Kapitel 6

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MIRABEL

Als ich am nächsten Morgen zur Schule lief, hielt ich nach Lucía Ausschau, die ich im Dorf aber nicht entdecken konnte. Hoffentlich kam sie heute überhaupt zur Schule, ich musste dringend mit ihr reden und mich bei ihr entschuldigen! Ungeduldig spielte ich an einem Zipfel meines Kleides herum und starrte angestrengt auf das Tor der Schule. Als Lucía kurz vor dem ersten Klingeln endlich auf dem Schulhof erschien, wirkte sie genauso schüchtern und distanziert wie immer. Ich ging sofort auf sie zu, doch blieb einige Meter vor ihr unsicher stehen. Sie sah auf und blieb dann ebenfalls stehen. Ich rang nervös meine Hände und sah sie etwas verlegen an.
"Ich... wollte mich wegen gestern entschuldigen. Ich war zu neugierig und ich hätte dich nicht so bedrängen sollen. Es tut mir wirklich leid, ehrlich. Kannst du mir noch einmal verzeihen? Können wir trotzdem noch Freunde sein?", sagte ich, bevor sie etwas sagen konnte. Sie lächelte mich verlegen an.
"Das ist nett von dir zu sagen. Natürlich verzeihe ich dir und wir können gerne Freunde bleiben, wenn du das möchtest. Ich muss mich aber auch bei dir entschuldigen. Ich hätte dich nicht so anschreien dürfen und das tut mir sehr leid. Ich... habe nur selber meine Probleme mit Geheimnissen und es wäre mir recht, wenn wir das Thema auf sich beruhen lassen könnten. Kannst du das verstehen und mir mein Verhalten gestern verzeihen?", erwiderte sie, ich nickte und umarmte sie.
"Natürlich! Und keine Sorge, ich sage kein Wort mehr über irgendein Geheimnis, wenn dich das besser fühlen lässt", stimmte ich schnell zu und harkte mich dann bei ihr unter. "Wollen wir reingehen?" Sie nickte.
"Ja, gerne. Ich will nicht zu spät zu Spanisch kommen", antwortete sie, also gingen wir rein.
"Darf ich dich was fragen? Hast du rausgefunden, was deine Mutter gestern mit meiner Familie gemeint hat? Warum sie uns nicht vertrauen kann?", fragte ich neugierig nach, Lucía seufzte und schüttelte den Kopf.
"Nein, leider hab ich nichts rausgefunden. Ich habe sie auch noch einmal gefragt, weil ich das auch seltsam fand, aber sie hat mich nur weggeschickt. Was auch immer da war, es muss schlimm gewesen sein", antwortete sie mir.
"Tja, das ist wirklich seltsam. Soll ich mal meine Abuela fragen? Vielleicht weiß sie ja, was vorgefallen ist", gab ich zu, Lucía sah mich an.
"Das würdest du wirklich tun?", fragte sie überrascht nach, ich nickte.
"Ja, natürlich", stimmte ich zu. "Wir können nach der Schule ja zu mir nach Hause gehen. Wir könnten bei mir essen und dann meine Abuela fragen."
"Ja, wieso nicht? Meine Mutter ist heute Mittag sowieso nicht zuhause, also stört es sie auch nicht. Danke, Mirabel. Ich freue mich", erwiderte Lucía und lächelte mich an. "Du bist eine tolle Freundin."
"Danke", sagte ich nur knapp, während sie stehen blieb und sich unsicher auf die Lippe biss.
"Mirabel... Kann ich dir vertrauen?", fragte sie schließlich leise und sah unsicher zu mir auf, weil sie einige Zentimeter kleiner war als ich.
"Ja, natürlich. Wieso denn auch nicht? Was ist los?", fragte ich verwirrt nach.
"Weißt du... wenn du mir versprichst, niemandem etwas zu sagen, könnte ich dir mein Geheimnis vielleicht zeigen. Aber du darfst es wirklich keinem erzählen, hörst du? Es darf keiner wissen, aber ich bräuchte wirklich jemanden, mit dem ich darüber reden kann", antwortete sie, ich nickte. Das war wirklich ein großer Vertrauensbeweis! Ich hätte nicht gedacht, dass sie mir so schnell so sehr vertrauen würde.
"Natürlich, gerne. Das hilft dir bestimmt und meine Lippen sind versiegelt, versprochen", beeilte ich mich zu sagen. Sie lächelte mich an.
"Gracias, das bedeutet mir viel. Dann lass uns jetzt erstmal zu Spanisch gehen, ja? Und nach der Schule zeige ich dir was", erwiderte sie und nahm meine Hand.
Nach dem Unterricht bat ich Camilo schon einmal zurück nach Hause zu gehen und unserer Familie von unserem Gast zu erzählen. Er stimmte zu und lief zurück zu Casita, während Lucía mich in eine dunkle Ecke hinter der Schule zog. Sie sah mich nervös und aufgeregt an, aber ich musste zugeben, dass auch ich dieses Gefühl teilte. Ich war wirklich gespannt, was sie mir zeigen würde und konnte es kaum erwarten, ihr Geheimnis zu erfahren.
"Und du sagst es wirklich keinem?", fragte Lucía noch einmal unsicher nach, ich nickte.
"Natürlich, ganz fest versprochen!", beeilte ich mich zu sagen. "Von mir erfährt keiner was, darauf kannst du wetten!" Sie lächelte mich an, bevor sie sich die Handschuhe von den Händen zog, die sie auch heute wieder trug. Sie legte sie auf einem Stein neben uns ab und holte tief Luft.
"Ok, es geht los", murmelte sie und streckte ihre Hand aus. Sie bewegte sie leichtfertig in der Luft, worauf einige Schneeflocken aus ihrer Hand rieselten. Sie fielen auf den Boden und schmolzen dort, aber mit einigen flinken Bewegungen hatte Lucía bereits einen kleinen Schneehaufen erstellt, der mir bis zur Hüfte ging. Obwohl ich jeden Tag von Magie umgeben war, war ich erstaunt darüber, dass es auch Leute außerhalb meiner Familie gab, die Magie besaßen. Ungläubig und überrascht sah ich Lucía an. Da fiel mir etwas ein. Die leuchtende Tür in Casita und meine Theorie. Jetzt mussten wir das unbedingt ausprobieren!
"Das ist... wow", sagte ich beeindruckt und sah Lucía an. "Du musst mit mir nach Hause kommen. Ich habe da eine Vermutung und die müssen wir überprüfen!" Verwirrt sah Lucía mich an.
"Vermutung? Was für eine Vermutung?", fragte sie verwirrt nach.
"Eine Vermutung zu deiner Gabe!", antwortete ich nur und nahm ihre Hand. "Du kannst wundervolle Sachen erschaffen und ich bin mir sehr sicher, dass du eine Tür bei uns im Haus hast! Das würde bedeuten, dass du zu unserer Familie gehörst! Komm schon, wir müssen das ausprobieren!" Ich zog Lucía aufgeregt in Richtung Haus, sie folgte mir nur verwirrt. Hoffentlich hatte ich mit meiner Vermutung recht und sie gehörte zur Familie! Unter Umständen war sie ja doch tío Brunos Tochter! Ich wusste zwar nicht, wie genau das sein konnte, aber wir mussten es ausprobieren. Wie cool wäre es denn, noch eine Cousine zu haben? Und es würde ihrer Mutter und ihr sicher guttun, endlich Gewissheit zu haben! Hoffentlich klappte das alles in Casita auch!

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Hat Mirabel recht? Wird Lucía die Tür öffnen können? Ist sie Brunos Tochter? Und was wird wohl Maria zu der ganzen Sache sagen? Lasst gerne Feedback und Anregungen dazu da!🥰

Cassy

Lucía - Suche nach der Wahrheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt