Kapitel 6 - Rekrutieren nach Piratenart

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Keine Fragen stellen. Das klang gut. Fast schon zu gut, um wahr zu sein. Erren hoffte nur, dass er sich mit diesem Tukk nicht einen gewaltigen Quacksalber aufgehalst hatte, der mehr Seemannsgarn, als Wahrheiten spann.

Dieses Pony schien definitiv etwas von seinem Fach zu verstehen, aber, ob er ihm auch vertrauen konnte, das würde der goldene Hengst noch herausfinden müssen.

Die Zeit mit Till hatte ihn gelehrt, die Vertrauenswürdigkeit eines Pferdes nicht immer direkt nach dem ersten Eindruck zu beurteilen. Er war sich dennoch unsicher, ob sein Bauchgefühl ihm nicht manchmal eben doch die richtigen Signale sendete und Till vielleicht nur eine kleine Ausnahme gewesen war.

Zähneknirschend fuhren die beiden ungleichen Begleiter im Hafen von Ny Beginnelse ein. Als Tukk seine Brunhilde im Hafen vor Anker gelegt und vertäut hatte, kehrten die beiden, müde und klatschnass vom Regen, in die Mjölnir-Taverne ein.

Das Mjölnir war eine verruchte, alte Hafenkneipe, in der es kräftig nach Tabak, Alkohol, Schweiß und Urin roch. In einer Ecke trugen zwei Pferde mit Dudelsack und Tamburin ein wenig zur Klangatmosphäre bei und an einem anderen Tisch auf der gegenüberliegenden Seite pokerten ein paar Hengste um ihren Tageslohn. Ihre Gesichter waren so verhüllt in Tabakqualm, dass Erren sie im schummrigen Licht der wenigen Kerzen und Öllampen kaum erkennen konnte.

Die Bar aus schwerem Eichenholz, auf die sie nun Kurs nahmen, hatte sicher auch schon bessere Tage gesehen. Kerben und splitternde Risse zogen sich durch das über die Jahre von verschütteten Getränken imprägnierte Holz. Dabei hatte der Tresen in seinem Leben vermutlich mehr Rum gesehen, als alle Piraten der elf Weltmeere zusammen.

»Gunter, mach uns schon mal zwei!«, rief Tukk schon bevor der Barkeeper ihn überhaupt gesehen hatte. Ein großer, schwarzer Hengst mit breiter Blesse hob den Kopf, sah Tukk eintreten und nickte dann nur wissend. Er griff sich zwei Hörner aus einem Regal, legte zwei Holzscheiben mit einem Loch in der Mitte an die Bar und füllte dann die Hörner nacheinander mit Bier. Als er sie mit der Spitze nach unten in die gelochten Holzscheiben steckte, kam ein Lächeln auf seine ernsten Züge.

»Na, wen haben denn die Gezeiten heute mal wieder an Land gespült? Tukk, alter Ganove, bist du auch mal wieder im Land?«

»Ach Günni, du weißt doch«, seufzte das Wuschelpony wichtigtuerisch, »die Piraten müssen im Schach gehalten, die Prinzessinnen auf einsamen Inseln bespaßt und die Goldschätze gefunden werden.«

Gunter lachte laut, schüttelte die lange, schwarze Mähne und blickte dann zu Erren, der zurückhaltend an seinem Bier nippte und lieber erst mal der Konversation lauschen wollte.

»Was zieht der denn für ein langes Gesicht?«, fragte der dunkle Kaltblüter, doch Erren nahm keine Notiz von ihm. Tukk ergriff stattdessen das Wort, holte einen der Säcke hervor, die Erren ihm heute aus dem Piratenboot geholt hatte und ließ ihn auf den Tresen plumpsen.

»Is doch egal, mein Freund! Sein Fell ist so golden, wie das Glück, das er mir bringt!«

Dann lehnte sich Tukk über die Theke. Bedacht darauf, dass der Sack zwischen seinem Kopf und dem von Erren lag, damit der goldene Hengst nicht von seinen Lippen ablesen konnte, fuhr er mit leicht gedämpfter Stimme fort.

»Ich hab ihn heute in einer gewaltigen Seeschlacht aus den Fängen von Mordecai und seinen Schergen befreit. War ganz zittrig vor Angst, der Kleine. Vor Schreck hat er seither kein Wort verloren.«

»Hör auf zu lügen, Großmaul!«, knurrte Erren angesäuert. So ein Angeber. Es musste wirklich nicht jeder in dieser Taverne wissen, dass dieses Pony ihm den Allerwertesten gerettet hatte. Tukk schien aber offenbar anderer Meinung zu sein.

Erren - SchattenspielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt