»Paa! Paa!«
Ein stürmisches Wiehern riss den goldenen Hengst aus seinen düsteren Gedanken. Ein Haufen fuchsfarbenen Fells kam mit wirbelnden, weißen Beinen auf ihn zu galoppiert, stemmte die Hufe in den Boden und schlitterte mit voller Wucht in ihn hinein. Dann machte das Fohlen einen unfreiwilligen Purzelbaum und landete hustend im Staub. Scabor, der große, grau-weiße Wolfhund, der ihm in sicherer Entfernung gefolgt war, eilte gleich zu Hilfe und schlabberte das Fohlen im ganzen Gesicht ab.
»Upps«, keuchte der kleine Hengst erschöpft. Erren konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Prustend schüttelte er sich eine schwarze Strähne von der Stirn, ehe er dem Fohlen dabei half, seine viel zu langen Beine zu sortieren, damit es wieder aufstehen konnte.
Scabor hockte sich hechelnd mit wedelndem Schwanz in einiger Entfernung hin und beobachtete still das Geschehen. Seit der Geburt des kleinen Wirbelwindes hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, Robin zu beschützen und er nahm seine Aufgabe sehr ernst. Jedenfalls ließ er kein fremdes Pferd an den Kleinen heran. In dieser Hinsicht konnte Erren sicher sein, dass Robin nichts Schlimmes passierte, wenn er sich wieder einmal davonschlich, wie schon so viele Male.
Mit tadelndem Blick und zurückgelegten Ohren stierte Erren dann seinen Sohn an. Doch er war ihm eigentlich nicht böse. Wie konnte er auch? Robin war genau wie er selbst, als er noch in seinem Alter war.
»Robin! Vielleicht solltest du beim nächsten Mal darauf achten-«
»Dass meine Hinterhufe die Vorderhufe nichtüberholen, ich weiß!«, beendete der Kleine den Satz seines Vaters, als hätte er ihn schon hunderte Male zu hören bekommen. Frech rollte das Fohlen die himmelblauen Augen. »Aber das nächste Mal kriege ich den Schnellstopp hin! Großes Ehrenwort!«
»Das hast du schon mal gesagt, erinnerst du dich?«
Robin verzog sein Gesicht zu einem Schmollmund und streckte dann die Zunge heraus. »Maa sucht übrigens schon überall nach dir.«
»Sicher, dass sie nicht eher nach dir sucht?«, schnaubte Erren mit einem wissenden Lächeln. »Denn sonst frage ich mich, warum sie ausgerechnet dich losschickt, um nach mir zu suchen, wo wir dich doch hier schon etliche Male alleine aufgegabelt haben, weil du mit Scabor Stöckchen holen spielen wolltest.«
Robin schnappte ertappt nach Luft. »Also...«, murmelte er, »das könnte schon sein. Aber Scabor liebt Stöckchen holen!«
Wie zur Antwort bellte der Wolfhund zweimal und klopfte noch zur Bestätigung mit dem Schwanz auf den Boden.
Erren schnaubte kopfschüttelnd. Amüsement schwang in seiner Stimme mit. Stumm beschleunigte er seinen Schritt wieder. Sein Hufschlag knirschte dumpf auf dem moosbewachsenen Kiesboden.
»Komm mit!«, wieherte er seinem Sohn über die Schulter zu. »Ich wette, Maa ist schon krank vor Sorge um dich.«
Robin wartete nicht länger, gab Scabor ein Kommando und fegte dann an seinem Vater vorbei ins Dorf. »Du kriegst mich nicht!«, wieherte er verspielt. Erren nahm die Herausforderung an und drückte sich kräftig mit seinen Hinterhufen vom Boden ab. Wie ein goldener Blitz sauste er voran, donnerte über Stock und Steine und überholte seinen Sohn auf halber Strecke nach Sjørgren, ehe er ein wenig langsamer wurde, um keinen allzu großen Vorsprung zu gewinnen.
Als die beiden Pferde und der Wolfhund am neuen Stadtwall ankamen, schnaufte das Fohlen heftig, doch ein feuriges Glitzern lag in seinem Blick. Das Glitzern, das seine Mutter immer dann hatte, wenn sie der Ehrgeiz packte und er genau wusste, dass sie das nächste Mal noch mehr geben würde, um ihr Ziel zu erreichen.
Robin hatte viel von ihr. Der kleine Hengst war einfach unermüdlich. Nur die strahlend blaue Augenfarbe, die hatte er tatsächlich von keinem von ihnen geerbt. Erren erinnerte sich nur daran, dass seine eigene Mutter, Calea, ebenfalls so blaue Augen gehabt hatte. Von ihr hatte er auch seine weißen Flecken am Bauch geerbt.
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Erren - Schattenspiel
FantasyACHTUNG: Diese Geschichte ist verfasst als eine Art Fabel, in der alle Hauptcharaktere als Pferde dargestellt sind.Ihr Verhalten ist jedoch soweit vermenschlicht, dass die Story jederzeit auf Menschen umgeschrieben werden kann. »Ich habe alles verl...