Trainerin

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Charlys Sicht

Es ist Montag und ich bin auf dem Weg zum Reiterhof. Ella will später noch nach kommen, weil sie noch Hausaufgaben machen muss, die sie gestern nicht mehr geschafft hat, weil sie ja den ganzen Tag unterwegs war. Strahlend kam sie gestern nach Hause und natürlich musste sie mir alles ganz genau erzählen. Das Gespräch endete so, dass wir beide quietschend in ihrem Zimmer standen und glücklich lachten.

Gestern kam auch Penny aus Spanien wieder. Wir kennen uns schon seit dem Kindergarten und haben gemeinsam schon viele Leute, unter anderem auch unsere Lehrer, Eltern und Geschwister, zum verzweifeln gebracht. Obwohl Penny das komplette Gegenteil von mir ist, verstehen wir uns super. Penny ist letztes Schuljahr gerade so noch versetzt worden, und ich verließ die zehnte Klasse als Jahrgangsbeste - was bei meinem Jahrgang nicht gerade schwer ist, also ich bin KEIN Streber (ich hatte einen Durchschnitt von 1,7), aber ich kann ja nichts dafür, wenn die anderen alle nichts für Schule übrig haben und bei Arbeiten nichts hinschreiben.

Ich biege gerade in die Einfahrt des Hofes, als Frau Jacob gerade eine schöne Appaloosa Stute aus dem Hänger führt. Ich lehne mein Rad an die Stallwand und gehe auf die beiden, drei - Marvin steht auch mit da - zu und begrüße sie. "Charly, schön, dass du da bist. Ich wollte dich eh noch was fragen." Und zu Marvin sagt sie: "Bring sie doch schon mal in die Box." Marvin nickt nur und geht dann mit der Stute in Richtung Stall. "Ich wusste ja gar nicht, dass Sie sich ein neues Pferd gekauft haben." "Wie kommst du denn darauf, dass es für mich ist?", verwundert sieht sie mich an. "Naja, Marvin bringt sie in den Privatstall und nicht zu den Schulpferden." "Ja, das ist wahr. Aber sie ist nicht für mich, sondern für Ben." "Für Ben? Kann er denn überhaupt reiten? " "Natürlich kann er reiten. Schließlich ist er mein Neffe. Er war früher jede Ferien hier und hat regelmäßig Reitunterricht von mir bekommen. Das ist zwar schon eine Weile her, aber ein wenig kann er es noch." "Na dann. Was wollten Sie denn noch von mir?" "Es ist wegen dem Pferd. Wie schon gesagt, kann Ben jetzt nicht unbedingt soo gut reiten, aber das Pferd ist noch mitten in der Ausbildung und weder ich noch Marvin haben die Zeit das Pferd zu trainieren. Deshalb wollte ich dich fragen, ob du Lust hast Calypso ab und zu zu reiten." Natürlich ist es verlockend ein so tolles Pferd reiten zu dürfen, und unter anderem Umständen -also, wenn es nicht Bens Pferd wäre - dann hätte ich ohne zu zögern, ja gesagt. Nach langem hin und her sagte ich auch ja. "Ich denke, dass bekomme ich hin. Ein, Zweimal die Woche werde ich sie reiten können. Aber ernsthaft: Calypso? So wie die aus "Fluch der Karibik"?" "Äh, kann sein. Ich kenne kein "Fluch der Karibik". Aber ich freue mich, dass du es machst. Ich hätte mir kein besseren Trainer vorstellen können. Und wo wir einmal dabei sind. Kannst du dann vielleicht auch gleich Ben Unterricht geben. Weil du dann einmal das Pferd kennst und ihm Tipps geben kannst." WTF?! Ich soll Ben trainieren?! "Äh. Also das muss ich mir nochmal überlegen. Ich meine, sie wissen ja, dass das Verhältnis zwischen uns nicht gerade so das beste ist." Verwundert sieht Frau Jacob mich an. "Ach nein? Ich dachte, ihr seit Freunde. Weil Ben immer so viel von dir erzählt." Jetzt bin ich diejenige, die verwundert guckt. "Er erzählt viel von mir? Das ist ja..." Naja das sag ich jetzt mal nicht. - An alle, die es interessiert, ich wollte "Cool" sagen, aber wenn das irgendjemand mitbekommen hätte, dann hätten die wieder sonst was gedacht.
"Naja, also das mit Ben muss ich mir nochmal überlegen. Ich sage Ihnen nachher Bescheid, okay?" "Ja klar. Lass dir Zeit. Du kannst jetzt übrigens wieder auf den Geländeparcour." "Ja. Mach ich gleich mal. Wir müssen eh mal wieder richtig trainieren." Der Geländeparcour wurde im Sommer umgebaut, weshalb er für fünf Wochen gesperrt wurde. Da ich jedoch in vier Wochen schon ein Turnier habe, muss ich dringend wieder anfangen zu trainieren.
Ich mache mich gerade auf den Weg zur Koppel, als Frau Jacob mich noch fragt, wo Ella ist. Lachend antworte ich: "Die sitzt verliebt vor ihrem Schreibtisch und versucht sich an ihren Hausaufgaben. Obwohl ich bezweifle, dass sie die hinbekommt, wenn sie die ganze Zeit nur auf ihr Handy starrt und auf eine Nachricht von ihrem Lover wartet." Den letzten Satz sage ich zwar eher zu mir, aber trotzdem noch so laut, dass Ben, der gerade vorbeikommt, ihn verstehen konnte. "Merlin oder was?"
"Wenn es dich wirklich interessiert, dann frag lieber Ella selbst, wenn sie nachher kommt. Ich will hier ja nichts falsches sagen." Ich gehe auf die Koppel und hole Beauty. Nachdem ich sie geputzt und gesattelt habe, mache ich mich auf den Weg in Richtung Geländeparcour. Er ist etwas abseits, hinter den ganzen Koppeln, weshalb ich gute zehn Minuten bis dorthin brauche. Als Beauty merkt, dass es ins Gelände geht, schaut die neugierig hin und her und ich lasse sie die neuen Hindernisse begutachten. Nach dem Abreiten, nehme ich ein paar kleine Baumstämme zum einspringen, doch schon bald wage ich mich an die höheren Sprünge. Beauty und ich sind einfach ein spitzen Team, vorallem was das Springen anbelangt. Und uns beiden macht es immer riesen Spaß! Beim nächsten Turnier reite ich mit Beauty mein erstes
L- Gelände (E - Einfach: das sind noch ziemlich niedrige Anforderungen und das reiten die jüngeren;
A - Anfänger: das ist das nächst höhere, da springt man ungefähr ein Meter +/- 10 cm; dann kommt L (da springt man bis 1,20 m; dann M und zum Schluss S: schwere Klasse)
Aber ich bin da ziemlich zuversichtlich, da wir beim Training auch keine Schwierigkeiten hatten. Nach einer Stunde intensivem Training, steige ich ab und nehme Beauty den Sattel ab. Ich hänge ihn über den Zaun und gehe wieder zu meiner Schimmelstute zurück. Elegant (ich hoffe zumindest, dass es elegant aussieht) schwinge ich mich auf ihren Rücken und nehme die Zügel auf. Ich treibe sie in Richtung Wassergraben und kurz darauf plantscht sie zufrieden darin rum. Lachend sitze ich auf ihr und passe auf, dass sie sich nicht hinlegt - was sie übrigens schon gemacht hat. Nach ein paar Minuten treibe ich sie in einen ruhigen Galopp und kaum haben wir das Ende des Grabens erreicht, jagen wir über die Wiese. Es ist so toll ohne Sattel zu reizen, es fühlt sich so frei an und außerdem stärkt es die Verbindung zwischen Reiter und Pferd.

Ich reite noch ein paar Minuten am langen Zügel, damit sich Beauty nicht unterkühlt, da sie sehr geschwitzt hat. Danach lege ich den Sattel wieder auf ihren Rücken und gehe mit meiner Stute zurück zum Hof. Als wir an der Koppel neben dem Stall ankommen, bleibe ich erstaunt stehen. Calypso, das neue Pferd steht da, was nicht ungewöhnlich ist, da alle neuen Pferde auf diese Koppel gestellt werden, damit sie sich an alles gewöhnen können. Doch neben ihr steht Ben und streichelt sie. Er sieht richtig glücklich aus. Wahrscheinlich habe ich ihn falsch eingeschätzt. Er hat doch ein Händchen für Pferde, genau wie seine Tante.
"Charly!", Ella steht mitten auf dem Hof und winkt mir zu. Ich werfe einen letzten Blick auf Ben und sein Pferd, welche durch Ella auf mich aufmerksam geworden sind. Ben sieht mich lachend an und ich Lächel leicht zurück. Ella fragt mich, wie das neue Pferd heißt und wem es gehört. Nachdem ich ihr alles erzählt habe - auch das mit dem Training, also, dass ich Calypso trainieren soll und eventuell auch Ben -, schaut sie mich überrascht an. Um schnell das Thema zu wechseln, weil sie mich sonst gefragt hätte, ob ich ihn trainieren will, sage ich: "Übrigens ist der Geländeplatz jetzt wieder frei, der ist echt gut geworden." Zu meinem Glück, fragt Ella nicht weiter nach und sagt nur,dass sie jetzt Fireflight von der Koppel holt. Als sie an Ben vorbeigeht, wirft sie ihm einen undefinierbaren Blick zu, welcher aussagt, dass sie wütend, glücklich, neidisch und alles ist. Ich grinse in mich hinein und wende mich dann wieder meinem Pferd zu. Nachdem ich sie wieder auf die Koppel geschafft habe, geselle ich mich zu Ben an die Koppel. "Wie findest du sie?" Ben braucht einen Moment bis er mir antwortet. "Sie ist toll. Ich hoffe, dass Tante Lisa einen guten Trainer für sie findet. Sie selbst und Marvin haben schließlich zu wenig Zeit, um sie zu reiten." "Ja ich weiß. Und falls es dich interessiert, sie hat einen Trainer gefunden. Oder besser gesagt, eine Trainerin. Aber ich muss jetzt los." Schwungvoll drehe ich mich um, etwas zu schwungvoll, denn ich stolpere erstmal über meine eigenen Beine und muss mich am Zaun festhalten um nicht hinzufallen. Schnell richte ich mich wieder, grinse Ben schief an und laufe auf den Hof. "Wer ist denn die geheimnisvolle Trainerin?" "Frag deine Tante, ich will ja nichts falsches sagen."
Im Stall treffe ich auf Frau Jacob und sage ihr, dass ich Ben trainieren werde, vorausgesetzt er macht dann auch das, was ich ihm sage und nimmt meine Tipps ernst. Frau Jacob sagt, dass sie sich sehr darüber freut und dass Ben natürlich meine Anweisungen befolgt. Ich unterhalte mich gerade noch ein wenig mit ihr über das neue Pferd, als Ben sich zu uns stellt. "Tante Lisa, ich habe gehört, dass du für Calypso und mich eine Trainerin gefunden hast?!" Strahlend sieht Frau Jacob erst mich und dann ihren Neffen an. Sie ist wirklich froh, dass ich das mache, das sieht man ihr an. "Ja. Ich bin so froh, dass sie das macht. Schließlich ist es ja nicht selbstverständlich und ich hätte mir wirklich keine bessere vorstellen können!" "Ja super. Und wer ist es jetzt?" Gespannt sieht er seine Tante an, welche ihn kurz verwirrt anschaut. "Äh, achso. Ich dachte, du wüsstest es schon. Sie steht direkt vor dir." Er sieht zwischen mir und Frau Jacob hin und her. Als wir seine Unsicherheit bemerken sage ich: "Also, damit meint sie mich."
"Du? Also nicht, dass ich was dagegen habe, ganz im Gegenteil, ich finde das gut, aber ich hätte niemals gedacht, dass du das freiwillig machst. Oder wirst du dafür bezahlt?" Mit großen Augen schaut er uns an. "Nein. Ich mache das doch nicht für Geld. Ich mache das einfach nur für Freunde." Nickend sagt Frau Jacob, dass sie noch einen Anruf tätigen muss und somit stehen Ben und ich alleine im Stallgang. "Freunde, was?", fresch grinst Ben mich an und als ich nur nicke, sagt er noch: "Das hat sich letztens aber anders angehört." "Da war es ja auch mitten in der Nacht und ich war müde und du hast mich... Naja du weißt ja selbst, was du gemacht hast. Aber man kann sich ja auch mal täuschen, oder?" "Na klar. Ich finde es toll, dass wir jetzt Freunde sind. Dann können wir ja auch mal was zusammen unternehmen." Sag jetzt nur nichts falsches Charly. "Wir müssen es ja nicht gleich übertreiben. Außerdem wer hat denn gesagt, dass ich mit Freunden dich meine?" "Du" "Was wäre denn wenn ich damit nur deine Tante und dein Pferd gemeint hätte?" Er starrt mich so perplex an, dass ich einfach keine ernste Miene mehr bewahren kann. "War in Scherz. Natürlich habe ich damit auch dich gemeint!" Lachend lehne ich mich an die Boxentür. "Sag ich doch." Dann fängt auch Ben an zu lachen und ich muss zugeben, dass er, wenn er lacht, noch besser aussieht als er sowieso schon ist. Das liegt wahrscheinlich an seinen Augen, die beim lachen noch mehr funkeln. Mein Handy klingelt und als ich, immer noch lachend, annehme, fragt mich eine aufgebrachte Ella, wo ich den bitteschön bleibe, denn ich wollte ihr ja heute Springunterricht geben und wieso ich so lache. Ich sage ihr nur, dass ich praktisch schon da bin und lege auf. "Ich muss los. Meine Schwester ruft." "Na dann viel Spaß!"

Ella und CharlyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt