22. Kapitel: Unbeantwortete Fragen und fragliche Antworten

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Das Holz splitterte, als sie mit roher Gewalt die Tür aufbrachen. Ihre Waffen auf die nun entstandene Öffnung richtend verharrten sie einen Moment, dann stiegen sie hindurch. Sie hatten nur die Schüsse gehört, jetzt blickten sie fassungslos auf ihre Kameraden und den toten Anführer. Die Frau blieb geschockt stehen, schon fast mit den Füßen am Boden festgefroren. Dann drehte sie sich um und floh. Und alle anderen mit ihr.


Das Nichts umhüllte ihn, gab ihm Geborgenheit. Träge schwebte er, irgendwo zwischen Bewegung und Stillstand. Er fühlte sich so leicht, und doch lastete etwas auf ihm, dass er nicht definieren konnte. Es war seltsam, und wenn er gekonnt hätte, wäre er in verwirrtes Lachen ausgebrochen. Der Nebel schien sich plötzlich langsam zu lichten und eine Gestalt trat auf ihn zu.

Er erkannte ihn, als er vor ihm stand. Und da er seine Stimme wiedergefunden hatte, fragte er verwundert: "Alian? Was machst du denn hier?" Sein Gegenüber sah ihn besorgt an. "Dasselbe wollte ich dich gerade fragen, Brüderchen." Adriel lächelte. "Wieso? Ich bin doch schon seit..." Krampfhaft versuchte er, sich zu erinnern, gab es schließlich auf und zuckte nur mit den Schultern.

"Du solltest nicht hier sein. Bei mir." "Aber warum denn nicht?" Er konnte einfach nicht verstehen, warum sein Bruder so dagegen war. Sie hatten sich länger nicht mehr gesehen und er fand es schön,ihn mal wieder zu treffen. "Weil ich seit mehreren Jahren tot bin."

"Oh." Er schwieg überrascht. "Ja, oh", seufzte Alian. "Kannst du dich denn wenigstens an irgendetwas erinnern?" Er dachte angestrengt nach, schüttelte dann jedoch enttäuscht den Kopf. "Das ist gar nicht gut", meinte sein Bruder mit besorgtem Blick. Doch auf einmal drang ein lauter Schrei durch den immer noch wabernden Nebel. "Stella!", rief er, plötzlich voller Angst um sie.

"Wer ist Stella?", wollte Alian wissen. Und da prasselte alles auf ihn ein, tausende Bilder, Geräusche, Gerüche. Er presste sich schützend die Hände an den Kopf, bis der Sturm zur Ruhe kam. "Ich muss...", rief er atemlos. "Zurück, ich weiß", beendete sein Gegenüber den Satz. "Aber pass bitte auf dich auf, kleiner Bruder. Ich möchte dich nicht so schnell wieder hier sehen." "Wo genau sind wir hier eigentlich?" "Na in deinem Kopf", erwiderte Alian. "Das alles passiert gerade nur in meinem Kopf?" "Ja, auch ich bin nur eine Art Halluzination, hervorgerufen durch dein Unterbewusstsein, zum Leben erweckt durch Erinnerungen." Er runzelte verwirrt die Stirn, aber bevor er weiter darüber nachdenken konnte, trat sein Bruder einen Schritt vor und stieß ihn mit Schwung nach hinten. Er verlor das Gleichgewicht und fiel in die Dunkelheit zurück.


Unruhig lief sie vor dem Wohnzimmer auf und ab. Gerade wechselte Jerry wieder Adriels Verband. Die Kugel hatte war zum Glück nicht sehr tief im Gewebe gewesen, sodass er sie leicht hatte entfernen können. "Er hat Glück gehabt", hatte er gemeint. "Das hätte auch anders ausgehen können." Im Moment mussten sie dafür sorgen, dass sich die Wunde nicht entzündete. Hinzu kam, dass er inzwischen Fieber bekommen hatte, sich nachts schwitzend hin und her wälzte, immer noch nicht richtig bei Bewusstsein. Das lag aber vor allem an den Schmerzmitteln, die Jerry ihm verabreicht hatte.

Sie hatte ihn gefragt, woher er denn all sein Wissen herhabe und vor allem auch die ganzen Medikamente. Er hatte nur geantwortet, es sei damals seine Funktion gewesen, seine Aufgabe. Und dass er sich nach seinem Ausstieg entschlossen hatte, hier unterzutauchen. "Ich wusste, sie würden den gesamten Erdball nach mir absuchen. Aber sie hatten nicht geglaubt, ich könnte mich buchstäblich direkt vor ihrer Nase aufhalten."

Die Idee, anderen bei der Flucht zu helfen, war ihm erst später gekommen. "Erst als du plötzlich vor meiner Tür standest", erklärte er und fügte seufzend hinzu: "Aber außer dir ist auch niemand gekommen. Ich würde mir ja gerne einreden, dass sie sich etwas zurückgezogen haben, aber ich kenne sie schließlich." Dann fiel ihm etwas ein. "Sag mal, was ist eigentlich mit meinem Auto passiert?"

Sie merkte nicht, dass sie in den Schatten trat und jemand anderes den Platz übernahm.

"Naja", erwiderte sie und senkte schuldbewusst den Kopf, "ich dachte, ich hätte irgendetwas gehört. Du warst gerade nicht da und ich habe mir einfach den Schlüssel geschnappt und bin losgefahren." "Und wo ist der Wagen jetzt?" "Ich habe ganz eventuell, aber auch nur vielleicht, einen Unfall gebaut?" "Hast du dich verletzt?" "Ne, nur ein bisschen. Aber das Auto ist ein Totalschaden gewesen, liegt jetzt irgendwo auf 'nem Schrottplatz. Tut mir leid." Jerry winkte ab. "Ist schon okay, es war ja schon etwas älter und ich bin eh nicht so oft damit gefahren."

Sie fand sich im Badezimmer wieder und starrte ihr ausgemergeltes Spiegelbild an. Ihre Haut war blass, bis auf kleinere Wunden, Blutergüsse, Aufschürfungen und Narben. Sie sah so schwach und gebrochen aus wie noch nie zuvor. Aber sie versuchte, sich nicht so zu fühlen. Sie klammerte sich an den Hoffnungsschimmer, dass es ihm bald wieder besser gehen würde und dass sie bis dahin für ihn da sein musste. Und wenn es ihm nicht besser gehen würde? Sie wusste nicht, was sie darauf hätte antworten können, und weigerte sich, weiter daran zu denken.

Und so schweiften ihre Gedanken in die Vergangenheit, in die besseren Tage ihrer Kindheit. Sie sah sich mit ihren Geschwistern im Garten spielen, im Bett eng an ihre Schwester gekuschelt, wenn sie mal wieder einen Albtraum gehabt hatte und am Küchentisch ihrer Großmutter, neben ihr das kleine Fenster mit den weißen Spitzengardinen, den Geruch von selbstgebackenem Kuchen in der Nase und den alten zotteligen Kater auf dem Schoß. Sie schwelgte in einzelnen Augenblicken aus längst Vergangenem, wo Hoffnungen, Träume und Wünsche noch nicht mit lautem Knall zerplatzt waren.


931 Wörter. Das ist auch schon das vorletzte Kapitel, bald geht diese Geschichte zu Ende. Aber ja, euch noch viel Spaß mit dem Rest und auch ein frohes, neues Jahr!🥳🤗

Soul ShardWo Geschichten leben. Entdecke jetzt