Kapitel 2

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Endlich war die Stunde vorbei. Ich fragte meinen Sitznachbarn Christian, ob wir eine Hausaufgabe aufbekommen hatten, was er verneinte. „Danke.", entgegnete ich und verschwand durch die Tür des Klassenraumes, ehe die Lehrerin mich ansprechen konnte.

Christian war ein netter Junge. Er hatte eine Schwäche für Minigolf und für Amy. Einmal hatte er mich gefragt, ob ich ihm helfen könnte, bei ihr weiter zu kommen. Doch ich sagte ihm, dass ich selbst keine Ahnung von so etwas habe.

Als ich auf den Schulhof gelangte, sah ich, wie einige der Matcho-Jungs um Tom herumstanden, ihn herumschubsten und auslachten, das war leider nicht selten. Sie machten sich über seine Sexualität lustig, Tom war schwul. Er ging damit recht offen um, was ich sehr bewunderte, doch das machte ihn zum leichten Opfer. Jungs wie Jonas fanden es scheinbar lustig, ihn dafür zu mobben.

„Ey, was soll das?" rief ich angespannt und ging auf die Jungs zu. „Ich will die Frage nicht wiederholen.", warnte ich wütend. „Was soll das?", wiederholte ich die Frage dann doch nochmal lauter. „Kannst du dich nicht allein verteidigen?", richtete sich Jonas an Tom. „Klar kann ich das, aber Support ist auch mal was Schönes.", entgegnete dieser. Ich half ihm hoch.

Die Matcho Gang verzog sich in ihre Ecke, in der sie immer standen.

Das war ein solcher Fall, in dem ich explodiert bin. In diesem war es nicht so stark, aber es machte mich aggressiv, wenn Menschen gemobbt wurden, dann kann ich nicht nur zusehen, das konnte ich noch nie.

„Danke", sagte Tom. „Kein Problem.", entgegnete ich.

Als ich gerade zu meinem Lieblingsbaum gehen wollte, berührte mich jemand am Rücken. Durch meine Lederjacke spürte ich es nur sehr leicht. Ich drehte mich um und vor mir stand Ria. Sie trug ein hellblaues Kleid mit kleinen weißen Blümchen. Ihre langen blonden Haare fielen über ihre Schultern und auf ihrem Gesicht entdeckte ich dieses einzigartige, wunderschöne Lächeln.

Ich traute meinen Augen kaum. „Ich fand es echt großartig, was du gemacht hast. Dass du Tom vor den Idioten verteidigt hast. Ich hätte mich das nicht getraut.", sagte sie. „Danke. Ich konnte einfach nicht zulassen, dass sie weiter auf ihm rumhacken.", entgegnete ich nervös. Ich war mit der Situation etwas überfordert, da ich noch nie zuvor mit Ria gesprochen hatte. Es war ein schönes Gefühl, ein wirklich schönes. Dann verabschiedete sie sich und ging zurück zu ihren Freundinnen.

Als ich Schulschluss hatte, ging ich zum Parkplatz. Mein rotes Motorrad, sah mit Abstand am besten aus, ohne angeben zu wollen. Ich stieg auf und wollte gerade den Motor starten, als mein Blick auf Ria fiel. Sie stand am Bürgersteig und telefonierte mit enttäuschtem Gesichtsausdruck. Als sie auflegte und ihr Handy wegsteckte, winkte ich sie zu mir. Sie kam, womit ich nicht unbedingt gerechnet hätte.

„Alles in Ordnung?", fragte ich. „Mein Kunstkurs fällt aus, und mich kann niemand abholen...", erklärte sie. Sie erzählte mir auch, dass sie in einem Dorf lebte, dass recht weit weg von der Schule war und dort nie Busse fahren, weshalb sie immer mit dem Auto zur Schule gebracht - und auch wieder abgeholt wird. „Ich könnte dich mitnehmen...", schlug ich vor. Ein Grinsen machte sich auf ihrem Gesicht breit. „Wirklich? Das würdest du machen?" „Na klar."

Kurz darauf stellten wir fest, dass sie keinen Helm hatte. „Lass mich in Ruhe!", hörten wir ein rothaariges Mädchen in der Nähe schreien. Sie war nicht von unserer Schule. Sie stand mit Jonas vor seinem hässlichen blauen Motorrad, dass man aus zehn Kilometern Entfernung schrecklich knattern hören konnte. Es war vermutlich eins der Mädchen, dass ihn durchschaut hatte. Sie kehrte ihm den Rücken und kam auf uns zu. „Hier, den kannst du haben, ich brauch ihn nicht, ich geh lieber zu Fuß, als mit dem da zu fahren!", sagte sie zu Ria und drückte ihr den Helm in die Hand. „Danke", entgegnete sie etwas irritiert. Das wütende Mädchen ging schnellen Schrittes weiter.

„Dann hätte ich jetzt wohl einen Helm", stellte Ria fest und lachte. Ich musste auch lachen. Sie setzte ihn auf. „Passt doch perfekt", bemerkte ich und zog ebenfalls meinen Helm an. Dann stieg ich auf, Ria tat es mir gleich. Ich startete den Motor und der unverwechselbare Klang des Motorrads ertönte. Ria hatte den Weg genau beschrieben. Ich fuhr los.

Ungefähr vierzig Minuten dauerte die Fahrt. Vor einem schönen Haus mit der Hausnummer 10 blieb ich stehen. Ria stieg ab und ich glitt nach ihr vom Sitz. „Danke.", sagte Ria und lächelte. „Gern geschehen", entgegnete ich. „Wir sehen uns morgen", verabschiedete sie sich und umarmte mich dabei. Ich genoss diese Umarmung sehr. „Bis morgen", verabschiedete auch ich mich. Dann stieg ich wieder auf. Ich winkte nochmal. Dann fuhr ich los.

Die ganze Fahrt spürte ich noch ihre Umarmung. Ich dachte an ihr wunderschönes Lächeln. Scheinbar wusste sie doch ein bisschen, wer ich war.


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