigen hatten und nicht gemütlich im Haus bleiben konnten. Er war froh, dass der Wind nicht auch noch sein Unwesen trieb, andernfalls würde der Regen die beiden wohl auch von der Seite treffen.

Es platschte, als er in eine tiefe Pfütze trat. Wasser spritzte hoch und durchnässte sein Hosenbein. Ein griesgrämiger Ausdruck legte sich auf sein Gesicht, der jedoch schnell wieder verschwand, als er sah, wie ein winziges Lächeln ihre Lippen umspielte. Plötzlich musste er an früher denken, an seine Kindheit. Wie er mit seiner kleinen Schwester und seinem großen Bruder in jede Pfütze gehüpft war. Später hatte ihre Mutter den Kindern dann das Tragen von Buddelhosen verordnet, nachdem sie beim Anblick der verdreckten, verschlammten Jeans ihr Entsetzen nur sehr schwer hatte verbergen können. Er schmunzelte leicht und verspürte plötzlich den Wunsch, in die nächste Matschpfütze zu springen.

Sie traten durch das Friedhofstor und gingen über die schlammigen Wege. Schließlich hielt sie an, vor einem Grabstein mit zwei Namen. Colin und Diana Lavey. Er betrachtete die Geburts- und Todesdaten. Das schienen ihre Eltern zu sein. Und noch etwas fiel ihm auf: Ihre Mutter war in Stellas zweitem Lebensjahr gestorben, der Vater kurz nachdem sie achtzehn geworden war.

"Wie?", erkundigte er sich leise. Sie starrte auf den glattgeschliffenen Stein. Sie zögerte erst und presste ihre Lippen zusammen. "Krankeheit", murmelte sie leise. "Das tut mir leid." Sie seufzte. "Mir auch. Aber es ist schon länger her. Es ist in Ordnung." Es schien ihm jedoch, als wäre nicht alles in Ordnung. Er legte einen Arm um sie. Und gemeinsam blickten sie auf das Grab, jeder in seinen Gedanken versunken.

Nach einer schieren Ewigkeit nickte sie schließlich und sah ihn an. "Mir ist kalt." Er verstand und sie traten den Heimweg an.

Später am Abend, als sie fertig mit Essen waren, spülte er in der Küche das Geschirr ab. Plötzlich hörte er ein dumpfes Geräusch aus dem Wohnzimmer und lief schnell dorthin. "Was ist passiert?" Sie hatte seinen Zeitungsständer umgeworfen und deutete mit schreckgweiteten Augen zum Fenster. "Sie kommen", flüsterte sie erstickt. "Sie kommen, um mich zu holen."


"Sind alle auf Position?" "Ja, Sir." "Mission starten."


763 Wörter. Heute kommt das Kapitel recht früh, bin gerade erst aufgestanden.

Soul ShardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt