"Frohes Neues." Mein Mund fühlt sich trocken an, aber innerlich brodele ich. Ich schaue aus dem Fenster und bin beeindruckt von den vielen Farben und den glitzernden Funken über der Skyline von London. Jedoch muss ich immer wieder Hamiltons ernsten Gesichtsausdruck im Fenster betrachten, der wie versteinert, ohne mit den Augen zu blinzeln, in eine einzige Richtung schaut.
"Ja. Frohes Neues.", brummt er und geht einen Schritt nach hinten.
"Sie sollten sich das hier nicht entgehen lassen." Hier oben sieht es viel schöner aus, als in den vielen Jahren zuvor, von dort ganz weit unten auf der kalten Oxfordstreet. Ich drehe mich zu ihm um. Die Lichter vom Himmel lassen sein Gesicht in einen ungleichmäßigen Takt aufleuchten.
"Das ist nichts Besonderes mehr für mich.", antwortet er kalt lächelnd. "Es ist doch sowieso jedes Jahr dasselbe. Ich bevorzuge Abwechslung vor der Routine."
"Aha." Mein Stirnrunzel scheint ihn nicht zu interessieren, aber ich weiß auch, dass es nicht unbemerkt an ihm vorbeigezogen ist. "Danke, dass sie mir dort rausgeholfen haben. War bestimmt eine aufregende Abwechslung für Sie." Ich kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen, bevor ich mich wieder voll und ganz dem Feuerwerk widme. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er Abwechslung darunter versteht, sich jeden Tage eine andere Krawatte umzubinden, als den Tag davor. So wie alle Anzugträger.
"Ich fand es nicht sehr amüsant." Nach dieser Antwort, traue ich mich nicht, mich ein weiteres Mal nach ihm umzudrehen. Und auch, wenn mir meine Mutter immer sagte, ich solle mich nie von diesen Anzugträgern einschüchtern lassen, fühlt es sich irgendwie falsch an, Hamilton mit einem Argument zu begegnen, nachdem er mir doch praktisch das Leben gerettet hat. Zudem hat er Recht. Es war wirklich nicht lustig, auf den Boden zu kauern und von explodierenden Böllern umgeben zu sein.
"Jedenfalls, haben Sie etwas gut bei mir." Ich höre ein leises Lachen, was er mit einem Husten versucht zu überspielen. "Was ist?", frage ich neugierig, und sehe mich doch noch einmal nach ihm um.
"Naja..." Seine Hand wandert zum Nacken. ", also wegen mir, brauchen sie sich keine Gedanken zu machen. Ich brauche nichts von Ihnen." Wie bitte?
"Wie meinen sie das, dass sie nichts von mir brauchen?" Abermals bilden sich tiefe Falten der blanken Verwunderung auf meiner Stirn. Eigentlich wollte ich nur nett zu ihm sein, aber ich habe vergessen, mit wem ich da gerade rede. Es ist nicht Meredith oder Alfie. Es ist Hamilton. Ein stinkreicher Anzugträger.
"Sagen Sie Rosa, dass sie ihren Verband bitte noch ein weiteres Mal wechseln soll. Ich kann das Blut von hier aus erkennen." Ich fasse mir mit einer Hand an den Kopf. Tatsächlich. Meine Finger sind rot, als ich sie danach betrachte. "Und ruhen sie sich noch etwas aus. Das Bett steht ihnen noch die ganze Nacht zur Verfügung." Er umgeht meine Frage gekonnt. Jedoch kann ich sie mir mittlerweile auch selber beantworten.
"Das brauchen sie wirklich nicht für mich tun. Ich gehöre hier nicht her." Und das meine ich auch so. Die Wahl zwischen Couch oder Bett, Milch oder Wasser, steht mir normalerweise offen. Ich nehme das, was ich mir leisten kann. Und das ist sehr wenig. Ohne etwas dafür getan zu haben, verdiene ich es nicht, in ein Zimmer wie dieses gesteckt zu werden, so sehr ich auch bleiben will.
Aber Hamilton nimmt mir die Last von den Schultern. "Heute Nacht und nach dieser Aktion, schon.", sagt er mit toternster Stimme und ich denke mir im Hinterkopf schon eine Strafe aus, weil ich mich über eine andere Antwort hätte freuen sollen. Gebe ich gerade nach?
"Dankeschön." Das laute Chaos, welches nun erst richtig beginnt, übertönt beinahe meine krächzende Stimme. Ich muss viel zu viel Rauch eingeatmet haben. Nein. Ich nehme und gebe. Aber wenn er nichts von mir verlangt, dann darf ich zumindest an mich denken.
"Und bedanken sie sich nicht für jede Kleinigkeit. Gute Nacht." Die Tür fällt ins Schloss, sodass ich nicht einmal ein 'Gute Nacht' an ihn zurückgeben kann. Und als sie sich dann wieder öffnet, ist es nur Rosa, die ihren schwarzen Schopf durch den Türspalt streckt.
"Kann ich noch etwas für Sie tun?" Im Hintergrund erkenne ich Hamiltons Statur an der Fensterfront im großen Wohnzimmer stehen. Also ist es doch etwas Besonderes für ihn. Zumindest so besonders, dass er es sich nicht entgehen lassen will.
"Könnten sie mir einen frischen Verband und eine Schere bringen?", sage ich schließlich und nehme meinen Blick von Hamilton. Das gehört sich nämlich nicht. Ich darf ihn nicht so anstarren.
"Danke, Rosa." Ich schenke ihr eines meiner ehrlichsten Lächeln.
"Sind Sie sich sicher, dass ich es nicht für Sie übernehmen soll?"
"Danke, aber ich kann das auch alleine. Legen Sie sich lieber ins Bett. Es ist schließlich schon sehr spät." Ich kann es nicht fassen, dass Sie so spät noch arbeiten muss.
Rosa schmunzelt nur. "Mr. Hamilton erwartet gleich seinen 1-Uhr-Wein, da kann ich noch nicht Feierabend machen, Birdy. Aber es freut mich, dass Sie mir hiermit ein wenig Arbeit abnehmen." Was ist denn bitteschön ein 1-Uhr-Wein? "Sie kommen also soweit klar?"
Ich nicke. "Ja, danke." Hamilton hat jedoch Recht gehabt; Ich bedanke mich wirklich für jede Kleinigkeit. Aber vielleicht auch, weil es eine große Sache für einen anderen ist. Nur für Hamilton nicht. Für ihn ist bestimmt nichts mehr eine Besonderheit. Außer das Feuerwerk an Silvester. Ich muss bei meinen Gedanken kichern und erhalte einen schrägen Blick von Rosa, die ich total vergessen habe.
"Gute Nacht." Die Tür schließt sich und wieder einmal bekomme ich nicht die Gelegenheit, ihr auch eine gute Nacht zu wünschen. Vielleicht bin ich einfach zu nett...oder niemand möchte eine gute Nacht von mir gewünscht bekommen. So blöd sich dies auch anhören mag, innerlich macht es mich ein wenig traurig. Denn erst jetzt bemerke ich, wie alleine ich tatsächlich bin. Wahrscheinlich tut mir die Gegenwart von anderen Menschen, wenn auch nicht aus meiner Gesellschaftsklasse, sogar sehr gut.
Ich greife zur Schere trenne den alten Verband von meinem Kopf, blicke dabei von meinem Bett aus in den Nachthimmel, der sich ein wenig beruhigt hat und denke über das neue Jahr nach.
Hoffentlich wird es mein Jahr.
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Million Dollars Between Us (Damien & Birdie - Trilogie #1)
RomansaBand 01 der „Damien & Birdie"- Trilogie (Wattpad Version) Birdie ist obdachlos. Seit sie denken kann, wohnt sie auf der Straße. Als Birdie also - wie jedes Jahr - im Winter mit ihren wenigen Sachen in die belebte Oxford Street umzieht, erhof...