"Bitte lächeln Bruderherz!", sagte Claude fröhlich und drückte auf den Auslöser. Daraufhin schoss ein heller Blitz aus der Kamera und verschluckte das Geschwisterpaar.
Als Joseph erwachte fühlte er sich leichter. Ein Puzzelteil in seinem Kopf hatte einen Platz gefunden. Er hatte einen Bruder. Er hatte Familie. Irgendwo da draußen war er nicht allein. Die neu geschöpfte Hoffnung verlieh ihm Kraft. Er fühlte sich motiviert das Training fortzusetzen. Sie würden diesem Ort entfliehen - sie alle.
Joseph wollte Carl von seinem Traum erzählen. Am Abend zuvor hatte dieser dem Fotograf seine Vergangenheit offenbart. Also wollte Joseph ihm etwas zurück geben.
Der Fotograf stand auf und verließ sein Zimmer.
Klonk.
Der Magnet vor seiner Tür beförderte ihn energisch zurück in den Raum. Der Aufprall war so heftig, das eine neue Delle im Schrank entstand.
"Oops!", rief Martha von draußen und kurz darauf stecken sie und Norton ihre Köpfe in den Raum. "Sorry!"
Zusammen gingen sie zur großen Halle. Joseph hatte ihnen den kleinen Zwischenfall nicht übel genommen. Obwohl ihn so etwas herablassendes normalerweise in Rage versetzt hätte, war ihm diesmal nicht danach einen Streit anzufangen. Zu viele positive Gedanken hatten sich in seinem Kopf festgesetzt und es wäre eine Verschwändung den Tag mit Groll zu beginnen.
In der großen Halle hatten sich ein paar vereinzelte Leute versammelt. Carl war unter ihnen, saß jedoch ein wenig abseits. Ihre Blicke trafen sich sofort als Joseph den Raum betrat und der Fotograf schenkte ihm ein kaum sichtbares Lächeln. Ihre Konversation hatte ihm viel bedeutet da er wusste wie verschlossen Carl war. Es ähnelte dem befriedigenden Gefühl, wenn sich eine scheue Katze nach monatelangem Annähern endlich erkenntlich zeigte. Durch ein Schnurren zum Beispiel. Nun, Carl war weder eine Katze, noch kannten sie sich so lange. Dennoch wusste Joseph die Offenheit und das Vertrauen sehr zu schätzen. Bei diesem Gedanken stockte er, als ihm wieder einfiel, das Carl ihn bereits länger kannte, als Joseph sich erinnern konnte.
"Lasst uns etwas essen bevor wir gehen!", sagte Martha und gesellte sich zu den anderen an den Tisch. Norton folgte ihr, doch Joseph hütete sich den anderen zu nahe zu treten. Die Blicke, die sich nach wie vor unerbittlich in seinen Körper bohrten, blieben ihm nicht verborgen. Er wollte das Feuer nicht noch weiter entfachen. Also ging er zu Carl, welcher der einzige war, der ihn nicht als potentielle Bedrohung wahr zu nehmen schien. Denn er kaute ruhig weiter an seinem Brot.
"Guten Morgen.", grüßte Joseph ihn und bekam ein stilles Nicken als Antwort. Der Fotograf setzte sich zu ihm.
Er war ungeduldig, wollte Carl jedoch so früh noch nicht mit seinem Traum belästigen. Stattdessen faltete er seine Hände auf dem Tisch und spielte unruhig mit den Daumen. Carl's Augen folgen der Bewegung. Dann warf er Joseph einen fragenden Blick zu.
"Was ist los?" Carl's Frage gab ihm das Zeichen. Joseph drehte sich schnell zu ihm, um ihn anzusehen.
"Ich hatte einen Traum.", begann er hastig, bevor Carl seine Meinung ändern konnte. "Es war... Da war... Also ich glaube ich habe einen Bruder. Er sah aus wie ich. Sein Name war Claude. Wir haben miteinander gesprochen." Beim erzählen, füllte sich Joseph's Brust mit Wärme. "Es war mehr als nur ein Traum. Es war mehr wie eine Erinnerung. Ich glaube da draußen habe ich Familie, die auf mich wartet." Joseph's Augen strahlten als er Carl ansah.
Dieser hatte aufgehört zu essen. Seine Augen waren starr auf den Tisch vor ihnen gerichtet und seine Haut hatte eine ungesunde Blässe angenommen. Joseph neigte den Kopf und schob sich in Carl's Sichtfeld. Dieser zuckte zurück und sah ihn an. Dann stand er wortlos auf und zupfte ihm leicht am Ärmel. Ein Zeichen das Joseph folgen sollte.
Der verwirrte Fotograf gehorchte und lief Carl nach. Was war denn jetzt? Hatte er wieder etwas komisches gesagt? War ihm schlecht? Verdorbenes Brot? Er wusste das sich Carl's Reaktionen auf ein Minimum beschränkten. Aber er könnte sich doch wenigstens ein bisschen mit ihm freuen oder?
Carl steuerte auf den Ausgang der großen Halle zu, welcher zu den privaten Räumen führte.
Sie befanden sich gerade im Korridor, als hinter ihnen ein greller Schrei zu vernehmen war.
Beide blieben stehen.
Carl drehte sich zu Joseph um.
Sie schauten sich an.
Das kam aus der großen Halle, welche sie soeben verlassen hatten.
Joseph und Carl machten auf dem Absatz kehrt und sprinteten zurück, in die Richtung aus der sie gerade gekommen waren. Joseph war durch seine längeren Beine schneller und erreichte den Hauptsaal als erster.
Als er um die Ecke bog, waren die schweren Türen weit geöffnet. Dicker, weißer Neben waberte hinein. Das war das erste Mal das Joseph die Tür geöffnet sah! Doch draußen war absolut nichts zu erkennen. Der Nebel ließ keinen Blick zu.
Alle hatten sich direkt beim Eingang versammelt. Jeder redete aufgeregt durcheinander.
Endlich hatte Carl in eingeholt. Mit gerunzelter Stirn eilte die kleine, graue Gestalt zu den anderen. Auch Joseph näherte sich und ragte über die Köpfe der kleineren hinüber. Emily kniete neben einem Mann mit grüner Kapuze auf dem Boden. Dieser krümmte sich vor Schmerz, welcher von drei langen Schnittwunden in seinem Arm, nahe des Halses ausging. Emily hatte ihre Schürze geopfert und drückte damit fest auf die Wunden.
"Holt mir mal einen Druckverband! Schnell!", schrie sie in die Runde, woraufhin drei von ihnen sofort losrannten.
"Was ist passiert?!", rief Martha schockiert und kniete sich ebenfalls neben den Verletzten um Emily zu helfen. Eine junge Frau mit Strohhut stand völlig verstört am Fuße des zuckenden Mannes. Joseph meinte sich zu erinnern, das die anderen sie Emma nannten.
"I-Ich weiß nicht! Wir... waren... Aber... ich verstehe das nicht... Wir sind doch..." Verzweifelt versuchte sie einen ganzen Satz zustande zu bekommen. Doch sie war so aufgelöst, das sie noch nicht mal merkte, das sie selbst feine Schnittwunden im Gesicht hatte. Die Frau mit den Rasterlocken packte Emma sanft bei den Schultern um sie zu beruhigen.
Da ergriff der Mann mit Cowboyhut das Wort. Er war ebenfalls Teil des Teams gewesen.
"Es war Jack und er hat Naib ein Mal erwischt aber wir sind alle entkommen! Er dürfte keine Verletzungen mehr haben sobald wir hier ankommen! Das ist doch verrückt!"
Joseph verstand ihn kaum, dank des starken Akzent.
Martha schaute ihn verwirrt an. "Du meinst das sind Jack's Verletzungen von eurem Match?", hakte sie nach. Der Mann und Emma nickten hektisch.
Emily nickte ebenfalls. "Ja... Naib hat einen Schlag für mich abgewehrt, so konnten wir alle fliehen. Es war keine Zeit mehr ihn vor Ort zu heilen aber... Das sollte nicht passieren!"
Alle sahen sich schockiert und ratlos an.
Joseph stieg der unangenehme Geruch von Blut in die Nase. Als er zu Carl schaute, war er überrascht, ihn mit dem selben Ausdruck der anderen auf dem Gesicht zu erwischen.
"Wer hat ihn so zugerichtet?", fragte Joseph mit leiser Stimme.
Carl runzelte die Stirn. "Jacke the Ripper ist einer der Jäger.", antwortete er. "Die Verletzungen die wir in einem Match erleiden... beschränken sich nur auf das Spiel. Sobald wir durch diese Türen kommen, sind normalerweise alle Wunden verheilt. Sodass wir jederzeit das nächste Spiel bestreiten können."
Nun verstand Joseph warum alle so erschrocken waren.
Warum hatte Naib die Spuren des Angriffs mitgebracht, wenn sie hätten verschwinden sollen, sobald sie durch den Nebel traten?
Marthas Blick wurde finster anhand der Neuigkeiten.
"Ich befürchte, das hier ist jetzt wirklich ein Spiel des Todes."
Fortsetzung folgt...
[[ Hallo liebe*r Leser*innen,
was ist denn da passiert? Es scheint als hätte das Spiel seine Regeln geändert...
Danke für's lesen und ich freue mich wie immer über Feedback und mutige Vermutungen! ]]

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Soulmates
FanfictionVom eigenen Schwert aufgespießt. Erinnerungen weg. Joseph Desaulnier hätte es kaum schlimmer treffen können. Obendrein findet er sich plötzlich im Haus seiner Gegenspieler wieder, anstatt bei den Jägern, wo er hingehört. Die fremden Gesichter um ihn...