Kapitel 9

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LUCÍA

Auch, wenn ich immer noch traurig über Mamás Verhalten war, ließ ich mich von Mirabel zu Casita bringen. Sie würde mir helfen, da war ich mir sicher. Die Frage war nur, wie wir das ihrer Familie (oder meiner Familie?) das erklären sollten, ohne über Bruno zu reden und alle aufzuregen. Das wollte ich nämlich überhaupt nicht, sonst verlor ich das Zuhause auch noch und musste wieder zurück in den Wald. So schlimm wäre das zwar nicht, ich mochte mein kleines Schloss schließlich, aber ewig allein im Wald zu wohnen, war mir dennoch etwas unheimlich. Als wir bei Casita ankamen, war die ganze Familie draußen im Garten, wo sich alle um einige Blumen kümmerten, die Isabela so graziös wie immer erschuf. Als wir auf das Grundstück kamen, sahen alle zu uns auf.
"Du hast Lucía gefunden", sagte Camilo zu Mirabel, der mit einer Arepa in der Hand neben seiner Mutter stand.
"Ja, und ich glaube, dass wir sie hier wohnen lassen sollten", antwortete Mirabel ihm und erklärte ihrer Familie dann, was sie in den letzten Tagen mit mir zusammen herausgefunden hatte. Den Teil mit Bruno ließ sie dabei weg, um niemanden zu verärgern, aber Alma sah mich verwirrt an.
"Du hast magische Kräfte, Lucía?", fragte sie nach, ich nickte und hielt meine Hand nach oben, damit einige Schneeflocken aufsteigen konnten. "Hast du sie von Geburt an?"
"Nein, erst seitdem ich fünf bin", antwortete ich ihr. "Und ich hab auch eine Tür in Casita, wie Mirabel gerade gesagt hat." Sie nickte.
"Ich kann es mir zwar nicht erklären, warum das so ist, aber wenn deine Lage so ernst ist, kannst du natürlich gerne hier bleiben", bot sie an.
"Maria ist doch deine Mutter, oder?", fragte Félix nach, ich nickte. "Und wer ist dein Vater?"
"Ich weiß es nicht, Mamá redet mit mir nicht darüber", antwortete ich unsicher und zuckte die Schultern. "Ich kann mir auch nicht erklären, warum ich hier eine Tür habe." Alma schüttelte den Kopf.
"Das ist auch erstmal unwichtig. Jetzt komm erstmal rein und beruhige dich, Julieta soll dir eine Arepa bringen. Und ich rede mit deiner Mutter, ja? Ich werde sie bitten herzukommen", wandte sie ein.
"Ich glaube nicht, dass sie kommen wird. Sie ist weder auf mich noch auf eure Familie gut zu sprechen. Noch so eine Sache, die ich mir nicht erklären kann", konterte ich und zuckte die Schultern. "Aber einen Versuch ist es wert. Vielleicht redet sie ja mit dir."
"Wir werden es versuchen", sagte Alma und sah ihre Enkel an.
"Camilo, Mirabel, ihr zeigt Lucía bitte das Haus. Und Julieta, du bringst ihr dann bitte etwas zu essen", bat sie, ihre Familie nickte, während Mirabel und Camilo mich in die Casita zogen. Sie zeigten mir den Rest des Hauses außer mein Zimmer, bevor sie mich in die Küche brachten, wo Julieta mir einen Kaffee und einen Teller voller Arepas hinstellte.
"Lass es dir schmecken, Lucía. Wir kriegen das wieder hin, versprochen", sagte sie und lächelte mich an, bevor sie mir eine Hand auf die Schulter legte und diese sanft drückte.
"Danke, das hoffe ich auch", erwiderte ich dankbar, worauf sie wieder zurück nach draußen ging. Mirabel und Camilo setzten sich zu mir, als ich zu essen begann. Camilo schnappte sich gleich drei Arepas, was ihm einen Klaps auf die Hand von Mirabel einbrachte.
"Au! Was soll das denn?", fuhr er sie an.
"Du sollst nicht immer allen etwas wegessen! Das sind Lucías Arepas!", mahnte Mirabel und sah mich an. "Schmecken dir die Arepas?" Ich nickte.
"Ja. Deine Mutter ist wirklich die beste Köchin der Stadt", stimmte ich schnell zu. Camilo nickte und biss herzhaft in das Gebäckstück.
"Auf jeden Fall!", nuschelte er mit vollem Mund. Ich musste lachen. Dieser Junge war verfressener als alles, was ich bisher gesehen hatte!

Abends warf ich mich unruhig in meinem Bett in Casita herum. Meine Mutter war wie erwartet nicht gekommen und hatte auch nicht mit Alma geredet, also hatte sie mir angeboten, erstmal in Casita zu wohnen. So wie es aussah, war Mamá so sauer auf mich, dass sie mich komplett abgeschrieben hatte. Jetzt hatte ich weder eine Mutter noch einen Vater, toll! Nach zwei Stunden, in denen ich nur schlaflos im Bett gelegen hatte, seufzte ich schließlich und stand auf. Das alles brachte nichts, ich konnte ohnehin nicht schlafen. Dann würde ich eben noch eine kleine Runde spazieren gehen. Ich schlüpfte in meine Schuhe und legte mir ein dünnes Tuch um die Schultern, das Julieta mir vorhin geliehen hatte, da es kalt draußen geworden war. Ich trat hinauf auf die kleine Galerie. Draußen war es kühl und dunkel, während einige Grillen leise zirpten. Ich seufzte. Die frische Luft tat gut und ich fühlte mich sofort etwas besser und ruhiger. Mit einem sanften Lächeln fuhr ich über das hölzerne Geländer von Casita, die leise mit den Ziegeln klapperte. Ich musste lächeln. Anscheinend hatte ich Casita gekitzelt. Ich wollte gerade zur Treppe gehen, als ich ein leises Quiecken hörte. Ich drehte mich um und entdeckte eine kleine Ratte mit einer Arepa im Maul. Sie kletterte an der Wand hoch und verschwand dann hinter einem großen Gemälde. Wie konnte das sein? Verwirrt und neugierig ging ich ebenfalls zu diesem Bild und stieß es vorsichtig an. Es wackelte leicht, aber die Ratte war nicht zu sehen. Neugierig sah ich hinter das Bild und entdeckte dort ein dunkles Loch. Dahinter war ein dunkler, verstaubter Gang. War die Ratte hierher gelaufen? Und wo führte dieser Gang hin? Neugierig kletterte ich in den Gang und lief über die quietschenden Dielen. Meine Augen gewöhnten sich nach einiger Zeit an das schummrige Licht und dadurch konnte ich das große Loch im Boden gerade noch rechtzeitig bemerken. Ich stieg vorsichtig darüber, weil ich nicht ganz sehen konnte, wie tief es hinunter ging. Riskieren wollte ich aber nichts, also kletterte ich vorsichtig über das Loch und seufzte erleichtert, als ich sicher die andere Seite erreicht hatte. Ich ging vorsichtig weiter, bis der Gang plötzlich endete. Direkt vor mir war eine alte Tür, durch deren Türspalt warmes Kerzenlicht schimmerte. Was für ein Zimmer war das? Wohnte hier jemand? Unsicher griff ich nach dem Türknauf. Ich musste es wissen. Ich musste wissen, was das hier war. Also öffnete ich die Tür und blieb dann erschrocken stehen.

Lucía - Suche nach der Wahrheit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt