Kapitel 5 - Seemannsgarn

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»Womit meine Frage nicht vollständig beantwortet wäre«, knurrte Erren leise, doch Mordecai blieb unbeeindruckt. Ja, er schien es regelrecht zu genießen, Erren so in die Enge gedrängt zu sehen.

»Nun, du bist auch nicht unbedingt in der besten Position, um Fragen zu stellen«, kicherte er leise. Drei goldene Ringe glitzerten an einem seiner interessiert gespitzten Ohren, als er seinen Hals reckte, um auf Erren herabzublicken. »Ich antworte, worauf ich möchte und das hast du zu akzeptieren. Und wenn du dich nicht freiwillig ergibst, lasse ich dich so lange Kiel holen, bis du keine Gliedmaßen mehr besitzt, mit denen du dich uns widersetzen kannst.«

Die Piraten auf den Schiffen um sie herum ließen im Chor ein einstimmiges »Aye!«, verlauten. Ein selbstgefälliges Schmunzeln erschien auf Mordecais Lippen, als er seinen Kopf wieder Erren zuwendete, mit Schwung vom Vordeck zu seinem Gefangenen ins Boot sprang und dann musternd näher trat. Mit seinem rostigen Säbel hob er sachte das Kinn des Räubers an, um ihn von allen Seiten zu begutachten. Erren ließ es mit klopfendem Herzen über sich ergehen. Solange dieses Pferd ihn nicht töten oder gewaltsam auf sein Schiff befördern wollte, würde er einen Teufel tun und sich inmitten dieser wütenden Piraten gegen ihren Kapitän aufbäumen. Alleine hatte er wohl kaum eine Chance gegen sie. Vielleicht würde der Pirat ja noch einen Fehler machen. Er musste nur geduldig bleiben.

»Du weißt, dass du mein schnellstes Boot zerstört hast?«, fragte Mordecai dann. »Die Habicht mag zwar hässlich sein, wie die Nacht, aber mann... sie zu klauen hat mich zwei Hengste gekostet. Also nicht, dass mir die Säcke was wert gewesen wären, aber das Schiff war echt ne Wucht. Und jetzt isses hinüber. Weißt du, wie Kacke das ist?«

Erren blickte aufs Wasser, wo zwei Pferde alle Hufe voll zu tun hatten, das kaputte Vorsegel aus dem Wasser zu fischen. Dann suchte er den Augenkontakt zu dem Räuber vor sich.

»Habe ich nicht ahnen können«, schnaubte er, konnte sich aber ein freches Schmunzeln nicht verkneifen.

»Dafür muss ich mir eigentlich noch eine gebührende Strafe ausdenken. Übrigens, meine Jungs reagieren allergisch auf ruckartige Bewegungen, also würde ich an deiner Stelle jetzt nichts Unüberlegtes tun«, Mordecai fixierte Erren noch eine Weile nachdenklich mit seinen eiskalten, blauen Augen, dann, wie aus dem Nichts, holte er ganz plötzlich mit seinem Säbel aus. Erren reagierte blitzschnell, duckte sich und verhinderte somit haarscharf, dass der Pirat ihm eines seiner Ohren abhackte.

Doch nun waren die anderen Piraten tatsächlich in Aufruhr geraten. Die erhoffte Ruhe war gebrochen. Mordecai hatte einen Streit gewollt und er sollte ihn auch bekommen.

Mit Schwung stieß sich Erren mit den Hinterhufen von der Reling seines Bootes ab, prallte an seiner Brust mit Mordecai zusammen und war äußerst verwundert, als der andere Hengst von dem Angriff nicht aus dem Gleichgewicht gerissen wurde, sondern mit den Knien die schwankenden Bewegungen des Bootes abfing, auf die Hinterbeine stieg und Erren mit dem Knauf seines Säbels einen Stoß in die Halsschlagader verpasste, die sich gewaschen hatte.

Erren schnappte nach Luft, verlor den Halt unter den Hufen, als das Boot durch die Bewegungen seiner Insassen stärker zu schwanken begann und stürzte. Beinahe wäre er auf der anderen Seite der Jolle über Bord gegangen, hätte sich einer seiner Hinterhufe nicht in dem Seil verfangen, mit dem er sein Vorsegel festgemacht hatte. Aber sein Segen war ein Fluch zugleich, denn nun hing er fest.

Inzwischen war ein weiteres, größeres Schiff nähergekommen. Die anderen Piraten schenkten ihm keine Notiz. Viel zu beschäftigt waren sie, Seile An Bord von Errens Jolle zu werfen und selbst an Bord zu stürmen, um den Hengst gefangen zu nehmen.

Ächzend zog sich der goldene Hengst zurück auf die Beine und versuchte verzweifelt, das Seil, das sich um seine Hinterhand gewickelt hatte abzuschütteln, doch es gelang ihm nicht.

Erren - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt