Kapitel 8

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MIRABEL

Am nächsten Morgen erzählte ich Camilo auf dem Schulweg aufgeregt von allem, was ich gestern rausgefunden hatte. Ich erzählte ihm von Lucía, doch er unterbrach mich schließlich.
"Ok, uno momento, por favor", wandte er verwirrt ein. "Du willst mir also sagen, dass Lucía - die seltsame, schüchterne Lucía - unsere Cousine und wahrscheinlich tío Brunos Tochter ist? Aber wie?" Ich zuckte die Schultern.
"Ich weiß es auch nicht, aber es ist so! Ich meine, überleg doch mal! Lucía ist genauso alt wie wir und die Tür ist aufgetaucht, als wir fünf waren! Und sie hat magische Kräfte, die sie verstecken wollte! Und sie hat die Tür öffnen können, was beweist, dass sie zur Familie gehören muss! Deswegen muss sie tío Brunos Tochter sein, tía Pepa und Mamá kommen ja definitiv nicht in Frage!", erklärte ich aufgeregt. "Also wer außer tío Bruno soll es sonst gewesen sein?" Camilo wog bedächtig den Kopf und nickte dann.
"Stimmt, da könntest du recht haben. Was hat Lucía gesagt?", gab er mir recht.
"Sie meinte, dass es sein könnte und wollte mit ihrer Mutter reden, aber ich bin mir nicht sicher, ob da etwas rausgekommen ist. Wir werden es heute erfahren", antwortete ich ihm. "Mamá und Abuela wussten zumindest nicht, dass Maria oft bei uns gewesen wäre - oder überhaupt mal bei uns war."
"Das ist schon komisch. Sie hätten es doch mitbekommen, wenn tío Bruno und Maria ein Paar gewesen wären, oder?", wandte er unsicher ein.
"Ich denke schon, aber wie gesagt, ich weiß nicht, was genau passiert ist", erwiderte ich unsicher und zuckte die Schultern. "Und fragen können wir ja auch nicht."
"Nein, und das werden wir auch nicht. Ich will nämlich auch nicht über tío Bruno reden, er ist echt gruselig", stimmte er mir schnell zu, womit das Thema für ihn erledigt zu sein schien. Ich wusste nicht, was für ein Problem er mit tío Bruno hatte, aber ich wollte auch nicht nachfragen und Camilo aufregen. Ich wollte erst einmal mit Lucía reden. Vielleicht hatte sie ja etwas bei Maria rausgefunden. Als wir auf den Schulhof kamen, konnte ich Lucía nirgends sehen, aber in den letzten Tagen war sie ohnehin immer später als ich gekommen. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sie kommen würde. Ungeduldig wartete ich auf meine Cousine und Freundin, aber selbst als es klingelte, war sie noch nicht da. Das war wirklich komisch, sie kam nie zu spät. Lucía war zu einer Señora perfecta erzogen worden, sie würde niemals zu spät kommen. Erst recht nicht zur Schule! Ich sah mich unsicher um, als die Lehrer uns ins Klassenzimmer scheuchten. Wo war Lucía nur? Ich sah meine Lehrerin an.
"Entschuldigung, Señora, aber wo ist Lucía? Hat sie sich krank gemeldet?", fragte ich besorgt nach.
"Das weiß ich leider nicht, Mirabel, ich habe nichts von ihr gehört. Vielleicht hat sie auch nur verschlafen, das kann den Besten ja mal passieren. Sie kommt bestimmt bald", antwortete sie mir unsicher, ich nickte nur. Das war wirklich seltsam. Ich setzte mich auf meinen Stuhl und sah nachdenklich auf den leeren Platz neben mir. Wo war Lucía nur?

Nach der Schule bat ich Camilo, alleine nach Hause zu gehen, weil ich erst nach Lucía sehen wollte. Sie war den ganzen Tag über nicht aufgetaucht und keiner wusste, wo sie war. Ich ging zu ihrem Haus und klopfte gegen die Tür. Maria öffnete mir die Tür nach einigen Sekunden und funkelte mich wütend an.
"Was willst du hier?", fauchte sie mich an. "Hast du nicht schon genug angestellt?!" Was sollte das denn heißen? Was sollte ich denn gemacht haben?
"Ich... wollte nur nach Lucía fragen. Sie war heute nicht in der Schule und wir haben uns alle Sorgen gemacht", antwortete ich verwirrt, wobei ich ihren Kommentar erstmal ignorierte.
"Ich habe keine Ahnung, wo sie ist! Seit gestern Abend ist sie nicht mehr nach Hause gekommen! Und jetzt verschwinde!", fuhr sie mich an. "Du hast meiner Tochter schon genug Flausen in den Kopf gesetzt! Nur wegen dir denkt sie, dass ihre Kraft etwas Gutes ist!" Ich wollte etwas erwidern, aber Maria knallte mir einfach die Tür vor der Nase zu, worauf ich verdutzt vor der Tür stehen blieb. Lucía war verschwunden und ihrer Mutter schien das beinahe schon egal zu sein. Wie konnte das sein? Ich verstand die Welt nicht mehr. Wieso interessierte Maria sich nicht für das Wohlergehen ihrer Tochter? Lucía könnte alles Mögliche passiert sein! Ich musste sie dringend finden! Ich raffte mich auf und drehte mich um, um zurück ins Dorf zu laufen. Wo könnte Lucía hingegangen sein? Ich kannte sie nicht gut genug, um wichtige Plätze von ihr zu kennen und um ehrlich zu sein, wusste ich nicht so wirklich, wo ich anfangen sollte zu suchen. Vielleicht konnte ich Dolores fragen. Sie hörte immer alles und wusste unter Umständen, wo Lucía war. Also ging ich so schnell es ging nach Hause, wo Dolores gerade im Garten bei den Blumen half.
"Dolores? Weißt du, wo Lucía ist? Kannst du sie hören?", fragte ich sie, worauf meine große Schwester Isabela verwirrt aufsah.
"Lucía? Warum interessiert die dich?", fragte sie verwirrt nach.
"Wir sind Freunde und sie ist seit heute Morgen verschwunden. Ich will sie finden, bevor ihr etwas passiert", antwortete ich ihr und sah Dolores an. "Hast du sie zufällig gehört?" Meine ältere Cousine schüttelte den Kopf.
"Nein, tut mir leid. Aber ich hab am Berg Eis knacken gehört, auch, wenn ich nicht weiß, wo das herkommen soll. Mamá war jedenfalls nicht schlecht drauf", antwortete sie und zuckte die Schultern. Eis knacken? Das könnte tatsächlich Lucía gewesen sein!
"Danke, Dolores! Du weißt gar nicht, wie sehr du mir damit hilfst!", rief ich und drehte mich um, um in Richtung des Berges zu rennen. So schnell ich konnte, lief ich in den Wald und blieb am Fuß des Berges staunend stehen. Ein kleines Schloss aus Eis war an den Berg gebaut worden, um das Schloss herum waren mehrere eisige Seen. Hatte Lucía das gebaut? Unsicher ging ich auf die Tür zu und öffnete die Tür. Als ich eintrat, sah ich Lucía auf einer Treppe aus Eis sitzen. Sie sah sehr niedergeschlagen aus und blickte verwundert hoch, als ich reinkam.
"Mirabel? Was machst du hier? Und wie hast du mich gefunden?", fragte sie verwirrt nach.
"Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, weil du nicht in der Schule warst. Dolores meinte, dass sie hier Eis knacken gehört hat und da dachte ich, dass du hier sein musst", antwortete ich und setzte mich zu ihr. "Was machst du hier?" Sie seufzte.
"Meine Mutter und ich hatten einen Streit. Ich wollte sie nach Bruno fragen, aber da ist sie ausgerastet und meinte, dass ich nie gewollt war und ich genauso ein Fluch wie Bruno sei. Da bin ich abgehauen und weil ich nicht unter freiem Himmel schlafen wollte, hab ich mir ein kleines Häuschen gebaut", erklärte sie. "Ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte." Ich nahm ihre Hand, drückte sie und lächelte Lucía an.
"Du kommst mit zu uns. Da hast du ja ein Zimmer, da kannst du bleiben. Und den Rest klären wir dann, versprochen. Ich helfe dir, dafür sind Freunde ja da", erwiderte ich, sie lächelte mich an und umarmte mich.
"Danke! Was würde ich nur ohne dich tun? Du bist die beste Freundin der Welt!"

Lucía - Suche nach der Wahrheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt