Kapitel 3 - Piraten!

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Gewieher von Fohlen und das Schlagen von kleinen Holzschwertern empfingen Erren am Hafen, als er beinahe von einer Bande Halbwüchsiger umgerannt wurde, die eine wilde Piratenschlacht ausfochten. Finn, Tills Sohn, war der kleinste der Runde, aber immer am lautesten zu hören. Die anderen Jährlinge respektierten ihn, trotz, dass sie bereits jetzt schon mehr als doppelt so groß waren, wie er.

»Fürchtet mich, ihr Piraten! Käpt'n Finn ist gekommen, um sich zu rächen für die Schätze, die ihr seinem Volk gestohlen habt!«

»Arr!«, engegneten ein paar der Fohlen, zogen ihre Holzschwerter und fochten ein Duell mit dem Zwergenponyfohlen aus. Finn mochte noch recht jung sein, aber er war inzwischen fast so groß, wie seine beiden Eltern. Viel würde er nicht mehr wachsen und trotzdem hatte er ein Selbstbewusstsein, das wahrhaftig seinesgleichen suchte. Irgendwie beneidenswert.

Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen beobachtete Erren das Schauspiel noch eine Weile, bis sein Blick auf eine Jolle, ein sehr kleines Segelboot fiel, das einsam und verlassen am Ufer angebunden lag. Diese kannte er noch gar nicht. Der dunkelgraue Anstrich und das löchrige, vergilbte Leinensegel zeugten nicht gerade davon, dass der Halter viel Wert auf die Instandhaltung seines Gefährts legte.

Um diese Tageszeit waren die meisten kleineren Boote eigentlich auf dem Wasser unterwegs. Nur die großen Fischerboote warteten auf ihren Einsatz bis zum nächsten Morgengrauen, weil die Fische um diese Tageszeit an die Oberfläche kamen.

Erren schauderte es bei dem Gedanken an den salzigen Geschmack der getrockneten Makrelen. Im Winter aßen die Bewohner Fjelllands sehr oft und gerne getrockneten Fisch, um ihren Mineralhaushalt wieder auszugleichen. Es war eigentlich nicht gewöhnlich für Pferde, sich an etwas anderem als pflanzlicher Nahrung zu bedienen, aber auch er selbst hatte in Skjell im Winter manchmal Trockenfleisch gegessen, um bei Kräften zu bleiben. Manchmal mussten für das Überleben eben Grenzen überschritten werden. Auch, wenn es im Grunde von der Natur nicht so vorgesehen war.

Aber Fisch konnte Erren absolut nicht ausstehen. Ihm wurde schlecht beim bloßen Gedanken an den Geruch. Glänzendes Fell hin oder her - man musste wirklich nicht alles essen, was essbar war.

Ein weiterer Grund, warum er sich hier nicht unbedingt zuhause fühlte.

Als die Fohlen sich entfernt hatten, blickte der goldene Hengst sich um. Kein Pferd war am Hafen zu sehen. Es war tatsächlich beinahe gespenstisch ruhig. Die Sonne musste wohl inzwischen eigentlich den höchsten Punkt am Himmel erreicht haben, wäre sie nicht bereits komplett von dunklen Wolken verschleiert gewesen.

Aber die verwahrloste, kleine Jolle vor seinen Nüstern ging ihm nicht aus dem Kopf. Wie konnte man nur so wenig Wert auf sein Eigentum geben? Ein wenig zögerlich prüfte Erren mit dem Huf, ob das Holz seinem Gewicht standhielt. Zumindest schien sie kein Leck zu haben. Immerhin.

Binnen eines Augenblickes fand sich der goldene Hengst mit allen vier Hufen im Inneren des Bootes wieder. Ein aufgeregter Schauer kribbelte seinen Rücken herab, als er zum Ende des Fjords blickte. Dort, wo das offene Meer lag.

Wie in Trance löste er den Seemannsknoten, der das Boot am Ufer hielt. Er würde nur ein Stück weit aufs Meer hinaus segeln. Nur mal nachsehen, was dort draußen lag. Bis zum Abend würde er zurück sein, da war er sich beinahe sicher...

Auf sanften Wellen wogend bewegte sich die kleine Jolle weiter vom Ufer fort und Sjørgren wurde immer kleiner. Als Erren schließlich das Großsegel aufspannte und die Fock ausrichtete, kam endlich Geschwindigkeit ins Spiel. Ein sanfter Wind blies in seine Segel und trieb ihn voran, fort von seinen Sorgen und fort von allem, was ihn bedrückte.

Mit neuem Mut schob er den Baum in Position, um sein Hauptsegel auszurichten und auf Kurs zu bleiben. Der Wind wurde stärker, also konnte er es sich nicht leisten, den großen Findlingen am Ausgang des Fjords zu nahe zu kommen. Wenn es so weiterging, würde er sein Vorsegel lösen müssen, um weniger Trieb zu bekommen. Er würde sonst zu schnell werden, um Hindernissen rechtzeitig auszuweichen und an ihnen zerschellen. Dann würde ihn niemand mehr retten können. Das war sein kleiner Ausflug nicht wert.

Erren - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt