Kapitel 16

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"Komm." Das Ticken der Uhr verschmilzt mit Rosas sanfter Stimme.

Ich drehe mich zu Rosa um, die im Türrahmen des Gästezimmers steht. In der einen Hand hält sie ihre Schlüssel, mit der anderen winkt sie mich zu sich rüber.

"Was ist los?...Und warum flüstern wir?"

"Komm einfach mit mir mit.", beruhigt sie mich, aber nicht meine Neugier.

"Wo gehen wir denn hin? Was ist mit Hamilton?" Aber Rosa beantwortet keine meiner Fragen, sondern zieht mich einfach hinter sich her in den Flur. Dort finden wir den Fahrstuhl und ich sehe zu, wie Rosas Zeigefinger den untersten Knopf drückt. Als sich dieser Kasten aus Metall bewegt, zucke ich vor Schreck zusammen. Normalerweise versuche ich diese Biester zu umgehen. Aber so nah am Himmel, habe ich wohl keine andere Möglichkeit, auch wenn ich die unzählbar vielen Stufen auf mich nehmen würde.

"Rosa!", flehe ich sie an. "Was hast du vor?"

Die Antwort auf meine Frage, bekomme ich, als wir in einen schwarzen Kleinwagen gestiegen sind. Durch das dunkle Fenster bestaune ich mit herunterhängender Kinnlade die Schlitten, die im grellen Licht glänzen. Ich erkenne den Wagen, den ich jeden Morgen und jeden Abend habe vor- und wegfahren sehen. Mein Bauch zieht sich bei dem Gedanken zusammen. Dieses Gefühl kenne ich nur, wenn ich stundenlang nichts gegessen habe...und wenn ich an Hamilton denke.

"Heiße Karren, nicht wahr?", höre ich Rosa endlich etwas sagen. "Ich würde alles dafür geben, auch nur ein einziges Mal damit fahren zu dürfen." Sie schmeißt ihre Tasche auf den Rücksitz und dreht den Autoschlüssel nach links.

"Mich beeindruckt so etwas nicht." Im Augenwinkel erkenne ich, wie sie ihre Augen verdreht. "Wohin fahren wir denn jetzt? Und weiß Hamilton davon?"

"Einkaufen. Habe ich dir doch vorhin gesagt." Ihr Blick ist auf das sich selbst öffnende Garagentor gerichtet. "Und Mr. Hamilton hatte noch einige Dinge zu erledigen. Er wird sein Büro nicht so schnell verlassen."

"Aha.", ist das Einzige, was mir zu ihrer Aussage einfällt. "Aber ich dachte, Hamilton wollte nicht, dass ich mit dir mitkommen würde?", erinnere ich mich schließlich wieder.

"Mr. Hamilton wird davon nie erfahren." Wir fahren in unangenehmer Geschwindigkeit den kleinen Berg hinauf und in die Dämmerung. An manchen Stellen erspähe ich noch etwas Schnee, aber der Rest ist bereits zu Wasser geschmolzen. "Ich könnte nur wirklich gerade ein wenig Hilfe gebrauchen."

"Ist alles okay mit dir?"

"Ja. Vier Hände sind nur deutlich vorteilhafter, als zwei." Sie lächelt mich schulterzuckend an. Und in diesem Moment denken wir wahrscheinlich an dasselbe. Hamiltons gebrochene Regel.

"Irgendwie gefällst du mir immer mehr.", lache ich sie an und schüttle belustigt mit meinem Kopf.

...

"Es wundert mich wirklich, dass Mr. Hamilton dein Verhalten und deine Einstellung ihm gegenüber nicht abschrecken. Noch keine Frau, durfte so lange das Gästezimmer belegen." Rosa und ich steigen aus dem Auto, nachdem wir auf dem Parkplatz des Supermarktes geparkt haben. Nur bin ich mit meinen Gedanken nicht bei ihr, als ich die zwei Männer neben dem kleinen Häuschen der Einkaufswagen auf den Boden sitzen sehe. Ihre Jacken und Hosen sind durchlöchert, die Füße ohne Schuhe. Der Schnee ist nicht mehr groß vertreten, aber er kann jeder Zeit wieder kommen. Sie erinnern mich an Alfie. "Birdie? Alles okay mit dir?", höre ich Rosas besorgte Stimme, als sie einen Einkaufswagen aus dem Häuschen holt und ich die Männer anstarre. Für einen kurzen Moment empfinde ich ein derartig komisches Gefühl in meinem Bauch, dass mir kurz darauf übel wird. Ich kann es nicht verstehen, wie diese Anzugträger das täglich tun können. Was für eine dunkle, selbstverliebte Seele muss bloß in ihnen hausen, dass sie andauernd auf Menschen herabschauen müssen. Ich kann-, nein, ich will das nicht verstehen. Ich fühle mich schrecklich.

Million Dollars Between Us (Damien & Birdie - Trilogie #1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt